13.09.2016 12:38 Uhr

Rostov: Der Geist von Kurban Berdiyev

Der FK Rostov muss in Zukunft ohne Kurban Berdiyev (r.) auskommen
Der FK Rostov muss in Zukunft ohne Kurban Berdiyev (r.) auskommen

Der FK Rostov beginnt sein größtes Abenteuer in der Vereinsgeschichte: Die Gruppenphase der Champions League. Damit nicht genug, die Russen reisen am ersten Spieltag gleich nach München. Dabei war der Weg dorthin lang und steinig – ja, fast unmöglich. 

Möglich machte es Ex-Trainer Kurban Berdiyev, um den sich in den letzten Wochen gar mystische Sagen rankten. Denn der Turkmene schlich nach seinem Abschied weiterhin im Umfeld herum. Manche sagen, er brachte seinen Ex-Klub sogar durch die Champions-League-Qualifikation gegen Ajax.

Wenn man den Verein aus Russlands Süden verstehen möchte, muss man bis in den Winter 2014 zurückgehen. Dort erlebten die von Krisen geschüttelten Gelb-Blauen die erste Überraschung: Sie durften sich über einen neuen, besonderen Trainer freuen. Kurban Berdiyev, der zuvor ganze zwölf Jahre in Kazan gearbeitet und beachtliche Erfolge verzeichnet hatte, ging wider Erwarten nicht zu einem Topklub. Er ging zu Rostov und wollte den verschuldeten und chaotisch geführten Klub an Russlands Spitze hieven.

Und sein Projekt ging gut los. Er bewahrte den Verein 2015 vor dem Abstieg, zog eigenhändig Sponsoren an, brachte neue Spieler mit und verwandelte die Mannschaft in eine gut organisierte Einheit. In der Defensive ist der Spanier César Navas, den Berdiyev von Ex-Verein Kazan loseiste, mittlerweile zum Fels in der Brandung mutiert. Davor räumt der Ecuadorianer Christian Noboa ab. Im Sturm wirbelt mit dem Iraner Sardar Azmoun ein weiterer Schützling des Trainers. Rostov überzeugte letztlich in der vergangenen Saison mit gekonntem Flügelspiel und verpasste die Meisterschaft letztlich nur denkbar knapp.

Aufstieg mit Schatten

Doch es war nicht alles Gold, was glänzte. Ausstehende Gehälter von Spielern wurden nicht gezahlt. Die finanzielle Zukunft des Vereins ist noch immer in Gefahr. Doch der 64-Jährige wollte nicht aufgeben. Trotz eines lukrativen Angebots vom Ligarivalen Spartak unterschrieb Berdiyev einen neuen Zweijahresvertrag, sofern die Probleme im Umfeld gelöst werden.

Es veränderte sich nichts. Und Berdiyev kündigte der Vereinsführung seinen Abschied vor dem ersten Qualifikationsspiel Ende Juli gegen den RSC Anderlecht mit. "Die Entscheidung wurde vor den Spielen gefällt und der Verein wurde informiert", so der Trainer. Nach einem 2:2 zu Hause gewann Rostov eine Woche später mit 2:0 in Belgien. Trotz Krise hielt Berdiyev den Traum von der Champions League am Leben.

Dennoch dauerte es nicht lange, bis sich die ersten Spieler meldeten und ihren Unmut über den Abgang des Trainers bekundeten. "Ich bin zu Rostov wegen ihm gekommen. Deshalb gehe ich auch, wenn er geht", so Mittelfeldmotor Noboa. In einem emotionalen Spiel gegen FK Ural Anfang August nahmen Spieler und Fans letztlich Abschied vom Trainer, der sich – so dachten alle – Spartak anschließen würde. Berdiyevs Assistent Dmitriy Kirichenko wurde unterdessen als Interimscoach vorgestellt.

Bleibt er? Geht er? Berdiyevs Sinneswandel

Kurioserweise ging Berdiyev nicht nach Moskau. Im Gegenteil – er blieb in Rostov und war beim Topspiel gegen Zenit mit Fanschal auf der Tribüne zu sehen. Im Playoff-Hinspiel gegen den haushohen Favoriten Ajax wurde er sogar von der UEFA als Kirichenkos Assistent auf dem Spielberichtsbogen eingetragen. Im Hinblick auf das Rückspiel bezeichnete sich Berdiyev selbst als "Berater". Kirichenko indes war sich nicht zu schade zuzugeben: "Seine Rolle tut nichts zur Sache. Berdiyev arbeitet weiterhin mit uns wie zuvor. Er hilft uns ungemein."

Rostov gewann sensationell mit 4:1 und spielt nun in der Königsklasse gegen den FC Bayern München, Atlético Madrid und PSV Eindhoven – der Mythos vom Geist Berdiyevs war geboren. Von einem Trainer, der nach seinem Abschied zum Assistenten seines Assistenten wurde. Und was wurde aus dem Erfolgstrainer? Nachdem Spartak Massimo Carrera als neuen Trainer vorstellte und auch Lokomotive Moskva mit Yuriy Semin einen neuen Verantwortlichen gefunden hat, ist Kurban Berdiyev nun ohne Trainerjob.

Zu lange überlegt, zu lange gezögert. Das russische Online-Magazin "sport.ru" resümierte nach dem Hin und Her in Rostov: "Der Nachteil Berdiyevs ist: Er hat seinen Kopf verloren. Verwirrend." Und in der Presse geht man einen Schritt weiter: "Vor ein paar Wochen konnte er noch zwischen Spartak und der Nationalmannschaft wählen. Bei Spartak wäre er unangefochten gewesen und in der Sbornaja...Sagen wir einfach: Hätte er gewollt, wäre er es gewesen."

Dmitriy Kirichenko musste mittlerweile seinen Platz räumen und arbeitet wieder als Assistent. Sein neuer Chef im Süden Russlands heißt übrigens Ivan Daniliants.

Gerrit Kleiböhmer