04.08.2017 12:02 Uhr

RWE-Coach Demandt exklusiv: "Ein Unding"

Demandt trainiert die Essener seit April 2016
Demandt trainiert die Essener seit April 2016

Mit Sven Demandt an der Seitenlinie soll es für Rot-Weiss Essen mittelfristig in die 3. Liga gehen. Im Gespräch mit weltfussball beschreibt der 52-Jährige die Schwierigkeiten bei der Arbeit an der Hafenstraße und äußert sich zu den Plänen mit dem Regionalligisten.

Herr Demandt, Was macht die Arbeit bei einem Traditionsverein wie Rot-Weiss Essen aus?

Sven Demandt: Ich glaube Fußball lebt von Emotionen, und diese sind gerade bei Rot-Weiss Essen im hohen Maße mit im Spiel, auch aufgrund der Vergangenheit und der Historie. Zudem spielt man Fußball ja, damit es möglichst viele Leute sehen. Und wir haben in der vierten Liga mit Abstand die meisten Zuschauer – gut, jetzt, wo 1860 München dabei ist, wahrscheinlich nicht mehr ganz. Aber zumindest im letzten Jahr war es so. Und das sind zwei Dinge, die den Verein in dieser Liga einzigartig machen.

Das klingt alles sehr positiv. Wo genau liegen die Nachteile?

Erstens ist da natürlich vor allem die Erwartungshaltung zu nennen. Es ist völlig normal, dass viele Leute uns an der glorreichen Vergangenheit messen und den Verein als Bundesliga-Verein sehen. Aber wir sind in der vierten Liga und das hat auch seine Gründe.

Und zweitens: So gut Emotionen sind, können sie im zu großen Maße manchmal auch nicht förderlich sein. Gewisse Dinge muss man einfach in Ruhe abwägen und nicht immer sofort auf das Gefühl hören. Das sind jedoch alles Dinge, mit denen alle Traditionsvereine zu kämpfen haben.

Nach der sehr schwierigen Saison 2015/2016, in der der Klub lange bangen musste, haben Sie die letzte Spielzeit zur Stabilisierung genutzt. Von einigen Fans wurde ihr Spiel jedoch als "leidenschaftloser Behördenfußball" kritisiert. Wie sieht denn Ihr Plan für die neue Spielzeit aus?

Der Plan sieht so aus, dass wir uns weiterentwickeln wollen. Es ist richtig, dass das letzte Jahr dafür da war, eine gewisse Ruhe und Stabilität hereinzubekommen. Fakt ist – und da sind wir wieder beim Thema, dass der Verein von Emotionen lebt – dass schnell vergessen wird, dass wir in der vorletzten Saison bis zum vorletzten Spieltag auf einem Abstiegsplatz standen. Deshalb ging es auch darum, stabil zu sein. Das waren wir auch mehrheitlich, haben in der Rückrunde nur zwei Spiele verloren. Fakt ist aber auch, dass wir zu wenig Partien gewonnen haben. Deshalb war der Ansatz für die neue Saison, sich in der Offensive zu verbessern, sowohl was den aktuellen Kader angeht als auch mit Hilfe von Transfers.

Übrigens hatten wir insbesondere zuhause ein paar gute Partien, die aber aufgrund der schlechten Chancenauswertung leider negativ hängengeblieben sind. Deshalb wollten wir Qualität dazu holen. Und ich denke, das ist uns ganz gut gelungen. Das war auch im ersten Spiel gegen den BVB zu sehen. Wir haben zwei Tore erzielt und hätten sogar noch mehr schießen können. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Das heißt die Zuschauer können etwas offensiveren Fußball erwarten?

Ich war früher selbst Stürmer, ich möchte schon offensiv spielen. Und wir wollen auch Tore machen. Nur hat das leider in letzten Saison nicht so funktioniert. Wir haben in einer Vielzahl von Spielen kein Tor gemacht und das ist dann zu wenig, um ganz oben dabei zu sein. Unabhängig davon hatten wir genug Möglichkeiten und waren schwer zu schlagen. Das wollen wir beibehalten und defensiv weiter als Mannschaft so arbeiten, wie wir es letzte Saison getan haben - und uns zusätzlich offensiv verbessern.

"Zusammen hoch 3" heißt das Motto in Essen. Wie realistisch ist der Aufstieg in dieser Saison?

