18.06.2015 12:35 Uhr

Robert Schlienz: Einarmig ins DFB-Dress

Auch ohne linken Unterarm wurde Robert Schlienz (r.) zum Nationalspieler
Auch ohne linken Unterarm wurde Robert Schlienz (r.) zum Nationalspieler

916 Spieler trugen seit dem ersten Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft im Jahr 1908 das DFB-Dress. Einer der ungewöhnlichsten unter ihnen starb heute vor 20 Jahren.

Ein Autounfall an einem heißen Augustnachmittag des Jahres 1948 hätte die Laufbahn eines vielversprechenden Nachwuchsstürmers frühzeitig beenden können – und tat es überraschenderweise nicht. Vielmehr nahm die Sportlerkarriere des Robert Schlienz eine außergewöhnliche Wendung.

Der 24-jährige Torjäger, der noch in den letzten Kriegstagen vom FV Zuffenhausen zum VfB Stuttgart gekommen war und gleich in seiner ersten Saison mit 46 Toren (die genaue Anzahl seiner Tore variiert in verschiedenen Quellen zwischen 42 und 46) in 30 Oberliga-Spielen einen Torrekord für die Ewigkeit aufstellte, war unterwegs zum Pokalspiel seines VfB in Aalen. Auf dem Weg konnte Schlienz einem großen Schlagloch nicht ausweichen. Der Wagen kippte und zerschmetterte beim Aufprall seinen linken Unterarm, den er aufgrund der großen Hitze aus dem Autofenster gehalten hatte. Noch am gleichen Tag wurde der Unterarm amputiert.

Aus dem Gleichgewicht

Dass der Unfall seine Karriere nicht beendete, hat viel mit dem Charakter des Robert Schlienz zu tun. Denn der gebürtige Zuffenhausener war ein Kämpfer, auf dem Platz ein Leader, der seine Mitspieler und nach der Verletzung sich selbst abtrieb. Die Ärzte hatten ihm wenig Hoffnungen gemacht, dass er das Fußballspielen auf Oberliga-Niveau würde fortführen können. Mit seinem Trainer Schorsch Wurzer arbeitete er verbissen an seinem Comeback. Der fehlende Unterarm brachte das Gleichgewicht des Körpers in Unordnung, Bewegungsabläufe mussten völlig neu erlernt werden, bei Stürzen im Spiel durfte er nicht auf den Armstumpf fallen.

Schon vier Monate nach dem Unfall stand Schlienz beim 2:1-Sieg über Bayern München wieder für den VfB auf dem Platz, aufgrund seiner veränderten körperlichen Voraussetzungen allerdings nicht mehr als Mittelstürmer, sondern als Außenläufer im Mittelfeld.

Der Vollstrecker schulte um zum Vorbereiter. In dieser neuen Position spielte Schlienz trotz seines Handicaps besser denn je, wurde zum Kapitän seines Teams und führte seine Stuttgarter zu zwei Meisterschaften 1950 und 1952 und zwei Pokalsiegen 1954 und 1958. Im Meisterschaftsendspiel von 1952 erzielte er gegen den 1. FC Saarbrücken den wichtigen Ausgleich.

Den Ritterschlag gab es von einem der ganz Großen des Sports: Nach einem Freundschaftsspiel zwischen der spanischen Nationalmannschaft und dem VfB Stuttgart in den späten 1950er Jahren äußerte sich Alfredo di Stefano nach dem Spiel voller Anerkennung: "Der beste Mann auf dem Platz war der Einarmige. Was ich von dem gesehen habe, war für mich bis jetzt unvorstellbar."

>> Das Meisterschaftsfinale von 1952: VfB Stuttgart - 1. FC Saarbrücken 3:2

Endlich Nationalspieler

Einige Jahre zuvor war ein großer Traum des verhinderten Torjägers in Erfüllung gegangen. Sepp Herberger, der aufgrund der Behinderung des Stuttgarters lange große Bedenken gehegt hatte, berief den inzwischen 31-Jährigen im Mai 1955 erstmals in die Nationalelf. Dem Debüt beim 2:1-Sieg der DFB-Elf gegen Irland folgten 1956 zwei weitere Einsätze im schwarz-weißen Dress gegen die Niederlande und England.

>> Das Debüt: Deutschland - Irland 2:1

Nach mehr als 400 Partien für die Schwaben beendete Robert Schlienz 1960 seine aktive Karriere. Am 18. Juni 1995 verstarb die VfB-Legende 71-jährig. Heute erinnert das Robert-Schlienz-Stadion, in dem die VfB-Amateure ihre Heimspiele austragen, an den außergewöhnlichen Fußballer.

Ralf Amshove