07.02.2024 07:21 Uhr

Leverkusen wird zur Monster-Aufgabe für den FC Bayern

Xabi Alonso und Bayer-Star Grimaldo jubeln nach dem Schlusspfiff
Xabi Alonso und Bayer-Star Grimaldo jubeln nach dem Schlusspfiff

Bayer Leverkusen spektakelt sich gegen den VfB Stuttgart ins Pokal-Halbfinale - mit Herz und Seele. Auf den FC Bayern wartet am kommenden Samstag im Gigantentreffen eine knifflige Aufgabe.

Sprachlich ging es bei Xabi Alonso am späten Dienstagabend drunter und drüber. Ohne "control" und "stability" hätte seine Mannschaft dieses Spiel bestritten. Dafür aber mit "heart" und "soul".

Der Trainer klopfte sich dabei auf das eigene Herz und sprach die Worte auf Deutsch, ein bisschen auf Englisch und mit seinem charmanten spanischen Akzent aus. Das alles war so unorganisiert, durcheinander und authentisch, wie das dritte von vier Viertelfinalduellen im DFB-Pokal zuvor gewesen war.

Seine Mannschaft, Bayer 04 Leverkusen, hatte den VfB Stuttgart in 90 Minuten aus dem Wettbewerb gerungen. Nicht ohne die Fußball-Nation in seinen Bann zu ziehen. Und nicht ohne Drama. In der letzten Minute köpfte Nationalspieler Jonathan Tah den Ball zum Sieg ein (90.). Mit 3:2 war zu Ende gegangen, was alle Beteiligten ans Limit getrieben hatte.

Am Samstagabend kommt nun der FC Bayern in die BayArena (18:30 Uhr im Liveticker bei sport.de). Zwar wird in diesem Spiel nicht die Meisterschaft entschieden, aber zumindest emotional vorverhandelt, wer in dieser Saison den Titel einfahren kann.

Die Bayer-Elf hat beste Aussichten auf die Schale, noch immer ist sie unbesiegt, schraubte ihre Serie gegen die Schwaben auf 30 unbesiegte Spiele nacheinander. Das ist phänomenal. Und natürlich längst kein Zufall mehr. In Leverkusen merken sie immer mehr, dass da etwas ganz Großes im Heranwachsen ist. Dank Xabi Alonso. Er hat ein (Mentalitäts)-Monster erschaffen, dass nun vor seiner bisher größten Prüfung steht.

Guardiola-Vibes an der A3

Der Spanier hat den Verein komplett für sich erobert. Unter dem Bayer-Kreuz spüren sie Josep-Guardiola-Vibes. Das ist zwar eine große Referenz, aber nicht allzu weit hergeholt.

Längst wird sein Name bei den großen Giganten gehandelt. Beim FC Bayern (in einer ferneren Zukunft), beim FC Liverpool, die im Sommer einen charismatischen Erben für Jürgen Klopp brauchen und bei Real Madrid. Bei jenen drei Vereinen, in denen er selbst als Anführer vorangegangen war und seine Weltklasse als Dirigent auf den Platz gebracht hatte.

Leverkusen, das ahnen sie, dürfte schnell zu klein werden für diesen Trainer. Ebenso wie für einige Spieler, die Begehrlichkeiten wecken. Dieses Szenario wiederum eint sie mit dem VfB. Aber mit den großen Gedankenspielen mag sich Xabi Alonso nicht beschäftigen.

Er denkt, das klingt fürchterlich langweilig, von Spiel zu Spiel. Aber diese Floskel füllt sich in Leverkusen mit Leben. Dass etwa der FC Bayern bereits anklopft - und leise stichelt, das war in den Köpfen der Bayer-Spieler nicht verhaftet.

Und schon gar nicht in dem des Trainers, der das Spiel wie ein eingesperrter Tiger verfolgte. Auf und ab lief er in seiner Coaching-Zone. Dirigierte, schrie, pfiff, jubelte, schob Frust, jubelte - und eskalierte. Nach einem wilden Ritt durch das gesamte Spektrum der Emotionen jubelte er wie von Sinnen. Er riss die Arme nach oben, nahm in den Arm, was ihm auf dem Feld entgegenkam, sprang in die Luft, winkte und verteilte Luftküsschen. Hier denkt und lebt ein Mensch tatsächlich von Spiel zu Spiel. Und hat diesen Geist in seiner Mannschaft tief verankert.

Mit dem VfB Stuttgart hatte diese vor über 30.000 Zuschauern schließlich genug zu tun gehabt. Das Spiel nahm mit Anpfiff den dröhnenden Beat von AC/DC's "Hells Bells" an. Volle Lotte von Beginn an.

Die Gäste rannten die Gastgeber mit einer Intensität und einem Tempo an, als wollten sie sie auffressen. So hoch und mutig hatte hier lange keine Mannschaft mehr agiert. Später befand Xabi Alonso, dass der "VfB die bisher beste Mannschaft war, die in dieser Saison in BayArena zu Gast war".

