24.01.2014 08:03 Uhr

Leipzig: Übermacht mit Achillesferse?

Der Dackelblick täuscht: Die Roten Bullen streben mit aller Macht nach oben
Der Dackelblick täuscht: Die Roten Bullen streben mit aller Macht nach oben

Vor dem Wiederanpfiff in der 3. Liga beherrscht RB Leipzig die Schlagzeilen in der an Schlagzeilen nicht eben reichen Spielklasse. Mit einigen ebenso namhaften wie teuren Verstärkungen wollen die Sachsen den Durchmarsch in die 2. Bundesliga sichern. Dieser droht nun aber auf juristische Hindernisse zu stoßen. Gegner des "Retortenklubs" reiben sich bereits die Hände. Vielleicht zu früh.

2015. In Stein gemeißelt sei diese Zahl nicht, betont Florian Müller im Sommer 2013. Aber viel später soll es dann bitte auch nicht passieren, so der Vorstandsvorsitzende von RB Leipzig. Die Rede ist vom Zeitpunkt des Aufstiegs in die Bundesliga, dem Ziel des sächsischen Klubs mit dem großen Konzern im Rücken. Im Plan der Macher waren zunächst - ganz bescheiden - zwei Nichtaufstiege bis zur Eliteklasse einkalkuliert worden. Die beiden Extrarunden hat man dann allerdings schon in der Regionalliga gedreht.

Die aktuelle Realität lautet 3. Liga – noch. RB belegt nach 21 von 38 Spielen einen Aufstiegsplatz. Und weil man diesmal offenbar ganz sicher gehen will, legte man in der Winterpause noch ein paar Hunderttausend Euro auf den Tisch und angelte sich neben Paderborns Stammspieler Diego Demme auch noch das Wolfsburger Ausnahmetalent Federico Palacios Martínez. Zudem verstärkt ein finnischer Nationalspieler den Kader und für den schwer verletzten Christian Müller wurde auf dem kurzen Dienstweg Georg Teigl aus der Salzburger Konzernfiliale geholt. Unter dem Strich sollen die Transferausgaben in dieser Saison über zwei Millionen Euro liegen – Möglichkeiten, von denen die Konkurrenz in Liga 3 nicht einmal zu träumen wagen würde.

Erfolgsgarant Rangnick?

Aber was heißt schon Konkurrenz? Darmstadt, Erfurt oder Rostock sind ja erklärtermaßen nur kurze Durchgangsstationen auf dem Weg nach Berlin, München und Dortmund. Ein Garant für die zügige Ankunft dort soll ein Name sein: Ralf Rangnick. Der einstige Trainer von Stuttgart, Hannover und Schalke ist Sportdirektor bei RB. Im doppelten Sinne, denn neben Leipzig übt er diese Funktion auch in Salzburg aus. Rangnick kennt sich aus mit ambitionierten "Fußballprojekten". Zwischen 2006 und 2008 führte er als Trainer 1899 Hoffenheim von der Regional- in die Bundesliga. 

Angesprochen auf Erfolgsrezepte und den Reiz für potentielle Neuzugänge nennt Rangnick gerne "bundesligareife Bedingungen", die "sportliche Perspektive" oder dass man fast "ausschließlich junge Spieler verpflichtet". Dass aber auch von Spitzenvereinen umworbene Talente wie der Däne Yussuf Poulsen, Joshua Kimmich oder eben Palacios Martinez alleine deshalb nach Leipzig kommen oder einfach nur seinem guten Ruf folgen, glaubt natürlich auch Rangnick nicht wirklich. "Ohne finanzielle Voraussetzungen geht es im Profifußball nicht", lautet seine milde Umschreibung der viel kritisierten Tatsache, dass der hinter allem stehende "Red Bull"-Konzern das Leipziger Projekt mit gehörigem finanziellen Aufwand Richtung Bundesliga schiebt.

Das wird  nicht allein an den jüngsten Transferausgaben deutlich. Noch weit mehr investiert "Red Bull" in ein neues Leistungszentrum in Leipzig. 35 Millionen Euro soll der Komplex kosten, dessen Bau der Stadtrat im vergangenen Monat ohne Murren durchgewunken hat. Die Messestadt legt den Roten Bullen seit langem den gleichfarbigen Teppich aus. Auch viele fußballinteressierte Leipziger, der ewigen und oft eskalierten Konflikte zwischen den beiden Traditionsklubs Sachsen und Lok überdrüssig, haben das Projekt RB mit offenen Armen empfangen. Und das Interesse wächst spürbar. RB ist ein Retortenklub, aber kein Retortenklub, der vor leeren Rängen spielt. Über 13.000 Zuschauer verfolgten durchschnittlich die Spiele dieser Saison - der zweitbeste Besuch nach dem MSV Duisburg und mehr als doppelt so viele wie im Ligadurchschnitt. Das Stadion, das längst auf den nur konsequenten Namen "Red Bull Arena" hört, fasst freilich noch mehr: Die WM-Spielstätte von 2006, die schon heute die Voraussetzungen für die Bundesliga erfüllt, bietet Platz für über 44.000.

