Nagelsmann nimmt keine Rücksicht auf Klub-WM

Die Nationalmannschaft will in der Nations League den Titel gewinnen. Dafür nimmt Julian Nagelsmann keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Vereine.
Julian Nagelsmann stieß mit seinem Trainerteam tief in der Nacht auf den Einzug ins Final Four an - und er erklärte die Titeljagd beim Mini-Sommermärchen zur höchsten Priorität.
"Bei dem Turnier können wir keine Rücksicht auf die Vereine nehmen", sagte der Bundestrainer nach der wilden Achterbahnfahrt beim 3:3 (3:0) im Viertelfinal-Rückspiel der Nations League gegen Italien. Sein besorgter Blick richtete sich bereits auf die irre Terminhatz angesichts der eine Woche später startenden Klub-WM.
Bei einem Glas Bier oder Wein reiften im Dortmunder Hotel l'Arrivée nach Mitternacht zunächst aber gleich mehrere Titelträume.
"Wir freuen uns über einen Titelgewinn. Es geht aber nicht schlicht um die Trophäe. Es geht um die Entwicklung von einem Selbstverständnis, vom Vertrauen, auch ein Turnier gewinnen zu können, auch große Nationen zu schlagen", sagte Nagelsmann. Mit diesem Selbstverständnis soll ein Jahr später bei der XXL-WM der ganz große Coup gelingen.
Portugal wartet schon
Dafür kennt Nagelsmann keine Gnade. Die Klub-WM in den USA sei für die Spieler von Bayern München und Borussia Dortmund zwar eine "brutale Belastung", doch die Chance auf den ersten Titel seit dem Confed-Cup-Triumph 2017 will der 37-Jährige unbedingt ergreifen. "Ich bin kein Trainer, der die Scheuklappen unten hat und sagt: 'Das ist mir egal.' Es ist aber ein Final-Turnier, da kann ich keine Rücksicht nehmen", sagte Nagelsmann.
Im Halbfinale wartet am 4. Juni in München Portugal mit Cristiano Ronaldo. Das sei eine Mannschaft "mit herausragend guten Einzelspielern", urteilte Nagelsmann: "Da müssen wir ein dickes Brett bohren." Gelingt das, geht es vier Tage später ebenfalls in München im Endspiel gegen Europameister Spanien oder Vize-Weltmeister Frankreich.
Von einer möglichen Revanche für das bittere Viertelfinal-Aus bei der EM gegen Spanien (1:2 n.V.) wollte der Bundestrainer aber nichts wissen. Das sei "ein bisschen zu hoch gegriffen". Schließlich sei der EM-Titel "höher anzusiedeln als die Nations League".
Noch größer wäre aber der WM-Titel 2026. Für diesen sammelte Nagelsmann wichtige Erkenntnisse aus den beiden Italien-Spielen. "Wir können nach einem Rückstand zurückkommen. Wir können tollen Fußball spielen. Und ein Spiel ist in der Halbzeit noch nicht vorbei. Daher war es für unsere Entwicklung vielleicht besser, als wenn wir 4:0 gewonnen hätten", sagte Nagelsmann.
Kritik an der zweiten Halbzeit
Nach der "besten Halbzeit in meiner Amtszeit" (Nagelsmann) und einer Zitterpartie im zweiten Durchgang ("Es war zu viel Freestyle") sahen es seine Spieler genauso. "Wir haben gemerkt, dass wir verwundbar sind, aber auch, dass wir solche Mannschaften dominieren können", sagte Kapitän Joshua Kimmich, der an allen fünf DFB-Toren in den beiden Partien direkt beteiligt war.
Das Duell in Dortmund sei "ein Spiegelbild der Entwicklung" gewesen: "Wir haben gesehen, wie gut wir sein können, aber auch gemerkt, dass wir noch nicht an unserem Limit sind." Auch für den Kapitän besitzt das Final Four einen hohen Stellenwert: "Das Turnier wird kurz, aber sehr, sehr wichtig. Die Elite Europas ist eingeladen."
Und die soll spüren, dass in Deutschland ein titelfähiges Team heranwächst. Von den vergangenen 17 Länderspielen hat die DFB-Auswahl nur eins verloren. "Flo Wirtz, Kai Havertz und einige andere kommen ja noch dazu, wir haben schon eine ordentliche Truppe", sagte Sportdirektor Rudi Völler, der bald seinen Vertrag bis 2028 verlängern soll.
Auch ohne die verletzten Unterschiedsspieler Wirtz und Havertz zeigte der viermalige Weltmeister, wozu er in der Lage ist. Eine Halbzeit lang attackierte das Team mit mitreißender Intensität die überforderten Italiener über das ganze Feld. "Die erste Halbzeit war sehr, sehr sexy anzugucken", fand Kimmich.
Balljunge als heimlicher Held
Der Kapitän gehört zu den großen Gewinnern der Spiele. Ebenso punkteten Torhüter Oliver Baumann, Fixpunkt Leon Goretzka, Stürmer Tim Kleindienst und Nico Schlotterbeck.
Auch die Kniffe von Nagelsmann, der erstmals seit dem peinlichen Auftritt in Österreich im November 2023 (0:2) wieder auf eine Dreierkette gesetzt hatte, gingen lange Zeit auf - und selbst Balljunge Noel Urbaniak (15) spielte mit, er avancierte mit seiner Geistesgegenwart zum "Assist-Geber" vor dem zweiten Tor durch Jamal Musiala nach einer blitzschnell ausgeführten Kimmich-Ecke.
Durch das Weiterkommen kennt Nagelsmann nun auch die sehr machbaren Gegner in der WM-Qualifikation: Slowakei, Nordirland, Luxemburg. Da dürfte im November auf das gelöste Ticket wieder angestoßen werden.