26.06.2015 08:40 Uhr

Pekerman: Der Ziehvater als Gegner

José Pekerman (r.) war ein großer Förderer von Lionel Messi
José Pekerman (r.) war ein großer Förderer von Lionel Messi

Beim Viertelfinalduell zwischen Kolumbien und Argentinien trifft der Argentinier Pékerman mit Kolumbien auf eine Mannschaft, die er teilweise geprägt hat.

2001 hat José Néstor Pékerman als Trainer der argentinischen U20-Nationalmannschaft gerade seinen dritten Weltmeistertitel gewonnen, als über sein Heimatland eine schwere Wirtschaftskrise hereinbricht. Hunderttausende Landsleute verlassen das Land Richtung Europa, um auf dem alten Kontinent neu Fuß zu fassen. Auch Pekerman ist der Idee, im wirtschaftlich stabilen Spanien zu leben, nicht abgeneigt und akzeptiert so eine Anstellung scheinbar unter Wert: Als Sportdirektor heuert er beim damaligen Zweitligisten Leganés in der Nähe der Hauptstadt Madrid an.

Dank seines Rufs als exzellenter Jugendtrainer fungiert er für Leganés auch als Talentspäher, als er von einem kleinen Jungen aus dem argentinischen Rosario hört, der in der Jugend des FC Barcelona für Furore sorgt. Pékerman beobachtet den Teenager Lionel Messi und schnell ist ihm klar, dass er es hier mit einem absoluten Ausnahmetalent zu tun hat. Ebenfalls ist ihm aber zu Ohren gekommen, dass der spanische Fußballverband drauf und dran ist, Messi in die Jugendnationalmannschaft zu nominieren, um ihn für eine Zukunft in La Roja zu begeistern.

Eilig greift Pékerman zum Telefon und bedrängt Hugo Tocalli, seinen Nachfolger bei der argentinischen U20: "Bitte Hugo, macht etwas, unbedingt. Der Junge ist wirklich ein besonderer Fall. Organisier ein Freundschaftsspiel oder irgendwas." Jener Tocalli informiert den Verbandspräsidenten Julio Grondona, der seine Beziehungen als Funktionär spielen lässt und kurzer Hand ein Freundschaftsspiel zwischen den Jugendauswahlen von Argentinien und Paraguay auf die Beine stellt.

Am 29. Juni 2004 kommt es im Stadion "Diego Armando Maradona" von Argentinos Juniors vor etwa 200 Zuschauern zu besagtem Spiel. Zur Halbzeit führen die Argentinier mit 2:0. Nach dem Seitenwechsel läuft Lionel Messi erstmals mit der Albiceleste auf, bringt die Offensive ordentlich in Schwung und erzielt einen Treffer selbst. Das Spiel endet 8:0 für Argentinien und endlich ist "der Floh" auch der breiten Öffentlichkeit im Land ein Begriff, so dass eine Nominierung für die spanische Auswahl nun unmöglich erscheint.

Unter Pékerman debütiert Messi – für wenige Sekunden

Ein Jahr später ist José Pékerman Trainer der A-Auswahl und bastelt an seinem Kader für die WM in Deutschland. Bei einem Freundschaftsspiel gegen Ungarn in Budapest lässt er Lionel Messi debütieren, der allerdings wenige Sekunden nach seiner Einwechslung vom deutschen Unparteiischen Markus Merk nach einem vermeintlichen Schlag gegen seinen Gegenspieler des Feldes verwiesen wird. Dennoch nimmt Pékerman den jungen Messi in seinen hochkarätigen WM-Kader auf.

Seitdem denken viele Argentinier, dass Pékerman beim Viertelfinale gegen Deutschland den größten Fehler seiner Trainerlaufbahn begeht: Nach dem Führungstreffer durch Ayala müssen die Gauchos zehn Minuten vor Schluss den Ausgleich durch Miroslav Klose einstecken. Messi wäre eine Option für frischen Wind in der Verlängerung. Allerdings entscheidet sich Pékerman zunächst für Julio Cruz und später für Rodrigo Palacios. Das Bild des trauernden Lionel Messi auf der Bank der Argentinier geht um die Welt.

Pékerman wird nach WM-Aus verteufelt

Man tut Pékerman mit diesem Urteil unrecht. Was in der argentinischen Retrospektive häufig vergessen wird, ist, dass Messi damals noch längst kein etablierter Superstar war. Sondern ein hochambitionierter Nachwuchsspieler, der in der Nationalmannschaft längst nicht so gut spielte wie beim FC Barcelona. Pékerman klärt Jahre später auf, dass er vor dem Turnier versucht hatte, Messis Hoffnungen auf Spielminuten runterzuschrauben: "Hier gibt es viele große Spieler, die Mannschaft ist etabliert. Du bist eine überraschende Ausnahme und kannst hier viel lernen. Aber sich während des Turniers in die Mannschaft zu spielen, ist sehr schwierig."

Scheinbar ist Messi selbst einer der wenigen Argentinier, die Pékerman für sein damaliges Handeln nicht verurteilen. Im Gegenteil: Als er 2009 erstmals zum Weltfußballer des Jahres gewählt wird, widmet er Pékerman diesen Titel. "Für mich war das eine riesige Ehre", so der heute 65-Jährige.

Aus der heutigen Mannschaft Argentiniens verdanken auch Pablo Zabaleta und Martin Demichelis ihre Debüts in der Albiceleste Pékerman. Auch er war es, der vor zehn Jahren Javier Mascherano erstmals zum Kapitän der Landesauswahl machte. Als Trainer von Kolumbien hat Pékerman in der Nacht zu Samstag (ab 01:30 Uhr im weltfussball-Liveticker) die Möglichkeit, erstmals in der Geschichte als Argentinier eine argentinische Mannschaft aus einem Turnier zu werfen. Vielleicht würden die argentinischen Fans dann endlich den vermeintlichen Fehler von 2006 vergessen. 

Mehr aus der Südamerika-Kolumne:
>> Teil 14: Vidals Autounfall löst Erdbeben aus
>> Teil 13: Argentinier geben den Ton an
>> Teil 12: Copa zwischen Fanfesten und Protesten
>> Teil 11: FIFA-Skandal: Die Rolle der Südamerikaner
>> Teil 10: Carlitos und der "Tévez vor Tévez"
>> Teil 9: Skandalspiel: Abbruch durch Pfefferspray
>> Teil 8: Brasilien: Zuhause ist's am besten
>> Teil 7: Boca – River: Der Hyper-Clásico
>> Teil 6: América de Cali: In der Hölle
>> Teil 5: Der Alles-Favorit: Bocas breite Brust
>> Teil 4: Brasilien: WM-Stadien zu verkaufen
>> Teil 3: "Dickerchen" Walter: Legende mal anders
>> Teil 2: Chiles goldene Generation der "Flegel"
>> Teil 1: Copa Libertadores: Feuertrunken - fanatisch

Für weltfussball berichtet aus Südamerika: Viktor Coco