30.06.2014 11:39 Uhr

Brasilien zwischen Selbstvertrauen und Kritik

Der Sieg gegen Chile fiel hauchdünn aus
Der Sieg gegen Chile fiel hauchdünn aus

Nach dem Elfmeterkrimi gegen Chile geht Gastgeber Brasilien gestärkt in die Vorbereitung auf das WM-Viertelfinale gegen Kolumbien. Bei Fans und Spielern ist die Zuversicht wieder gewachsen, dass die "Selecao" die hohen Hürden bis zum Endspiel am 13. Juli im Maracana überwinden kann. Die Mannschaft wird in den Medien jedoch weiter kritisiert.

"Ich glaube, dass sich Brasilien in der K.o.-Phase weiter steigern wird", sagte hingegen Carlos Dunga, der Weltmeister-Kapitän von 1994. Der 50-Jährige setzt vor allem auf Chefcoach Luiz Felipe Scolari: "Felipao hat Titel gewonnen, er ist ein erfahrener Trainer. Er weiß genau, wie man mit dieser Mannschaft arbeiten muss. Er weiß, was sie kann und wie man Fehler des Gegners ausnutzen kann."

Scolari versammelte am Montag im Trainingscamp "Granja Comary" in Teresopolis wieder seine Spieler um sich, die sich am freien Sonntag einigermaßen vom mehr als zweistündigen kräfteraubenden Achtelfinal-Akt erholen konnten. "Wir sehen uns an, wie wir gewonnen haben, warum wir gewonnen haben und schauen auch auf die Situationen, in denen Pässe nicht ankamen oder wir Chancen nicht nutzten, damit wir uns verbessern. Und wir müssen uns verbessern", erklärte Scolari.

"Wer den Druck nicht zugibt, der lügt"

"Selbst die erfahrendsten Spieler spüren den Druck bei der WM. Wer das nicht zugibt, lügt", meinte Scolari. "Die Gefühle sind anders, das ist kein normales Spiel. Wir haben so viele neue Spieler, sie sammeln nach und nach Erfahrung."

Am Freitag fordern die spielfreudigen Kolumbianer mit dem neuen Superstar James Rodriguez den Rekord-Weltmeister, im Halbfinale droht den Brasilianern das deutsche Team als Gegner. "Wir haben dazugelernt, wir sind reifer geworden und verstehen jetzt besser, was es bedeutet, eine WM zu spielen", betonte Innenverteidiger David Luiz, nachdem man Chiles "Krieger" aus dem Weg geräumt hatte. Brasilien habe gezeigt, dass es eine starke Mannschaft habe und es mit jedem Gegner aufnehmen könne.

"Der Sieg gegen Chile hat unser Selbstbewusstsein enorm gesteigert", erklärte auch Außenverteidiger Dani Alves vom FC Barcelona. In der Gruppenphase hatte die Selecao selten geglänzt. Die Angst, sich bei der Heim-WM bereits im Achtelfinale zu blamieren, ist jedoch erstmal weggewischt.

Nur zwei gute Innenverteidiger plus Neymar?

Die Experten in Brasilien sehen Scolaris Auswahl aber weiter kritisch. "Wir haben zwei ausgezeichnete Innenverteidiger - und Neymar", analysierte der einstige Mittelfeldstar Tostao in der "Folha de Sao Paulo" mit Blick auf das Duo David Luiz/Thiago Silva und den neuen Superstar als Alleinunterhalter im Angriff. Im gleichen Blatt gab Juca Kfouri, bekanntester Kolumnist des Landes, zu bedenken: Der einzige Vorteil der Brasilianer für das Kolumbien-Spiel sei das Gewicht eines fünffachen Weltmeisters gegenüber einem Außenseiter, der erstmals im Viertelfinale steht.

Die Schwäche im Mittelfeld, wo zuletzt Paulinho seinen Stammplatz verlor und am Freitag in Fortaleza zu allem Übel Aufräumer Luiz Gustavo wegen seiner Gelbsperre fehlt, ist nach Meinung des ESPN-Kommentators Paulo Vinicius Coelho "eine Krankheit": "Das muss ab Montag im Training korrigiert werden."

Für Kapitän Thiago Silva ist das alles nicht eine Frage der Taktik, Technik oder Physis, sondern des Drucks auf den WM-Gastgeber und -Favoriten. "Wir wissen, dass nur der Titel interessiert. Wenn wir ausscheiden oder Zweiter werden, ist alles vorbei. Klar ist das eine Last, aber das müssen wir kapieren und daran arbeiten", sagte der Profi von Paris St. Germain. Dass Silva nicht zum Elfmeterschießen angetreten war, brachte ihm einige Kritik ein.

Auch das Nervenkostüm von Scolari hat nach über vier Wochen mit der Mannschaft gelitten: Dass sich der ansonsten so souveräne Weltmeistermacher von 2002 beim Chile-Spiel in Belo Horizonte über das Schiedsrichtergespann und die gegnerischen Betreuer auf der Bank nebenan beschwerte, wurde mit Verwunderung registriert.

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apa