28.03.2017 14:55 Uhr

Hu! hallt es durch den Kreißsaal

Die Sprösslinge der Island-Teamspieler waren in Frankreich schon mit dabei. Für neuen Fußballnachwuchs scheint ebenfalls gesorgt
Die Sprösslinge der Island-Teamspieler waren in Frankreich schon mit dabei. Für neuen Fußballnachwuchs scheint ebenfalls gesorgt

Islands Fußballwunder bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich ist noch in bester Erinnerung. Furchteinflößende Wikingergesänge, überschnappende Kommentatoren, ein Zahnarzt als Co-Trainer, "Siegtorsson", und ein Staatspräsident in der Fankurve sorgten für Schlagzeilen, die auch neun Monate nach der Endrunde nicht abreißen.

Im vergangenen Juni setzte Island zu einem zwar über Jahre hart erarbeiteten, aber dennoch unerwarteten Höhenflug an. Nach jeweils zwei 1:1-Remis gegen den späteren Europameister Portugal und Ungarn fehlte den erstmals für eine Fußball-Endrunde (der Männer) qualifizierten Isländern im abschließenden Spiel gegen Österreich nur noch ein Punkt für den Aufstieg.

Das erstmals in der Ära mit einer Dreierkette angetretene ÖFB-Team geriet in Folge eines Einwurfs (!) früh durch Jón Böðvarsson in Rückstand. Dazu setzte Abwehrchef Aleksandar Dragović einen Foulelfmeter an die Stange. Nach dem Seitenwechsel und der Rückkehr zum altbewährten 4-5-1 gelang Österreich durch Alessandro Schöpf eine halbe Stunde vor Schluss der Ausgleich. Am Ende jubelten aber die Isländer. Das ÖFB-Team hatte im Kampf um den Aufstieg schließlich alles und damit auch Tormann Robert Almer nach vorne geworfen und wurde bestraft. Rapid-Neuzugang Arnór Ingvi Traustason schloss in der Nachspielzeit den Konter zum 2:1 ab. Der Audiokommentar des isländischen Reporters Guðmundur Benediktsson wurde zum Internet-Hit.

Während die Österreicher vor den Scherben ihrer zerbrochenen Träume standen, erfreute Island die Herzen der Fußballromantiker weltweit. Eine Insel mit knapp 340.000 Einwohnern konnte zwar mit einem Vulkanausbruch schon den europäischen Flugverkehr tagelang lahm legen, als fußballerische Großmacht war der am nördlichen Polarkreis gelegene Staat bisher nicht in Erscheinung getreten.

Begleitet vom rhythmisch eingeklatschten Hu!-Gesang sollte das Wunder weiter gehen. England, das Mutterland des Fußballs, wurde im Achtelfinale trotz Führungstreffer durch Wayne Rooney ebenfalls mit 2:1 aus dem Bewerb geschmissen. Fixiert hatte den Endstand in Nizza ein gewisser Kolbein Sigþórsson. Deutschsprachige Redakteure dachten nicht lange nach und klopften “Siegtorsson” in die Tasten. Die Three Lions hatten den Spott und ganz England kurz nach dem Brexit-Votum den Hohn.

Frankreich erwies sich im Viertelfinale als eine Nummer zu groß. Island erlitt eine deutliche 2:5-Abfuhr. Der Gastgeber lebte immerhin noch in der Hoffnung, ein eigenes Märchen erfolgreich zum Abschluss zu bringen. "Wir können jetzt nicht aufhören. Wir haben diese Erfahrung gemacht und wir wollen sie wieder haben”, sprach der bärtige Kapitän Aron Gunnarson nach dem EM-Aus in die Mikrofone.

Zu Hause gab es schließlich einen riesigen Empfang für die vom Beutezug heimgekehrten Fußballer. Eine solch hohe Bevölkerungsdichte hatte Island zuvor nur selten erlebt. Es wurde gefeiert, gelacht und wie sich nun herausstellte, kannte die "Europhorie" offenbar keine Grenzen.

“Habe an diesem Wochenende einen Rekord an Anästhesien auf der Entbindungsstation gesetzt” blickte Ásgeir Pétur Porvaldsson via Twitter am Montag auf ein arbeitsintensives Wochenende zurück. Nachsatz: “Neun Monate nach dem 2:1 gegen England.”

Das isländische Nachrichtenportal “Visir” hat diese Nachricht dankbar aufgegriffen und berichtete tatsächlich von einem historischen Höchstwert der Geburtenrate am vergangenen Wochenende. Ob die im Schnitt 3,3 Einwohner pro Quadratkilometer in nächster Zeit wirklich näher zusammenrücken müssen, ist noch unbewiesen.

Offen ist freilich auch, ob beim obligatorischen Klaps auf den Popsch der Neugeborenen im Kreißsaal auch gleich ein Hu!-Gesang angestimmt wurde. Früh übt sich. Bereits im nächsten Jahr könnte Island ja für ein weiteres Wunder sorgen. Im Rennen um die WM-Teilnahme sind die Wikinger in Gruppe I jedenfalls gut dabei

Mehr dazu:
>> Nordische Absage für EM-Bewerbung 

Sebastian Kelterer