11.06.2015 12:03 Uhr

Copa zwischen Fanfesten und Protesten

Mit gemischten Gefühlen gehen die Chilenen in die Copa
Mit gemischten Gefühlen gehen die Chilenen in die Copa

Sportlich erwartet die Zuschauer der Copa América ein rauschendes Fest. Hinter den Kulissen läuft es dagegen nicht so reibungslos. Der Gastgeber kämpft mit der Organisation, dem Erfolgsdruck und Studentenprotesten.

"Hier herrscht überhaupt keine Vorfreunde", beklagt sich Graffitikünstler José Luis in Antofagasta, im hohen Norden Chiles. "Antofagasta hat nur zwei Spiele bekommen und die Tickets sind extrem teuer. Es gibt ein 'Fan Fest', aber am wohl schlechtesten Platz überhaupt, einer großen Shopping Mall", sagt José Luis. Die Stadt am Rande der Atacama-Wüste hat aufgrund der zahlreichen Jobs in den Kupferminen eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen des Landes und folglich auch die höchste Dichte an Einkaufszentren pro Einwohner.

Jamaica tritt hier zwei Mal an und kann so den winterlichen Temperaturen in den südlichen Teilen des Landes aus dem Weg gehen. Viele Fans werden die "Reggae Boys" von Winnie Schäfer aber wohl kaum mitbringen. "Wenn überhaupt Stimmung aufkommt, dann dank der peruanischen und kolumbianischen Einwanderer", meint José Luis. Eine Meinung, die viele Einwohner teilen.

Peru und Kolumbien spielen dagegen in der Gruppe C in der dicht besiedelten "Mitte" Chiles, in der Hauptstadt Santiago und auch weiter im Süden in Rancagua und Temuco. Die beiden Städte haben mit die kleinsten Stadien des Turniers. Nicht einmal 20.000 Zuschauer fassen die Arenen. Von den reisefreudigen Kolumbianern und Peruanern werden nur wenige ihre Mannschaft live sehen können. Ein klarer Fall von ungünstiger Planung, die für Missmut sorgt.

Proteste im Schatten der Copa

Immerhin ist die Copa América frei vom FIFA-Wahnsinn, riesige, nagelneue und millionenschwere Stadien im ganzen Land aufzustellen. Die neun Spielstätten wurden nur teilweise neu- oder umgebaut und passen sich mit ihrem Fassungsvermögen an die Bedürfnisse der chilenischen Liga an.

Eine gesunde Entscheidung in einem Land, in dem es derzeit genügend gesellschaftliche Spannungen gibt. "In den Nachrichten spricht man zwar nur von der Copa, aber gleichzeitig gibt es große Studentenproteste", berichtet der Journalist Marco in Santiago. Seit Jahren kämpfen in Chile weite Teile der Bevölkerung für ein freies und kostenloses Bildungssystem. "Die Studenten nutzen natürlich ganz bewusst die Aufmerksamkeit der Copa América", weiß auch der Tätowierer Carlos, der sich wie viele Chilenen mit den Demonstranten solidarisiert. Nachdem vor wenigen Wochen nun auch noch ein umfassender Korruptionsskandal innerhalb der hier stark verbandelten Elite von Wirtschaft und Politik aufgedeckt wurde, ist die Empörung nochmals gestiegen.

Große soziale Unzufriedenheit

Der Geschichtslehrer Pedro wohnt im Spielort Viña del Mar und beschreibt eine "große soziale Unzufriedenheit" im Land. Die argentinische Nationalmannschaft konnte am Mittwoch ihre Trainingseinheit nur verspätet antreten, da protestierende Lehrer das Gelände blockierten. Das politische Engagement zwingt die fußballverrückten Chilenen in einen breiten Spagat. "Ganz Chile ist auf der Straße und protestiert, aber trotzdem wird Fußball geatmet", so Pedro.

Die sehr patriotischen "Chilenos" sehnen sich als Gastgeber umso mehr nach dem ersten Titelgewinn. Der Minenarbeiter Toli bestätigt dies: "Die Stimmung ist eindeutig 'jetzt oder nie'. Wir wollen endlich diesen bitteren Nachgeschmack von der WM loswerden", beklagt er noch immer das unglückliche Aus gegen Brasilien.

"Jetzt oder nie", dieses Motto gilt erst recht für die Mannschaft, denn immer wieder wird in diesen Tagen von der goldenen Generation des chilenischen Fußballs gesprochen.

"Wir haben keinen Druck"

Torhüter und Kapitän der Nationalmannschaft Claudio Bravo mag diesen Stempel nicht. "Wir sind eine Spielergeneration wie jede andere, die versucht, das Beste für ihr Land zu erreichen." Während auf der Pressekonferenz draußen die Proteste zu hören sind, muss er immer wieder Fragen zu Chiles Favoritenrolle beantworten. Der Champions League Sieger vom FC Barcelona verneint diese und verweist auf Schwierigkeiten seiner Landsleute: "Wir haben keinen Druck. Druck haben die Leute, die nicht wissen, wie sie bis zum Monatsende über die Runden kommen."

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Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco