19.05.2024 14:54 Uhr

Lähmende Angst und Kater-Stimmung legen sich über Köln

Traurige Gesichter beim 1. FC Köln. Der Klub muss in die 2. Bundesliga
Traurige Gesichter beim 1. FC Köln. Der Klub muss in die 2. Bundesliga

Der 1. FC Köln beweint seinen siebten Bundesliga-Abstieg. Die Lage für den Traditionsklub ist bedrohlich, die Angst vor dem ganz tiefen Fall geht um.

Mitten rein ins vorerst letzte Bundesligaspiel schoss die Unwetterwarnung für Köln in die Warnapp des Smartphones. Und es passte ja: Über Köln und dem Effzeh hatte sich seit Wochen und Monaten etwas zusammengebraut. Am Samstag folgte der Knall. Abstieg. Wieder mal. Nach dem desolaten 1:4 bei Aufsteiger und Überraschungsteam 1. FC Heidenheim steht der siebte Abstieg des 1. FC Köln in die 2. Liga fest.

Der letzte Auftritt war nochmal sinnbildlich für diese Saison: Eingeläutet wurde die Niederlage FC-like mit einem abgefälschten Schuss. Statt mit totaler Offensive anzugreifen, humpelte der FC wie gelähmt seinem Schicksal entgegen. Dieses hatte er aber ohnehin nicht in der eigenen Hand. Weil gleichzeitig Union Berlin die Freiburger besiegte, wäre der 1. FC Köln auch mit einem Kantersieg abgestiegen.

Der sportliche Niedergang hatte sich über Wochen angedeutet, es war ein schleichender Tod, einer mit sehr langem Anlauf. Wie eine Katze mit sieben Leben hatte sich der FC zwischendurch immer wieder über Wasser gehalten, oft durch Ergebnisse der Konkurrenz, manchmal durch eigene, wie am vergangenen Wochenende, als der Klub mit einer unglaublichen Energieleistung und zwei späten Toren gegen Union (3:2) den letzten Funken Hoffnung auf die Wunder-Rettung am Leben hielt.

"Wir sind Kölner und ihr nicht"

Dieser allerletzte Strohhalm wurde am Samstagnachmittag auf der Ostalb brutal weggerissen. Als der Abstieg dann endgültig feststand, schlug den Spielern die Wut der Fans entgegen. Mit "Wir sind Kölner und ihr nicht"-Sprechchören schickte der Anhang die bedröppelten Spieler, die sich verabschieden wollten, direkt wieder weg. Vielmehr passierte aber nicht. Die große Ernüchterung. Schon während des Spiels wurde es nach den ersten Gegentoren sehr still.
Der Abstieg drückt in dem Frohnatur-Ort auf die Stimmung. Tränen flossen in den Kneipen der Stadt, die nun die einzige deutsche Millionenstadt ohne Bundesligist ist. "Eine Stadt wie Köln in der 2. Liga, das tut schon weh", brachte es ein Fan am ntv-Mikrofon auf den Punkt. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem der nördliche Rivale Leverkusen den Vizekusen-Fluch bricht, geht der FC runter.

Trotzdem ist es am späten Abend und am Tag nach dem Abstieg sehr ruhig am Geißbockheim, der Heimat des Effzeh. Bis auf ein paar Dutzend Neugierige und einem kleinen Wortgefecht zwischen Fans und Faride Alidou gab es wenig zu sehen. Der Stadtwald, er gehörte vornehmlich an diesem Sonntag den Joggern (auch im FC-Trikot). Selbst die Sonne schaute durch die Wolken hindurch.

"FC jeff Jas! He weed nit resigniert"

Der Geduldsfaden der Fans hielt lange. Schon zu Jahresbeginn hatten die Fanszene das Motto "FC jeff Jas! He weed nit resigniert", ausgerufen, die halbe Stadt damit zuplakatiert und das Team immer wieder gepusht. Die Last-Minute-Siege im heimischen Stadion gegen Bochum und Union waren wohl auch der Energie der Arena zu verdanken. Denn sportlich lief bei den Kölner die ganze Saison über sehr wenig zusammen. Der Abstieg ist sportlich verdient. Der größte Knackpunkt: eine viel zu harmlose Offensive. Wer nur 28 Tore erzielt, hat es schwer, in der Bundesliga zu bleiben. Hinzu kam Verletzungspech um Leistungsträger wie Luca Waldschmidt und Davie Selke, der mit sechs (!) Treffern bester Torschütze der Kölner ist.

Auch das Manöver mit Trainer Timo Schultz, der im Winter das Team von Steffen Baumgart übernahm, brachte keine Besserung. Er fand keine Stellschrauben, um die Rheinländer zu retten. Klar: Am Einsatz und Willen lag es nicht, was dann im Umkehrschluss bedeutet, dass es vor allem an der Qualität mangelte.

Zwar betonte Sport-Geschäftsführer Christian Keller immer wieder, dass der Kader das Zeug für die Bundesliga habe. Auf dem Rasen aber war davon zu selten etwas zu sehen. Die Kaderzusammenstellung, sie ist eine der großen Kritikpunkte am Sportchef, der sich auch in Heidenheim "Keller raus"-Rufe anhören musste. Der 47-Jährige orientierte sich in seiner Amtszeit radikal am ausgerufenen Sparkurs - mit weitreichenden Folgen.

"Der Verein bedeutet den Menschen in Köln alles"

Gravierend hinzu kam dann noch die FIFA-Transfersperre, die den Klub massiv einengt. Wegen der Unstimmigkeiten beim Transfer des slowenischen Jugendspielers Jaka Potočnik vor zwei Jahren muss der FC zwei Transferperioden aussetzen. Eine große Bürde. Die Sperre macht den Abstieg noch verheerender, als er so schon ist. In Köln geht die Furcht um, dass der Fall des größten Klubs der Stadt noch tiefer gehen könnte. Denn auch in diesem Sommer kann der Effzeh keine externen Spieler für die neue Aufgabe verpflichten. Nur mit den vorhandenen Profis, Jugendspielern und zurückkehrenden Leihspielern geht der FC nun in die 2. Liga.

Leistungsträger wie die Innenverteidiger Jeff Chabot, Timo Hübers und Keeper Marvin Schwäbe können dem Vernehmen nach den FC für rund vier Millionen Euro per Ausstiegsklausel verlassen. Viele Profis haben keinen Vertrag für die 2. Liga. Die Zukunft von Davie Selke und Florian Kainz ungeklärt. "Es ist einfach eine extrem schwierige Situation, wenn man nicht weiß, welchen Kader man zur Verfügung hat", sagte Kapitän Kainz resigniert. Zwar setzte noch vor dem Abstiegsfinale Routinier Mark Uth ein Zeichen und verlängerte in Köln. Er appellierte: "Der Verein bedeutet den Menschen in Köln alles. Mir persönlich auch, deswegen habe ich verlängert und ich bleibe auch in der zweiten Liga. Ich hoffe, dass es mir einige nachtun, denn wir brauchen jeden Spieler. Wir haben eine Transfersperre und dann müssen wir nächstes Jahr in der zweiten Liga bestehen."

Er hofft, dass einige Kollegen nachziehen. "Ich habe es natürlich so früh gemacht, um ein Zeichen zu setzen. So, dass einige Jungs sagen: Okay, alles klar. Wir packen mit an! Ich hoffe es sehr." Doch wer folgen wird und wie wettbewerbsfähig das Team in der kommenden Hinserie der 2. Liga sein wird, ist ein enormes Fragezeichen. Hoffnung setzt der Klub auf Keeper Jonas Urbig und Stürmer Tim Lemperle, die von Greuther Fürth zurückkehren werden. Zugespitzt gesagt, muss der 1. FC Köln aber wohl mit einer verbesserten Zweitvertretung im Bundesliga-Unterhaus bestehen. Und das in einer Liga, in der die anderen gestrandete Ex-Giganten wie der Hamburger SV, Hertha BSC, Schalke 04, Hannover 96 oder der Karlsruher SC rangeln und oben mitmischen wollen. Es wird mindestens eine Herkulesaufgabe. Umso mehr schmerzen Abgänge von Talenten wie Justin Diehl (VfB Stuttgart), Matti Wagner (Greuther Fürth) und Pierre Nadjombe (1. FC Magdeburg).

Millioneneinnahmen winken, aber was bringt das?

Zwar kann der FC im Winter 24/25 dann wieder am Transfermarkt agieren, doch die Position des Vereins dürfte schwierig sein. Andere Klubs wissen um die Zwangslage des Effzeh und die möglicherweise eingenommenen Chabot-, Hübers- und Schwäbe-Millionen, können die Preise nach oben treiben. Und die womöglich sportlich angespannte Lage könnte potenzielle Neuzugänge abschrecken. Aus der Not eine Tugend machen? Vielleicht wird ja ausgerechnet Youngster Jaka Potočnik zum Hoffnungsträger. In der U19 und zweiten Mannschaft erzielte der 18-Jährige in dieser Saison in 25 Spielen 12 Tore. Es wäre eine große Pointe in diesem Köln-Drama.

In der ersten Zweitliga-Saison muss der Blick wohl eher nach unten denn nach oben gehen. Dennoch rief Präsident Werner Wolf einen Zweijahresplan mit Ziel Wiederaufstieg aus. An dem Präsidenten entzündet sich ebenfalls Fan-Kritik. Dass er sich in den vergangenen Wochen ohne Not hinter Keller gestellt hat, kam bei vielen nicht gut an. Rund um den folgenreichen Transfer-Eklat machte der FC unter seiner Führung keine gute Figur. Auch in einem direkt nach dem besiegelten Abstieg versendeten Statement wird mit Selbstkritik eher gespart. Klar ist: Wolf und Keller wollen weitermachen.

Eine Opposition um den Ex-Spieler Dieter Prestin hat sich schon formiert. Es stehen dem Klub nicht nur auf dem Rasen unruhige Wochen bevor. Hoffnung macht da auch nur bedingt ein Blick in die Vergangenheit. Nach den vergangenen Abstiegen (2018/2012/2006/2004/2002/1998) gelang dem FC stets spätestens im zweiten Jahr der erneute Aufstieg. Die Ausgangslage aber war anders. Als absoluter Favorit geht der Effzeh 2024/25 nicht ins Rennen.

Kommt ein neuer Trainer?

Wohl eher nicht dabei sein wird Trainer Timo Schultz. Auch seine Zukunft ist unklar. Keller kündigte interne Aufarbeitung und Gespräche an. Zuletzt wurde KSC-Coach Christian Eichner als Trainerkandidat gehandelt.

"Lasst uns doch einfach mal. Das tut jetzt einfach weh", sagte Keller nach dem Abstieg in Heidenheim. "Wir werden uns in den nächsten Tagen die Zeit für die Analyse nehmen. Die Fragen sind relevant, das verstehe ich. Aber ich möchte sie heute nicht beantworten."

Da hilft dann vielleicht nur noch Eskapismus in Kölsche Lebensart. "Et hätt noch immer jot jejange" grüßten die BVB-Ultras am Samstag in Dortmund ihre befreundeten Anhänger des 1. FC Köln. Es ist noch immer gut gegangen. Der Spruch aus dem Kölschen Grundgesetz (Paragraf 3) wird in der kommenden 2. Liga-Saison wohl so hart auf die Probe gestellt wie lange nicht.

Emmanuel Schneider