22.06.2018 07:47 Uhr

1986: Maradonas göttliche Rache gegen England

Diego Maradona erzielt mit der
Diego Maradona erzielt mit der "Hand Gottes" das 1:0 gegen England

Alle vier Jahre wird bei WM-Endrunden Geschichte geschrieben. Während der Weltmeisterschaft in Russland erinnert weltfussball an kuriose Ereignisse und unvergessene Momente. Heute: Maradonas große Show gegen England.

Am 22. Juni 1986 wurde im Aztekenstadion von Mexiko-City Fußballgeschichte geschrieben. 114.580 Zuschauer sahen ein WM-Viertelfinale, das noch heute für Diskussionen sorgt.

Auf dem brütend heißen Geläuf standen sich mit England und Argentinien zwei Mannschaften gegenüber, die noch Rechnungen aus den vorherigen Endrunden offen hatten. Die "Albiceleste" enttäuschte 1982 auf ganzer Linie und schied als amtierender Titelträger bereits in der Zwischenrunde aus. Den "Three Lions" ereilte das gleiche Schicksal, obwohl sie in Spanien ungeschlagen blieben.

Nun kam es vier Jahre später in der Runde der letzten Acht zum direkten Duell. Die Argentinier um Trainer Carlos Bilardo marschierten als Erster durch die Gruppe und schalteten anschließend Uruguay (1:0) aus. England quälte sich durch die erste Phase des Turniers, feierte dafür im ersten K.o.-Spiel einen überzeugenden 3:0-Erfolg gegen Paraguay.

"Feinde" unter sich

Das Aufeinandertreffen der beiden Nationen bekam international riesige Aufmerksamkeit: 1982 verteidigte Großbritannien im Krieg gegen Argentinien die Hoheit über die Falklandinseln. Bei den argentinischen Fans war die Erinnerung an die schmerzliche Niederlage noch sehr frisch.

Der Partie gegen den "Feind" von damals kam daher eine besondere Bedeutung zu. Die Hoffnungen ruhten vor allem auf ihrem Kapitän Diego Armando Maradona.

Hatte der Spielmacher bei der WM 1982 über weite Strecken des Turniers noch enttäuscht, so zeigte er jetzt, was in ihm steckte. Bereits in der Gruppenphase bot er starke Leistungen, doch gegen England toppte er alles.

Die Show beginnt

Von Beginn an riss der damals 26-Jährige das Spiel an sich. Seine atemberaubenden Dribblings überforderten die englische Defensive, dennoch musste sich der Spielmacher zur Pause nur mit einem Pfostentreffer begnügen. Das sollte sich in den zweiten 45 Minuten ändern.

Nach dem Wechsel hielten die Südamerikaner das Tempo hoch. Die "Three Lions" wankten wie ein angeschlagener Boxer – und gingen in der 51. Minute erstmals zu Boden. "El Diego" ließ im Mittelfeld drei Gegenspieler stehen und bediente Jorge Valdano an der Strafraumkante. Steve Hodge ging dazwischen und produzierte eine unglückliche Bogenlampe, die genau auf das Tor von Peter Shilton zuflog.

Der englische Keeper erkannte die Situation und eilte aus seinem Kasten, um das Leder abzufangen. Maradona hatte im Luftkampf mit seinen 1,67 Metern gegen den fast 20 Zentimeter größeren Shilton eigentlich keine Chance. Eigentlich. Die Nummer zehn sprang hoch, riss den linken Arm in Höhe und beförderte das Leder mit seiner Hand über den Keeper ins Netz. Ein Skandal.

Die "Hand Gottes"

Die Briten waren außer sich. Sie rannten wie von der Tarantel gestochen auf Schiedsrichter Ali Bin Nasser, doch der blieb bei seiner Meinung und gab den Treffer. "Es war ein bisschen die Hand Gottes und ein bisschen Maradonas Kopf", gab "Dieguito" hinterher zu Protokoll und lachte noch Jahre später: "Das war, als hätte ich ihre Portemonnaies geklaut!" Von Reue oder Einsicht keine Spur.

Seine Mitspieler hatten das Handspiel genau erkannt und jubelten nur sehr zurückhaltend. Sie sprachen von einem "geraubten Tor", doch Maradona entgegnete: "Wer einen Räuber beklaut, dem wird 100 Jahre lang vergeben." Er sah in seiner Unsportlichkeit eine Art Rache für den verlorenen Falklandkrieg.

Argentinien nicht zu stoppen

Das sollte jedoch erst der Anfang sein: Nach dem 1:0 lief Maradona zu absoluter Höchstform auf. Nur drei Minuten später setzte er zu einem historischen Sololauf an, der für immer in Erinnerung bleiben sollte.

Innerhalb von elf Sekunden schnappte sich "El Diego" die Kugel in der eigenen Hälfte, umkurvte nahezu die komplette englische Hintermannschaft wie Slalomstangen, drang in den Strafraum ein, düpierte Shilton mit einer Körpertäuschung und erzielte das "WM-Tor des Jahrhunderts" zum 2:0.

"Entschuldigen Sie, aber ich möchte weinen!" rief Radiokommentator Victor Hugo Morales für Millionen Zuhörer ins Mikrofon und Gary Lineker gab zu Protokoll: "Zum ersten Mal in meiner Karriere wollte ich einem Gegner für ein Tor applaudieren." Englands Topstürmer gelang kurz vor Schluss sogar noch der Anschlusstreffer, für die Engländer war das aber nur bedeutungslose Ergebniskosmetik.

Acht Tage nach dem denkwürdigen Spiel gegen England hielt "Dieguito" den WM-Pokal in die Höhe. Die "Gauchos" eliminierten zunächst Belgien im Halbfinale und gewannen auch das Endspiel gegen Deutschland mit 3:2. Argentinien hatte seinen zweiten Weltmeistertitel, Maradona seinen Platz in den Geschichtsbüchern und seine ganz persönliche Rache an England.

Thomas Eßer/Benedikt Strickmann