10.03.2014 16:42 Uhr

Kommentar: Fairplay-Preis? Bitte nicht!

Aaron Hunt (M.) stellt die Fehlentscheidung des Schiedsrichters Gräfe klar
Aaron Hunt (M.) stellt die Fehlentscheidung des Schiedsrichters Gräfe klar

Für seine Geste, einen gepfiffenen Elfmeter beim Schiedsrichter als Fehlentscheidung klarzustellen, wird Aaron Hunt öffentlich gefeiert. Experten fordern den Fairplay-Preis. Mit wirklichem Fairplay wäre die Geste jedoch nicht nötig gewesen. Ein Blick auf den Werteverfall im modernen Fußball.

Nürnberg gegen Bremen, Abstiegskampf, 0:2 für die Gäste. Aaron Hunt geht in den Sechzehner, sucht den Kontakt zu Pinola, findet ihn nicht (oder zumindest nicht so, wie er es sich gewünscht hatte), fällt aber trotzdem. Schiedsrichter Manuel Gräfe sieht einen Kontakt und pfeift Strafstoß. Doch dann passiert etwas Ungewöhnliches: Der Bremer geht zum Referee und gibt zu, dass es kein Elfer war!

Nicht ganz zu Unrecht wird Hunt in der Folge des Samstagabendspiels für diesen fairen Zug gefeiert. Einzig das Ausmaß der Euphorie überrascht dann doch. Von "Sky" bekommt er ein Fairplay-Bändchen überreicht, Experten bringen ihn sogar für den offiziellen Fairplay-Preis des DFB ins Spiel. Aber ganz ehrlich: Ist das deren Ernst?

"Das war falsch von mir"

Natürlich steht unter dem Strich, dass Hunt auf einen bereits gepfiffenen Elfmeter verzichtete und stattdessen ehrlich war. Schon im Fallen hat er gemerkt, dass er Mist gebaut hat: "Ich wollte den Elfmeter aus dem Instinkt heraus provozieren und habe den Kontakt gesucht. Aber das war falsch von mir", sprach der 27-Jährige hinterher in die Mikros.

Diese Ehrlichkeit ist fair. Sie ändert aber nichts daran, dass es eine unsportliche, unfaire Aktion war, die diese Ehrlichkeit überhaupt erst nötig machte. Wirkliches Fairplay wäre es gewesen, gar nicht erst einfädeln zu wollen.

Keine persönliche Charaktereigenschaft, sondern verbreitete Sitte!

Dabei ist es gewiss keine persönliche schlechte Charaktereigenschaft von Hunt, dass er in diesem Moment den Impuls hatte, einen Elfmeter zu schinden. Es gehört mittlerweile ja quasi zum Tagesgeschäft, die Grenzen des Regelwerks... naja, nennen wir es mal auszureizen. Das hat auch Nürnberg-Trainer Gertjan Verbeek festgestellt, der kürzlich den Werteverfall in Form der zu großen Schauspielerei im deutschen Fußball anmahnte.

Es sind nicht nur die klassischen Schwalben, die in die Kategorie "Schauspielerei" und fehlendes Fairplay zu zählen sind. Auch Liegenbleiben, um einen Angriff des Gegners zu unterbrechen, gehört dazu. Diese weit verbreitete Unsitte führt immer wieder dazu, dass Teams einfach weiterspielen, wenn ein Akteur sich auf dem Boden krümmt – in der sicheren Annahme, dass schon nichts Schlimmes sein wird. Oder lautes Meckern bei Abseitsentscheidungen. Oder das Fordern von Karten.

Höherer Druck, weniger Fairplay

Klar, das alles hat es schon immer gegeben, aber um je mehr es im Fußball geht, je mehr Geld im Spiel ist, desto größer ist auch der Druck auf den einzelnen und man wird den Eindruck nicht los, dass desto häufiger das Fairplay auch mal dezent ignoriert wird.

Diesen Eindruck äußerte auch der Vorsitzende der DFB-Schiedsrichter-Kommission Herbert Fandel im "kicker": "In Sachen Schauspielerei sind wir in Deutschland inzwischen mindestens auf Augenhöhe mit anderen Nationen, bei denen diese Unsitte früher mehr verbreitet war als bei uns. Die Bewertung mancher Zweikämpfe fällt den Schiedsrichtern dadurch schwerer, als es sein müsste."

Besonders groß ist der Druck im Abstiegskampf. Es geht um die gesamte Existenz eines Klubs. Um wirtschaftliches Risiko, um die zusammenbrechenden Welten all der Fans, die jede Woche ins Stadion kommen. Da verwundert es nicht, dass Hunt dem Impuls, einen Elfmeter zu herauszuholen, beinahe erlegen wäre.

Auch bei anderem Spielstand?

Dass er den Täuschungsversuch beim Stand von 0:0 nicht zugegeben hätte, ist zugegebenermaßen eine unberechtige Behauptung, die man auch nicht beweisen kann. Wenn der Schiedsrichter dann aber schon einmal auf den Punkt gezeigt hätte, wäre zumindest die Versuchung, den vorangegangenen Täuschungsversuch auch vollends durchzuziehen, sicherlich größer gewesen. Schließlich war der Sieg für Werder ein absoluter Big Point...

Die Diskussion über einen etwaigen Werteverfall wird mit großer Regelmäßigkeit neu aufgewärmt. Und doch ist sie wichtig und zwingend notwendig. "Woanders ist es noch viel schlimmer", ist eine Standard-Argumentation, die vielleicht zutreffen mag. Aber dennoch sollte man immer erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Auch in der Bundesliga gibt es jedes Wochenende Theatralik, Zeitschinden und Schauspielerei und das nicht zu knapp.

Dass Aaron Hunt für seine Geste so gefeiert wird, zeigt einzig und allein, wie normal diese Theatralik mittlerweile im Fußball ist und wie bemerkenswert es dadurch wird, wenn ein Täter hinterher seinen Betrugsversuch einräumt. Natürlich muss man Hunt für seine Ehrlichkeit loben, ein offizieller Fairplay-Preis des DFB wäre aber ein völlig falsches Zeichen. Also bitte nicht...

Jochen Rabe