28.10.2016 12:16 Uhr

Heidel: "Werde BVB nicht zum Vorbild machen"

Christian Heidel will den BVB nicht zum Schalker Vorbild machen
Christian Heidel will den BVB nicht zum Schalker Vorbild machen

Christian Heidel erlebt als neuer Sportvorstand von Schalke 04 am Samstag in Dortmund sein erstes Revierderby. Im Interview äußerte sich der 53-Jährige über die Entwicklung der beiden Erzrivalen, seine ehemaligen Mainzer Trainer beim BVB, Schalkes Nachholbedarf und die von Thomas Tuchel losgetretene Foul-Diskussion.

Herr Heidel, als neuer Sportvorstand von Schalke 04 sind Sie seit ein paar Monaten Revierbürger. Wie erleben Sie in Ihrem Wohnort Essen vor dem Derby die Rivalität mit Borussia Dortmund?

Christian Heidel (Sportvorstand Schalke 04): Man hat mir gesagt, dass Essen unterteilt ist in RWE, S04 und BVB. Ich wohne im Süden und habe bereits viele Schalker kennengelernt. Auch der Italiener, zu dem wir häufig gehen, ist glühender Schalke-Fan. Über dieses Spiel wird natürlich überall und immer gesprochen.

Spüren Sie, welche Bedeutung Fußball für die Leute hier hat?

Alle beschäftigen sich mit Fußball. Jeder weiß irgendwie Bescheid, jeder hat seinen Verein. Der Fußball ist hier ganz anders zu Hause als im Rhein-Main-Gebiet, wo es doch auch sehr viele neutrale Fußballfans gibt.

Derbys haben Sie in Ihrer Zeit in Mainz auch erlebt. Was macht das Revierderby so besonders?

Man kann die Derbys - in Anführungszeichen - mit Mainz gar nicht damit vergleichen. So etwas muss es 50, 60, 70 Jahre geben. Hier ist etwas ganz Extremes, beide spielen, seit es die Bundesliga gibt, in derselben Liga - bis auf ganz wenige Ausnahmen. Und sind auch schon vorher ständig aufeinandergetroffen. Es ist die Mutter aller Derbys.

Vor zehn Jahren lag Schalke deutlich vor dem BVB und hat in Serie in Dortmund gewonnen. Das hat sich gedreht. Schalke ist in die Rolle als Chaosklub gerutscht, Dortmund steht dagegen für Kontinuität.

Dortmund hat 2008 einfach eine sehr, sehr glückliche und gute Personalentscheidung getroffen und meinen Ex-Trainer und Freund Jürgen Klopp von Mainz nach Dortmund geholt. Damit hat sich der Verein komplett verändert. Vor Klopp hatte Schalke doch Rückstand auf den BVB in Sachen Chaos. Beinahe hätte es den BVB gar nicht mehr gegeben. Aki Watzke, Michael Zorc und Jürgen Klopp haben dann für Ruhe und Kontinuität gesorgt, und die Erfolgsgeschichte begann.

In welcher Beziehung ist der BVB Vorbild für Schalke?

In dieses Fettnäpfchen werde ich sicher nicht treten und den BVB zum Schalker Vorbild machen. Ich will es lieber verallgemeinern: An der Bundesliga-Tabelle können Sie ablesen, dass die Klubs, die mit einem klaren Plan, Kontinuität und Sachverstand arbeiten, oben stehen - das ist nicht nur Dortmund, das ist Bayern, meistens auch Leverkusen oder Mönchengladbach. Aber auch Vereine wie Mainz oder Augsburg, die mit ganz anderen Möglichkeiten europäisch spielen oder spielten. Kontinuität heißt nicht, dass der Trainer oder der Manager 20 Jahre da sein muss, sondern eine Kontinuität der Idee, der Philosophie. Das sollte uns Vorbild sein. Das ist der Anspruch, den wir zukünftig an uns auch stellen."

Beim Fehlstart in die Saison ist es trotz fünf Niederlagen erstaunlich ruhig geblieben. Ein Anfang auf diesem Weg?

