16.03.2015 09:30 Uhr

Finnbogason: Vom Phänomen zum Phantom

Rat- und torlos: Alfreð Finnbogason im Trikot von Real Sociedad
Rat- und torlos: Alfreð Finnbogason im Trikot von Real Sociedad

Über zwei Jahre schoss Alfreð Finnbogason die niederländische Eredivisie kurz und klein. Dann wagte der Isländer den Schritt in eine der stärksten Ligen der Welt – und erlebt seitdem eine Achterbahnfahrt.

Seinen letzten großen Auftritt hatte er im Anzug. Fein gestriegelt, mit perfekt sitzender Frisur und verschränkten Armen stand er schüchtern auf der Bühne und wartete auf seinen Preis. Just als Ruud van Nistelrooy ihm den Pokal für den besten Torjäger der niederländischen Eredivisie überreichen wollte, sackte er in die Knie. Der Kreislauf streikte. Ein kurzer Schwächeanfall, der zum Glück folgenlos blieb – und ihm sichtlich peinlich war.

Heute erinnert sich Alfreð Finnbogason mit einem Lächeln an die Situation im September 2014 zurück. Immerhin war es das letzte Mal, dass der Isländer für seine sportliche Leistung gefeiert wurde. Sechs Monate später hat der 26-Jährige nur noch selten Grund zur Freude. Seit seinem Wechsel vom sc Heerenveen zu Real Sociedad ist aus dem Stürmer mit eingebauter Torgarantie eine torlose Teilzeitkraft geworden.

Verheerende Bilanz in San Sebastián

Mit der Referenz von 59 Treffern in 70 Pflichtspielen schoss sich Alfreð Finnbogason in den letzten beiden Spielzeiten in den Fokus der Talentsucher. Von Glasgow über Everton, Villarreal, Newcastle, West Ham, Cardiff, Rom und Hamburg bis nach Bremen gab es kaum einen ambitionierten Erstligisten, der den Isländer nicht verpflichten wollte.

Etwas überraschend erhielt Real Sociedad im Sommer 2014 den Zuschlag. Dort suchten sie einen Ersatz für den abgewanderten Antoine Griezmann und fanden ihn in Heerenveen. Der zweitteuerste Transfer der Vereinsgeschichte kostete die Basken 7,5 Millionen Euro plus Bonuszahlungen. Das Zwischenfazit nach neun Monaten auf der iberischen Halbinsel ist verheerend.

In 24 Pflichtspielen stand der Stürmer nur fünfmal über 90 Minuten auf dem Platz. In der Liga durfte er in 18 Partien lediglich zweimal über die volle Distanz ran. Die Bilanz: null Tore, null Vorlagen und zig Fragezeichen. Kleinere Verletzungen haben seinen Start in den ersten Monaten sicherlich erschwert. Eine plausible Erklärung für die sportliche Talfahrt sind sie aber nicht.

Vergleiche mit Van Nistelrooy, Huntelaar und Tomasson

"Finnbogason war schon immer besser, wenn er das Vertrauen gespürt hat und jedes Wochenende 90 Minuten spielen durfte. Das fehlt ihm im Moment", vermutet Magnús Már Einarsson, Chefredakteur der isländischen Fußballplattform "fotbolti.net", dass die fehlende Rückendeckung und Einsatzzeit dem 26-Jährigen aufs Gemüt schlägt.

"Natürlich würden wir in Island ihn gerne häufiger spielen sehen. Aber wir wissen auch, wie groß der Unterschied zwischen der niederländischen und spanischen Liga ist." Seine Qualitäten, da ist sich der Experte sicher, reichen grundsätzlich aus, um in einer der besten Ligen Europas Fuß zu fassen. Eine Meinung, die auch Marco van Basten, Finnbogasons Ex-Trainer aus Heerenveen, vertritt.

"Man kann ihn mit Ruud van Nistelrooy, Klaas Jan Huntelaar und Jon Dahl Tomasson vergleichen. Eiskalt im Abschluss, mit viel Übersicht und einem feinen Gespür für das Tor. Er ist ein Phänomen", ist der ehemalige weltklasse Stürmer überzeugt. Das Problem: Der Isländer bekommt zu selten eine Chance, seine Fähigkeiten auf dem Platz zu zeigen und ist in den letzten Monaten eher zum Phantom geworden.

David Moyes: Segen und Fluch

Es ist eine Situation, die auch bei Finnbogason selbst Spuren hinterlassen hat: "Es ist schwer für einen Stürmer, wenn er nicht trifft, weil es einfach mein Job ist. Zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich Probleme mit dem Toreschießen. Wenn der Knoten aber erst geplatzt ist, wird alles einfacher." Ob der Knoten überhaupt noch platzt, ist allerdings fraglich.

Der Trainerwechsel hin zu David Moyes macht ihm einerseits Hoffnung. Seitdem der Schotte im Amt ist, reicht es für den 26-Jährigen immerhin zu regelmäßigen Kurzeinsätzen. Andererseits steht der Ex-Trainer von Manchester United nicht gerade für eine offensive Spielkultur. Unter seiner Leitung zählen die Basken vor dem Tor zu den harmlosesten Teams der Liga.

Und obwohl kein etatmäßiger Goalgetter im Kader auszumachen ist, kommt der Isländer nicht über die Rolle des Reservisten hinaus. Weil er seine Torgefahr bisher schlicht und ergreifend nicht auf den Platz gebracht hat. Die wiederum kommt aber nur mit mehr Spielzeit zurück. Ein kleiner Teufelskreis.

Bas Dost lässt grüßen

Dass die Verantwortlichen des baskischen Klubs dennoch gut beraten wären, dem Stürmer noch Zeit einzuräumen, beweist derzeit ein Beispiel aus der Bundesliga. In der Saison 2011/12 kürte sich ein gewisser Bas Dost in Heerenveen zum Torschützenkönig der Eredivisie. Auch er kämpfte nach seinem Wechsel in eine der besten Ligen Europas lange mit Anpassungsproblemen, ehe er in dieser Saison den Durchbruch schaffte.

Ähnlich mühsam verliefen die ersten Monate nach dem Abschied aus den Niederlanden für Klaas Jan Huntelaar und Luis Suárez. Der Ausgang ist bekannt. Auch wenn Alfreð Finnbogason wohl nicht mehr in die Riege der weltbesten Stürmer aufsteigen wird, die Chance, sein Potenzial endlich häufiger auf dem Rasen zu zeigen, hätte er allemal verdient.

Christian Schenzel