16.09.2016 13:50 Uhr

PL: Jekyll und Hyde an der Stamford Bridge

Strahlende Gesichter bei den Reds nach dem Coup gegen Leicester
Strahlende Gesichter bei den Reds nach dem Coup gegen Leicester

Blues gegen Reds - der farbenfrohe Premier-League-Klassiker steht wieder auf dem Programm. Beide Klubs sind gut aus den Startlöchern gekommen, kämpfen aber noch gegen den wiederkehrenden Schlendrian. Wer hat das bessere Ende an der Themse? Der weltfussball-Liveticker gibt am Freitag ab 21:00 Uhr Aufschluss.

In London kennt man die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Die Novelle des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson spielt schließlich auch in der englischen Metropole, genauer gesagt im Stadtteil Soho. Und das Motiv des Genies mit den zwei höchst unterschiedlichen Gesichtern findet derzeit wieder Anwendung auf der Insel, wenn auch in einem gänzlich anderen Kontext: Die Spitzenklubs FC Chelsea und FC Liverpool stellen ihre Fans Woche für Woche vor große Rätsel, wenn die nächste Standortbestimmung in der Liga bevorsteht. An der Stamford Bridge stehen sich die launischen Diven nämlich gegenüber.

Während bei den Hausherren, auch dank fruchtender Maßnahmen von Antonio Conte, zuletzt wieder häufiger das geniale Gesicht von Hazard und Co. zu sehen war, fürchten die Reds die Rückkehr der hässlichen Fratze. Immer, wenn das Team von Jürgen Klopp in den vergangenen elf Monaten einen Galaauftritt hingelegt hat, folgte kurz darauf ein kaum zu erklärender Leistungseinbruch. Zu frisch sind die Erinnerungen an den zweiten Spieltag, als das rote Starensemble sang- und klanglos bei Aufsteiger Burnley unterging.

Auf der Suche nach Konstanz

Erklären kann sich die Wankelmütigkeit so recht keiner. Schließlich zeigen die Jungs von der Mersey regelmäßig, dass sie vor allem in der Offensive zur Crème de la Crème des europäischen Fußballs gehören - an guten Tagen. Dann brillieren Coutinho und Roberto Firmino als leichtfüßiges Samba-Duo mit Torgarantie. Dann sprinten die wieselflinken Sadio Mané und Adam Lallana ihren bemitleidenswerten Gegenspielern davon. Dann ersticken die Kontrahenten im berüchtigten Klopp-Pressing. Meister Leicester kann nach dem jüngsten Debakel an der Anfield Road ein Lied davon singen. Fragt sich nur: Wann liefert Liverpool endlich Konstanz?

Fans und Unterstützer bleiben geduldig. Kein Wunder: Mit seiner mitreißenden Art hat Jürgen Klopp den Trübsinn der Rodgers-Ära in Windeseile vertrieben. Der deutsche Coach wirkt authentisch, lässt mutig spielen. Zudem sind seine Ausbrüche in England längst legendär. Am vergangenen Wochenende verlor der 49-Jährige während der Partie gegen Leicester mal wieder seine Brille beim Jubeln. Solche Szenen lieben die Anhänger, die jede Art von Emotionalität im durchgeplanten Profigeschäft zu schätzen wissen. Kurz gefasst: Für das Mehr an Leidenschaft nehmen viele LFC-Fans das sportliche Auf und Ab, die gelegentliche Rückkehr von Mr. Hyde, wohlwollend hin.

Conte gibt den Irrwisch

Ähnlich passioniert wie sein deutscher Amtskollege geht auch Antonio Conte beim FC Chelsea zu Werke. Der Italiener hat sich in London schon in die Herzen der Fans getanzt. Seine Theatralik an der Seitenlinie blieb auch Klopp nicht verborgen: "Er sieht ziemlich emotional aus, selbst, wenn sie gar kein Tor schießen", bemerkte der Ex-Dortmunder vor dem Match an der Stamford Bridge. Eine treffende Einschätzung, denn der Ex-Trainer der Squadra Azzurra knüpft auch im Verein nahtlos an seine berüchtigten Irrwisch-Auftritte bei der EURO 2016 an. Man könnte meinen, es stecke Kalkül dahinter, denn was den Blues nach einer völlig verkorksten Spielzeit am meisten gefehlt hatte, waren Emotionen.

Allzu oft hatten Hazard, Fàbregas und Co. lustlos gewirkt, übersättigt vom Erfolg der Vorjahre. Gegen diesen Schlendrian hat der feurige Conte die richtigen Mittel gefunden und seinen schlampigen Genies neues Leben eingehaucht. Bestes Beispiel dafür ist Enfant terrible Diego Costa, der, aller Eskapaden zum Trotz, seinen nahezu unstillbaren Torhunger wiedergefunden hat. Plötzlich sehen die Blues-Anhänger wieder den Anführer der Meistersaison 2015, gewissermaßen das Dr. Jekyll-Gesicht des brasilianischen Spaniers.

Eine Entwicklung, die auch Jürgen Klopp aufgefallen ist: "Er ist ein echter Krieger auf dem Platz und setzt die ganze Zeit seinen Körper ein. Das ist ganz klar seine Stärke", so der Deutsche. Im Reds-Lager genießt der Angreifer derweil wenig Ansehen, seit er Emre Can im Januar 2015 auf den Knöchel trat. Für drei Partien wurde Costa damals gesperrt.

Showdown unter Flutlicht

Nun also das direkte Duell der beiden international nicht vertretenen Klubs. Und das unter Flutlicht am ungewohnten Freitagabend. Für Klopp kein Problem: "Das gehört zu den besten Zeiten, um Fußball zu spielen. Also auf geht's!", meint "The Normal One" voller Tatendrang. Er hofft, dass sich sein Team beim derzeitigen Tabellenzweiten erneut von seiner besten Seite präsentiert und die Heimelf, die beim 2:2 gegen Swansea City zuletzt erstmals Federn ließ, unter Druck setzt.

Kein leichtes Unterfangen: "Sie sind wieder in der Spur. Wir müssen uns auf eine echte Herausforderung einstellen", mahnt der Deutsche. "Sie verteidigen gut, sie greifen hart an. Das wird nicht leicht. Doch wir sind zuversichtlich, dass wir etwas erreichen können. Wir müssen das richtige Gesicht zeigen". Passender hätte er es kaum formulieren können.