09.05.2014 10:09 Uhr

Die Riesen aus dem Norden

Casimero Ribeiro (M.), genannt Vágner Love, beim Dribbling
Casimero Ribeiro (M.), genannt Vágner Love, beim Dribbling

Brasil Inside: Im Norden von Brasilien sorgt eine Fußballmannschaft von Kleinwüchsigen für Furore. Die "Gigantes do Norte" stammen aus Belén, jene Stadt, die überraschenderweise kein Spielort für die Weltmeisterschaft wurde.

Der Kleinste von ihnen misst gerade mal einen Meter Körpergröße. Seine Mitspieler sind nur wenige Zentimeter größer und dennoch besticht die gesamte Truppe durch Technik, Passgenauigkeit und taktisches Verständnis. Das Team aus Belém am nördlichsten Zipfel Brasiliens gilt als nahezu unschlagbar. 2006  wurde die Auswahl gegründet und baut seitdem landesweit Vorurteile gegen Kleinwüchsige ab.

Zweistöckige Freistoßmauer

"Wenn sie meine Größe hätten, wären einige von ihnen sicherlich Profispieler", äußert sich Trainer Marcos Martins stolz über seine Mannschaft. Gut, sie spielen eigentlich nur zu Werbezwecken oder auf karitativen Veranstaltungen gegen Jugendmannschaften. Aber innerhalb dieses Rahmens mussten sie in den letzten 50 Spielen nur drei Niederlagen einstecken.

Besonders bemerkenswert ist sicherlich, dass sie ihre Duelle auf dem Großfeld austragen. Lediglich  ihr Torhüter hat eine normale Körpergröße und gleicht so den einzigen sichtbaren Nachteil der "Giganten aus dem Norden" aus. Denn selbst bei einem gegnerischen Freistoß wissen sie sich zu helfen und bilden eine zweistöckige Mauer – mit jeweils einem Mitspieler auf den Schultern.

Stürmerstar Vágner Love

Der Star der Mannschaft ist Casimero Ribeiro, der wegen seiner Cornrow-Frisur von allen nur Vágner Love genannt wird. Wie auch der ehemalige Spieler von ZSKA Moskau ist dieser Vágner Love der Top-Stürmer der "Gigantes". "Ich mache das, was die Fans fordern: Den Ball halten und Tore schießen", sagt er routiniert.

Seine starken Leistungen auf dem Fußballplatz helfen ihm und seinen Mitspielern, Vorurteile gegen Kleinwüchsige abzubauen und gleichzeitig Selbstbewusstsein zu entwickeln. "Früher habe ich auf der Straße immer nur dumme Sprüche und Diskriminierung erlebt. Wenn ich Fußball spiele, höre ich jetzt viele Komplimente", so "Vágner Love".

Belém kein WM-Spielort

Die "Riesen aus dem Norden" werden mittlerweile für Turniere und Freundschaftsspiele im ganzen Land gebucht und rücken dabei ihre Heimatstadt Belém aus dem Bundesstaat Pará zurück ins Bewusstsein der Brasilianer. Die 1,5 Millionen-Einwohnerstadt am Delta des Amazonas-Flußes gilt als kulturelle Hochburg der nördlichen Großstädte und wurde lange Zeit als Spielort für die Weltmeisterschaft gehandelt, verlor aber das regionale Duell gegen Manaus.

Im Sinne des Föderalismus sollte ein Austragungsort im Amazonas auf die WM-Landkarte. Im Gegensatz zu Manaus, jener Betonwüste mitten im Urwald, hat Belém eine bestehende fußballerische Infrastruktur. Das 2002 restaurierte Mangueirão ist ein modernes und funktionstüchtiges Stadion mit 45.000 Plätzen.

Unnützes Stadion in Manaus

Eigentlich perfekt für vier Vorrundenspiele, die nun aber in Manaus ausgetragen werden. In einer Arena, die die deutschen Medien berechtigterweise als das "absurdeste WM-Stadion" (Die Welt) oder als das "tödliche Stadion" ("Die Zeit") beschrieben. Zudem gibt es in Belém im Gegensatz zu Manaus ernstzunehmenden Vereinsfußball. Neben den erwähnten Gigantes do Norte spielen Paysandu und Remo zwar auf nationaler Ebene keine Rolle, dafür haben die Klubs große und leidenschaftliche Fanlager.

Im etwas größeren Manaus gibt es keinen Verein mit erwähnenswerter Anhängerschaft und auch zu lokalen Derbys kommen nur wenige Tausend. Dennoch wurde hier für 220 Millionen Euro Steuergelder ein WM-Stadion gebaut, um die Region touristisch zu erschließen. Belém rückt dadurch in den fußballerischen Schatten. Was bleibt ist die Aufmerksamkeit durch die kleinen Riesen um "Vágner Love".

Viktor Coco

Mehr aus der Serie "Brasil Inside":
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In den Wochen vor der WM in Brasilien berichtet Viktor Coco in der Serie "Brasil Inside" vor Ort über Land, Leute und Wissenswertes rund um die heimliche Heimat des Fußballs.