01.06.2016 12:37 Uhr

Three Lions: Das Rooney-Rätsel

Nicht mehr unumstritten: Wayne Rooney
Nicht mehr unumstritten: Wayne Rooney

Kurz vor der EURO steht bei der englischen Nationalmannschaft eine Personalie ganz oben auf der To-Do-Liste: Wayne Rooney. Der alternde Stürmer hat nach einer Saison zum Vergessen noch keine EM-Form. Nationaltrainer Roy Hodgson gibt die Situation seines einzigen verbliebenen Weltstars ein Rätsel auf.

Die Spielzeit 2015/16 dürfte Wayne Rooney schnell vergessen wollen. Zum ersten Mal seit 2004 (!) blieb die Zahl seiner Tore einstellig. 74 Tage fehlte der Angreifer verletzt, zuletzt setzten ihn Knieprobleme außer Gefecht. 16 Spiele verfolgte er von der Tribüne. Zum Vergleich: In seinen ersten sechs Spielzeiten in der Premier League setzte der Rechtsfuß nur vier Partien angeschlagen aus. 

Der 30-Jährige kommt allmählich in die Jahre. Zu Beginn seiner Karriere begeisterte er Fans mit seiner Antrittsstärke und Schnelligkeit. Doch seit zwei, drei Jahren wird "Wazza" langsamer. Bei Manchester United drohen ihm Talente wie Anthony Martial oder Marcus Rashford den Rang abzulaufen. 

Rooney unter Druck

Auch im Kreis der Nationalmannschaft ist er nicht mehr das unangefochtene Alphatier. Zuletzt wurden auf der Insel Stimmen laut, die forderten Rooney nicht zu nominieren. Davon sah Hodgson zwar ab, stellte aber gleichzeitig klar, dass sein Name bei der Aufstellung nicht in Stein gemeißelt sei: "Ich habe nie gesagt, dass er eine Stammplatzgarantie hat", sagte der 68-Jährige.

Unter Hodgson floriert der Konkurrenzkampf in der Offensive des Weltmeisters von 1966. Harry Kane und Jamie Vardy sorgten in der Premier League für Aufsehen. Ersterer sicherte sich mit 25 Buden den Titel des Torschützenkönigs, ganz knapp vor Vardy. Der Leicester-Goalgetter netzte schlappe 24 Mal. Immerhin, Rooneys Torquote im Nationaltrikot stimmt: In seinen letzten sechs Auftritten für die Three Lions konnte er das Leder fünfmal im Tor unterbringen.

Auf die Bank setzen wird Hodgson seinen Angreifer wohl nicht. Zu groß wäre der Aufschrei der Befürworter des bulligen Stürmers im eigenen Land. Zu groß wäre wohl auch Rooneys eigener Aufschrei. Sein Wort hat in der Kabine Gewicht. Kein Wunder, hat der Routinier doch immerhin 110 Länderspiele absolviert und ist mit seinen 51 Toren Rekordtorschütze, vor Ikone Sir Bobby Charlton (49).

Jugendwahn als Chance

Dass Rooney sich zur EM auf dem Abstellgleis wähnt, ist so wahrscheinlich wie ein WM-Sieg San Marinos. Anlässlich seines 100. Treffers im Old Trafford äußerte er sich letztmals zu seiner Rolle in der Nationalmannschaft: "Ich bin mir sicher, dass Roy Hodgson seine Ideen hat wo er mich einsetzen will." An die Bank wird er wohl nicht gedacht haben. 

Englands Jugendwahn könnte Rooney aber auch entgegenkommen. Zwar zählen Spieler wie Kane, Dele Alli oder Eric Dier in ihren Klubs bereits zur Führungsriege, aber Frankreich ist für sie das erste große internationale Turnier. Hodgson wird also einen Leitwolf benötigen. Das sieht auch Rooneys langjähriger Weggefährte Rio Ferdinand so: "Du brauchst einen alten Hasen." Manchmal müsse genau so einer den jungen Spielern Halt geben, das Tempo diktieren oder die Youngster beruhigen führte der ehemalige Weltklasseverteidiger gegenüber dem "Mirror" aus.

Die Europameisterschaft wird Rooneys sechstes großes Turnier. Wirklich erfahren sind außer ihm nur zwei weitere Spieler: Torwart Joe Hart und Klopp-Schützling James Milner. Allerdings kommen die beiden zusammen gerade einmal auf 117 Länderspiele. Hart kann zudem aus seiner Position wenig Einfluss nehmen auf seine Teamkollegen, Milner stand in den letzten fünf Partien nur einmal in der Startelf.

Welche Rolle bekommt der Altstar?

Des Rätsels Lösung könnte sein, dass Rooney im offensiven Mittelfeld aufläuft. Dafür sprach sich zuletzt auch Kane aus. "Man hat in seiner ganzen Karriere gesehen, dass er nicht nur Tore schießen kann", erklärte der Shooting-Star. Dank seines überragenden Passspiels könne der Altmeister gefährliche Szenen kreieren. In die gleiche Kerbe schlug auch Alan Shearer. Es werde immer einen Platz für den Kapitän geben und das sei auch richtig so, sagte die Stürmerlegende. Aber: "Waynes Tage als Stürmer sind gezählt. Seine Rolle liegt im Mittelfeld oder auf der Zehn".

Der Nimbus des Unanfechtbaren mag also dahin sein, spielen wird Rooney aber voraussichtlich dennoch. Wo genau, ist fraglich. Einen zentralen offensiven Mittelfeldspieler gibt es in Hodgsons bevorzugtem System nicht. Sechs der letzten zehn Spiele bestritten die Three Lions in einem 4-3-3 mit zwei offensiven Achtern - alle gewann man. Es darf also weiter gerätselt werden, welche Lösung Hodgson für das Rooney-Rätsel aus dem Hut zaubert.

Simon Lürwer