30.04.2016 16:32 Uhr

Ein "Tapetenwechsel" zur richtigen Zeit

Daumen hoch für Heiko Westermann bei Real Betis Sevilla
Daumen hoch für Heiko Westermann bei Real Betis Sevilla

"No lo sé" – ich weiß es nicht. Dies sei der erste Satz gewesen, den der ehemalige HSV-Verteidiger und 27-fache Nationalspieler nach seiner Ankunft im August 2015 in Sevilla gelernt habe. Was weiß er nicht, möchte man ihn fragen. Warum es für ihn in seiner ersten Saison in der spanischen Primera División so gut läuft, wo er doch in den letztjährigen Seuchenjahren an der Elbe oftmals als Sündenbock verschrien wurde? Die Antwort darauf liegt allerdings auf der Hand: Westermann ist nach guten Leistungen und mit seiner ganzen Erfahrung von 318 Bundesligaspielen nicht mehr aus der Abwehr von Real Betis Sevilla wegzudenken.

Dabei geriet der Unterfranke, der für den Hamburger SV in fünf Jahren bei allen zehn (!) Trainern stets gesetzt war, immer wieder in Kritik und polarisierte die Anhänger. Gerade in den beiden Jahren, in denen der Nordclub in der Relegation um den Ligaverbleib zittern musste, wackelte die Abwehr um Westermann gehörig. Von einem "Sicherheitsrisiko" sprach man an der Elbe. "Immer wieder Westermann" war von Zuschauern zu hören.

Für andere war "HW4", dem das Kürzel mit seiner Rückennummer ironischerweise in Anlehnung an Cristiano Ronaldos selbstdarstellerischer Abkürzung "CR7" von Verein und Fans auferlegt wurde, schlichtweg Kult. Einer, der trotz technischer Defizite immer voran ging. Einer, der auch in schweren Zeiten zum Verein hielt und sich in jeden Zweikampf warf. Einer, der sich die Profikarriere erarbeitet hat – "Von nichts kommt nichts!" ist treffenderweise sein Lebensmotto.

Neuanfang in Andalusien

Nach zehn Jahren Bundesliga wurde sein Vertrag beim HSV nicht mehr verlängert. "Ich denke einfach, dass Hamburg, wie ich, einen Tapetenwechsel brauchte". Also sagte der heute 32-jährige "Adios" und schloss sich dem traditionsreichen Real Betis Sevilla an, bei dem auch Teamkollege Rafael van der Vaart unter Vertrag steht.

Westermann, nun mit der Rückennummer 17, erhoffte sich mit seinem Wechsel eine Art Neuanfang abseits des Bundesliga-Trubels und fühlte sich auf Anhieb im Süden Spaniens wohl. Unter Pepe Mel, mittlerweile durch den aktuellen Trainer Juan Merino ersetzt, lief es auch sportlich zunächst sehr gut. Am 7. Spieltag schoss sich Westermann mit seinem ersten Tor für den neuen Verein mitten in die Herzen der Fans: Der Abwehrspieler eroberte den Ball in eigener Hälfte, verlagerte das Spiel auf die rechte Seite während er selbst in Richtung Tor sprintete. Im Strafraum ließ er dem Torwart in bester Stürmermanier keine Abwehrchance – der "neue" Westermann war angekommen.

Eigentor und Verletzungspause

Mit Westermann in der Abwehrzentrale hielt sich der Abstiegskandidat und Meister der Saison 1934/35 tapfer im Mittelfeld der Tabelle und holte auch im Stadtderby gegen den FC Sevilla einen ehrenwerten Punkt. Die Atmosphäre im Stadion, so der Routinier, sei dabei bereits eines der Highlights der Saison gewesen. Spanisches Temperament als Kontrastprogramm zum kühlen Norden Deutschlands.

Westermanns Saison schien gar ohne jeglichen Tiefschlag abzulaufen, bis Betis am 17. Spieltag beim Top-Favoriten Barcelona spielte. Nach einem Elfmeter von Neymar an die Latte grätschte Westermann im Abwehrversuch gegen den Uruguayer Luis Suárez zum Ball und verursachte dadurch nicht nur ein kurioses Eigentor, sondern verletzte sich auch derart schwer am Knöchel, dass er ganze zehn Wochen ausfiel.

Ohne den Abwehrchef rutschte das Team zwischenzeitlich auf Platz 15 ab und stand erstmals ernsthaft im Abstiegskampf. Mittlerweile hat Real Betis den Klassenerhalt allerdings vorzeitig mit Siegen über die direkten Konkurrenten Levante UD und UD Las Palmas gesichert und kann sich gedanklich schon auf die nächste Saison vorbereiten. Am kommenden Spieltag treffen die Verdiblancos im Estadio Benito Villamarín dann erneut auf den großen FC Barcelona. Heiko Westermann sei nur zu wünschen, dass sich diese Begegnung nicht zu einem schlechten Omen entwickelt. Das wichtigste, so sagt der Deutsche selbst, hat er aber bereits: "wieder Spaß am Fußball".

Gerrit Kleiböhmer