Das wird man sehen. Das ist nach dem ersten Spieltag schwierig zu beantworten. Unabhängig davon ist es glaube ich am Anfang nicht ganz rübergekommen, dass „Hoch 3“ sich auch auf eine Zeitspanne von drei Jahren bezieht. Und das muss dann auch unser Anspruch sein. Klar wollen wir in die 3. Liga, aber das gilt eben über drei Jahre, in denen wir uns weiterentwickeln wollen, um den Sprung zu schaffen. Und ich glaube, das erste Jahr war dafür schon in Ordnung. Aber wir wollen und müssen versuchen, den nächsten Schritt zu gehen. Und das ist der Versuch, möglichst lange oben dabeizubleiben. Wie lange, weiß man noch nicht. Das ist auch schwierig, weil es in der Liga natürlich auch andere Mannschaften gibt, die richtig gut sind – ganz allgemein ist die Liga sehr ausgeglichen – aber oben dabei zu sein, sollte natürlich auch unser Anspruch und eine realistische Erwartungshaltung sein. Garantien gibt es aber leider nicht.

Welche Teams sind Essens ärgste Konkurrenten?

Die Favoriten sind ganz klar Viktoria Köln, aber auch Uerdingen, die so viel investiert haben, mit zehn Drittliga-Spielern, die sie geholt haben, die zum Teil schon Bundesliga gespielt haben. Die werden sich zwar immer darauf berufen, dass sie Aufsteiger sind, aber das sind sie eben nicht im normalen Sinne. Dazu kommt Oberhausen, die waren die beste Rückrundenmannschaft und haben den Stamm gehalten. Mit den beiden zweiten Mannschaften von Gladbach und Dortmund muss man ebenfalls immer rechnen, weil sie einfach gut besetzt sind und junge Spieler haben. Dann sind wir schon bei fünf. Wenn wir uns dazurechnen, sind wir bei sechs. Im Zweifelsfall, kommt immer noch eine weitere Mannschaft hinzu, wie zum Beispiel Rödinghausen, die auch gut investiert haben und weiter nach oben wollen. Insgesamt wird die Liga wahrscheinlich ausgeglichener sein, als es letztes Jahr der Fall war, aber noch ist die Saison ja jung.

Und dann gibt es ja noch das Nadelöhr, das es erst einmal zu durchqueren gilt, um in die 3. Liga zu kommen. Wie finden Sie denn die Aufstiegsregelung?

Ich glaube, über sowas muss man nicht diskutieren: das gibt es keiner anderen Liga, dass der Meister nicht aufsteigt. Das ist nach wie vor ein Unding und wird immer ein Unding bleiben. Darüber zu sprechen, nutzt aber leider nicht viel. Die Leute, die in der Verantwortung dafür sind, sehen nach wie vor keinen Bedarf, was ich nicht verstehen kann. Aber es nutzt uns nichts: derjenige, der Erster in der Liga wird, muss leider Relegation spielen.

Schauen wir einmal auf die personelle Lage: Daniel Engelbrecht (Erster Fußballspieler mit einem Defibrillator im Brustkorb) ist im allerersten Training der Saison zusammengebrochen, konnte seitdem nicht mehr spielen, musste operiert werden. Wie sind die Aussichten bei ihm?

Da gibt es noch keine konkreten Aussagen. Jetzt ist er erstmal wichtig, dass der Junge seine Operation gut überstanden hat. Es gibt momentan keinen konkreten zeitlichen Ablauf, sondern wir gucken ganz einfach, wie es weitergeht.

Medizinische Checks wurden ja im Vorhinein gemacht. Trotzdem: War das Risiko zu groß?

Der Junge hat zwei Jahre lang ohne Probleme gespielt. Er wurde natürlich von uns vorher gründlich untersucht. Einen Tag vor dem Trainingsauftakt wurde zudem noch ein Leistungstest gemacht mit Laktatwerten und Herzfrequenzmessung. Alle haben den Daumen gehoben. Was dann kam, war leider einfach Schicksal. Letztendlich ist es vor allem für den Jungen schlecht und da müssen wir sehen, dass er das in den Griff bekommt.

Ihre Mannschaft hat ja am ersten Spieltag mit einer tollen Geste reagiert, hat beim Torjubel das Trikot von Engelbrecht von der Bank geholt und gezeigt …

Das war das, was mich am Wochenende besonders froh gestimmt: der Eindruck, dass wir eine Truppe sind. Das zeigt diese Geste, aber wir haben auch tausend andere Dinge in dem Spiel gezeigt. Und mir ist es immer wichtig, dass ich das Gefühl habe, dass wir eine eingeschworene Gemeinschaft sind. Das wird im Laufe der Saison noch ganz ganz wichtig.

Als Reaktion auf den Engelbrecht-Ausfall haben Sie mit David Jansen einen erfahrenen Stürmer von Konkurrent Viktoria Köln geholt. Was erwarten Sie von ihm?