Achillesferse Vereinssatzung?

Die Infrastruktur ist oder wird also für 2015 gerüstet. Womöglich aber droht dem Verein von ganz anderer Seite aktuell Ungemach. Die scheinbar nicht aufzuhaltenden Bullen bieten einigen Kritikern zufolge eine Achillesferse: die Vereinsstruktur. Die Satzung des Klubs schreibt z.B. vor, dass die Mitglieder den mächtigen Ehrenrat gleich auf die verblüffend lange Dauer von sieben Amtsjahren wählen. Vor allem aber sind es die Zugangsschranken für potentielle Neu-Mitglieder, die  für Missfallen sorgen. Wer sich von der Hürde der angesetzten 100 Euro Aufnahme- und sage und schreibe 800 Euro Jahresgebühr noch nicht hat schrecken lassen, ist bei RB nämlich noch nicht am Ziel. Jeder Antrag auf Mitgliedschaft kann nach bis zu einem halben Jahr und ohne Angaben von Gründen abgelehnt werden. Das ist an sich kein außergewöhnlicher Passus, ähnlich findet er sich auch bei Traditionsvereinen. Nur haben die oft Tausende von stimmberechtigten Mitgliedern. Bei RB sind es derzeit: neun.

Als Andreas Rettig, seines Zeichens Geschäftsführer der DFL, jüngst auf einem Fankongress in Berlin verlautbaren ließ, dass Investoren willkommen seien, sich aber "an die Spielregeln halten" müssten, "die Mitwirkungsmöglichkeit des Mitgliedes nicht eingeschränkt werden darf" und "wenn Eintrittsbarrieren für Mitglieder bestehen, wir ganz genau hinschauen", dürften nicht wenige hellhörig geworden sein. Rettig nannte zwar keinen Adressaten seiner Worte, verstanden haben aber alle in Berlin, wer gemeint war. Nur saß in Berlin mit den vor allem die Traditionsklubs unterstützenden Fans nicht gerade eine Klientel, die als glühende Anhänger des Projektes RB identifiziert werden kann. Gut möglich also, dass Rettig seiner kritischen Zuhörerschaft nur ein wenig Honig um den Bart geschmiert hat. Zumal die Mitglieder-Akquise der Vereine in den DFL-Statuten nicht näher geregelt ist. Und: Beim DFB hatte man zuletzt keine Bedenken, die Lizenz für die 3. Liga wurde im vergangenen Jahr anstandslos durchgewunken.

Das Problem mit "50+1"

In Leipzig begegnete man bisher den "Empfehlungen" zur Modifikation der Satzung so auch durchaus mit einer gewissen Gelassenheit. Das dürfte auch daran liegen, dass die viel diskutierte "50+1-Regel" auf RB eigentlich nicht anwendbar ist. Diese gilt nämlich nur für vom Mutterverein ausgegliederte Kapitalgesellschaften, RB jedoch ist in der Rechtsform des e.V. organisiert.

Zumindest gegen den Geist von "50+1" aber verstößt der vom "Red-Bull"-Konzern völlig durchdrungene Klub so klar wie der Fußballgott gegen das erste Gebot der Bibel. Ob das Statut in seinem jetzigen Bestand aber überhaupt wesentlich mehr als eine Vereinbarung der Profiklubs und juristisch wasserdicht ist, kann getrost als unsicher bezeichnet werden. Ein Umstand, der auch in Leipzig nicht unbekannt ist. Höher als an wohl allen aktuellen Bundesligastandorten dürfte dort grundsätzlich aber die Bereitschaft zum Versuch eingeschätzt werden, sich den Zugang zum elitären Zirkel des deutschen Fußballs notfalls einzuklagen. Bei RB haben sie einfach wenig zu verlieren, manche Kritiker würden sagen: nicht einmal einen guten Ruf.

Auf Seiten der DFL wird versucht, "50+1" sattelfest zu machen. Auf der anderen Seite sollen RB-Verantwortliche bei Bundesligavertretern schon auszuloten versucht haben, welche genauen Maßnahmen zur Sicherung denn ergriffen werden könnten. Auch DFL-Chef Christian Seifert betonte zuletzt, dass man seit längerem im Gespräch mit den Leipzigern sei und diese wissen, was man im Lizenzbereich erwarte. Ein Problem sähe er nicht auf die DFL zukommen.

Nicht auszuschließen bleibt aber, dass für die nähere Zukunft von RB Leipzig nicht das übliche "Entscheidend is auf'm Platz " gilt, sondern bis zum Frühjahr, wenn das Lizenzierungsverfahren ansteht, sich die graue Theorie als das spannendere Spiel erweist. Angesichts der aktuellen sportlichen Ausgangslage und den Möglichkeiten der Sachsen ist das die wahrscheinlichere Variante.

Lars Plantholt