Die Schaltzentrale um Granit Xhaka und Robert Andrich hatte reichlich Mühe, die Gänge zu finden. Der hochtourig rasende Bayer-Bolide, der seit der letzten Pflichtspielpleite am 27. Mai 2023 im Bochumer Ruhrstadion, mit Lichthupe über die linke Spur in allen Wettbewerben donnert, lag folglich früh zurück. Waldemar Anton war Edmond Tapsoba entwischt und köpfte zum 1:0 für den VfB ein.

Andrichs Einsteigen sorgt für Ärger

Der Dunst der Pyroshow der eigenen Fans hatte Bayer den Blick auf das klare Spiel vernebelt. Bis kurz vor der Pause fanden die Gastgeber kaum Lösungen gegen das variable und aggressive Pressing der Stuttgarter und deren Versuche, Stürmer Deniz Undav steil zu schicken.

Der Sensationsangreifer, den es im März wohl erstmals in die deutsche Nationalmannschaft spült, war von Tah plötzlich abgemeldet.

In herrlichen Duellen arbeiteten sich der Hüne (Tah) und der Kämpfer (Undav) hart aneinander ab. Der nach Punkte unterlegene Stuttgarter urteilte später, dass sich hier die "beiden besten Mannschaften der Liga" gegenübergestanden hätten. Die beiden Trainer wollten das so nicht unterschreiben.

VfB-Coach Sebastian Hoeneß erinnerte an den FC Bayern, wollte sich aber darauf verständigen, dass die Kontrahenten frech und mutig spielen, dass sie Spaß machen. Xabi Alonso drückte es noch diplomatischer aus: "Ich weiß es nicht", säuselte er dahin, die Leute lachten.

Nur Hoeneß nicht. Der war genervt. Nicht nur wegen der Niederlage, sondern auch wegen Andrich. Der hatte hart zu gelangt. Gleich doppelt. Einmal sah er Gelb (gegen Atakan Karazor), einmal nicht (gegen Enzo Millot). Der Gäste-Coach ahnte, dass das Spiel dann in eine andere Richtung, in seine, gekippt wäre.

Doch Andrich blieb und schlenzte Bayer nach dem Wiederanpfiff traumhaft zurück in dieses Duell, das nun noch mitreißender und intensiver wurde. Bereits nach 55 Minuten herrschte das Gefühl vor, dass die Visiere bis zum Anschlag hochgeklappt waren. Beide Mannschaften hatte die ganz große Lust an diesem Duell entwickelt.

Die Lust am Passspiel, die Lust an der Intensität und der immer guten Ideen, sie riss die Fußballfans überall mit. Bei X, wurden die Protagonisten wild abgefeiert. Und wie sie alle hießen: Tah, das große Zweikampfmonster, das den Siegtreffer mit voller Überzeugung und Gier herbeiwuchtete. Florian Wirtz, der den Ball so zart behandelt, dass der vor Genuss dahinschmelzen will. Oder Xhaka, der unerschütterliche Zenturio im Mittelfeld.

"Es fühlt sich brutal gut an"

Doch auch Stuttgart hat diese Spieler, die für die dicken Rollen taugen. Anton etwa, der Torschütze, der auch als Abwehrchef abermals so stark spielte, dass er aus den Nationalmannschaftsdebatten kaum noch herauszuhalten ist. Ebenso wie Undav, auch wenn er blass blieb. Und ebenso wie Chris Führich, der die Kunst der Einfachheit beherrscht, aber auch die Wucht der Überzeugung.

So beim 2:1 (58.), als er den Ball unter Druck souverän in die Ecke pfefferte. Der nicht gänzlich souveräne Pokal-Keeper Matěj Kovář war machtlos, hatte dann aber seine beste Szene, als er in der 63. Minute einen langen Abwurf so überragend zu Wirtz brachte, dass der alleine losstürmen konnte. Das Supertalent zögerte, schlenkerte einmal zu viel und vergab.

Anders als Joker Amine Adli, der in der 66. Minute einen Gegenspieler abschüttelte und Alexander Nübel überwand, der sich allerdings auch etwas unentschlossen im Stellungsspiel verloren hatte, 2:2. Atempause? Volle Lotte. Und dann stand Tah da, 3:2.

"Es fühlt sich brutal gut an. Gerade in so einem Spiel gegen so einen Gegner, der uns sehr große Probleme bereitet hat. Das gibt uns viel Energie und positive Hoffnung für alles, was jetzt noch kommt", sagte Tah im Anschluss in der "ARD". Das ist nun eben der FC Bayern. Zum hochgejazzten Titelduell. "Stell dir mal vor", sagte einer in den Katakomben der Arena, "Bayer holt jetzt wirklich das Double. Und spielt dann noch in der Europa League gegen den FC Liverpool."

Gegen Klopp, als dessen Erben Xabi Alonso gehandelt wird. Aber gemach, es ging auch so schon alles drunter und drüber.

Tobias Nordmann und Emmanuel Schneider, Leverkusen