Der Transfer hat sich mit etwas Glück ergeben und gezeigt, dass es sich lohnt, geduldig zu sein. David Jansen hat bereits nachgewiesen, dass er bei uns in der Liga Tore machen kann. Er ist jemand, der unser Spiel verändern wird. Er ist nunmal 1,90 Meter groß und ermöglicht uns Optionen, die wir vorher nicht hatten. Außerdem bringt er eine gewisse Erfahrung mit und ist einfach ein guter Typ. Toll, dass sich die Möglichkeit dieses Transfers kurzfristig ergeben hat.

Sehen Sie es als klares Zeichen, dass er sich für Rot-Weiss statt für Viktoria entschieden hat?

Ja, das ist definitiv so. Da muss man fairerweise sagen, dass es von beiden Seiten aus keine Herumpokerei gab. Beide Seiten wollten ganz gerne und da findet man immer einen Weg. Ich glaube, wenn es nur noch Geld gegangen wäre, wäre er jetzt nicht hier, aber es ging eben auch um andere Dinge.

Mit Kai Pröger haben Sie einen Mann geholt, den sie angeblich schon öfter verpflichten wollten und der laut Medienberichten zum Publikumsliebling aufsteigen könnte…

Ich kenne ihn schon länger, das stimmt. Er hat damals in Oldenburg gespielt und da hatte ich Interesse, ihn zu Gladbach II zu holen. Das hat dann aber leider nicht funktioniert. Dann ist er zu Mainz II gegangen, weil er damals noch U-Spieler war. Ich habe seinen Weg dann allerdings weiterverfolgt. Und weil die Position rechts in der Offensive in der letzten Saison unsere Problemposition war, wollten wir diese mit jemandem besetzten, der Tempo und eine gewisse Torgefahr mitbringt und auch Tore vorbereiten kann. Und aktuell sieht es so aus, als hätten wir dort einen guten Griff gemacht.

Und er ist schon ein Spieler, der sehr gut hierhin passt, weil er sein Herz auf den Platz trägt. Das kann auch mal nachteilig werden, aber solch einen Spieler wollen die Leute eigentlich sehen, besonders hier in Essen.

Mit Nico Lucas hat Essen einen ganz jungen Mann im Kader, der bereits in der letzten Saison eine tragende Rolle spielte. Wohin geht‘s mit dem Youngster?

Nico ist jetzt in seinem zweiten Seniorenjahr, hat in der Rückserie fast immer gespielt bis zu seiner Verletzung kurz vor Schluss. Nico ist noch jung, aber er versteht schon das Spiel. Er hat in der Rückrunde viel alleine auf der Sechs gespielt. Dass jemand der aus der U19, dazu noch aus der Jugend von Rot-Weiss Essen, kommt, so viel spielt, hat es lange nicht mehr gegeben. Fairerweise muss man dazu sagen, dass auch Timo Becker aus der U19 kam und viel von Beginn an gespielt hat. Das war seit Jahren nicht mehr so. Deshalb ist auch die Bewertung der letzten Saison schwierig – es ist halt ein Traditionsverein und man wird nicht immer allen Sachen gerecht (schmunzelt). Wie gesagt: zwei solche Jungs einzubauen und ihnen so viel Spielzeit zu geben, ist nicht selbstverständlich und ist auch etwas, was wir gerne wollen. Das wird ja auch von vielen Seiten gefordert. Andererseits liegt es auch immer an der Qualität derjenigen, die den Sprung schaffen wollen, mit den Erwartungen umzugehen.

Am Sonntag kommt der Wuppertaler SV an die Hafenstraße: Volle Hütte, Derbyzeit. Was erwarten Sie für ein Spiel?

Logischerweise, wie bei vielen anderen Derbys auch, ein sehr intensives und emotionales Spiel. Ich bin jetzt knapp über ein Jahr da und spiele bereits das fünfte Mal gegen Wuppertal. Von daher weiß ich, worauf es da ankommt und die Jungs wissen es auch, das ist das Gute. Heißes Herz und kühler Kopf soll das Motto sein.

Es wird ein interessantes Spiel werden vor vielen Zuschauern. Und letztlich spielt man ja genau dafür Fußball.

ZUR PERSON: Sven Demandt ist seit April 2016 Coach von Rot-Weiss Essen und rettete den Klub im gleichen Jahr vor dem Abstieg. Die Saison 2016/2017 beendete der Klub auf dem fünften Rang. Zuvor trainierte der 52-Jährige den Drittligisten Wehen Wiesbaden und war unter anderem für Borussia Mönchengladbach als Übungsleiter aktiv. Als Spieler stand Demandt unter anderem bei Fortuna Düsseldorf, Hertha BSC und beim 1. FSV Mainz 05 unter Vertrag.

Das Gespräch führte Chris Rohdenburg