Niemand hat sich so einen Start gewünscht. Aber wenn es für irgendetwas gut war, dann als erste Bewährungsprobe. Man ist im Klub, aber auch im Umfeld damit umgegangen, wie es das wahrscheinlich in der Art noch nicht gab. Das hat viel damit zu tun, dass man versteht, was wir hier erreichen wollen. Der Erfolg fällt nicht vom Himmel. Alles zu verändern, ist innerhalb von Tagen und Wochen einfach nicht möglich. Ich habe vom ersten Tag an gesagt, dass man vielleicht mal einen Schritt zurück muss, um zwei nach vorne zu kommen. Uns geht es um Nachhaltigkeit. Das große Ziel ist, nicht auf Teufel komm raus am Ende der Saison möglichst weit oben zu stehen, sondern die Basis zu legen, sich über Jahre nachhaltig oben festzusetzen. Mit Jürgen Klopp war der BVB auch nicht im ersten Jahr oben in der Tabelle, und trotzdem sind ihm alle gefolgt.

Wie geht die Umstellung vonstatten?

Wir wollen unseren Fußball verändern. Pressing, Gegenpressing, wollen offensiv verteidigen. Das muss erstmal in die Köpfe, was nicht so einfach ist. Der eine muss es lernen, der andere wird es vielleicht nicht verinnerlichen. Natürlich müssen wir den Kader Schritt für Schritt anpassen. Wir haben die gesamte Infrastruktur auf den Kopf gestellt, was absolut notwendig war. Wir sind jetzt dabei, mit den modernsten Mitteln zu arbeiten. Der Wille auf Veränderung und Erneuerung ist auf Schalke mittlerweile sehr ausgeprägt. Gleichzeitig versteht man aber, dass es nicht von heute auf morgen geht. Aber Fakt ist ebenso: Irgendwann werden wir am Erfolg gemessen, und das wollen wir auch.

Der BVB steht für Offensiv-Spektakel. Sie wollen eine Malochertruppe. Ein anderer Ansatz?

Das beißt sich überhaupt nicht, denn Dortmund malocht ohne Ende. Es geht mir in erster Linie um die Lust am Verteidigen, dass man den Ball sofort wiederhaben will. Dafür muss man wesentlich mehr laufen, wesentlich mehr sprinten. Der BVB hat sein Spiel inzwischen umgestellt. Früher war es brutaler Umschaltfußball - war der Ball erkämpft, ging die Post ab. Heute geht es darum, das Spiel der Mannschaft im eigenen Ballbesitz zu optimieren - wie bei Pep Guardiola, der es bei Bayern nahezu in Perfektion gemacht hat. Das ist eine logische Entwicklung. Ich kenne die geistige Verbindung von Thomas Tuchel zu Guardiola aus sechs Jahren in Mainz, es war immer das Thema.

Wie weit ist Schalke?

Wir sind mitten in einer Entwicklung. Auf dem Feld und auch neben dem Feld. Das Nürnberg-Spiel war das beste Beispiel. Sechzig Minuten haben wir offensiv und defensiv sehr, sehr viel richtig gemacht, dann aber in der Arbeit gegen den Ball stark nachgelassen und dem Club erlaubt, Fußball zu spielen: Sofort bekamen wir Probleme. Alle Spieler müssen bei Ballverlust 90 Minuten und nicht 60 Minuten verteidigen.

Wenn man so spielt, wie Sie es fordern, gibt es zwangsläufig Fouls. Wie viele Fouls darf sich Schalke in Dortmund erlauben?

Das Thema ist nach Thomas Tuchels Aussagen ein wenig hochgespielt worden. Er hat das ja längst relativiert. Fouls dürfen kein regelmäßiges Stilmittel sein, um das Spiel des Gegners zu unterbrechen. Das hat dann wenig mit Fußball zu tun. Dass die Dortmunder häufiger gefoult werden, ist sicher ihrer individuellen Klasse und ihrem hohen Tempo geschuldet. Zu sagen, sie werden absichtlich gefoult, finde ich dennoch zu weit hergeholt. Ich weiß, dass auch Thomas Tuchel aggressiv spielen will und lässt.