18.09.2013 09:29 Uhr

Neapel: Der nächste Schritt aus dem Schatten Maradonas

Marek Hamšík: Schafft er den Sprung aus Maradonas langem Schatten?
Marek Hamšík: Schafft er den Sprung aus Maradonas langem Schatten?

Mit seinem fanatischem Anhang im Rücken und kontinuierlicher Arbeit hat sich der SSC Neapel wieder zu einem Spitzenteam in Italien entwickelt. Ein neuer Trainer und neue Stars sollen nun den nächsten Schritt einleiten.

Selten hat eine Trikotvorstellung für so viel Wirbel gesorgt. Ein Raunen ging durch die Medien, Vertreter des Militärs warfen dem SSC Neapel Respektlosigkeit vor. Der Grund: Mit dem neuen Ausweichtrikot präsentiert sich der Klub aus Italiens drittgrößter Metropole künftig in Tarnfarben.

Umstrittenes Camouflage-Trikot

"Das ist unser Kriegstrikot", kommentierte Präsident Aurelio de Laurentiis die neue Arbeitskleidung seines Klubs. Der fragwürdige Camouflage-Dress soll Symbol des Angriffs der Neapolitaner auf die Spitze des italienischen Fußballs sein.

Neapel ist jedoch bereits wieder ein Topteam in Italien. Der zweite Platz in der letzten Saison war vorerst der Höhepunkt der Entwicklung rund um das "Stadio San Paolo". Dabei ist es gerade einmal neun Jahre her, dass der Klub am Boden lag.

De Laurentiis übernimmt den Klub am Tiefpunkt

Im Sommer 2004 musste man nach jahrelanger Misswirtschaft am Vesuv Konkurs anmelden und den Klub auflösen. Der schillernde Name SSC Neapel, der Ende der 80er Jahre mit Diego Maradona zwei Meistertitel und einen Europokalsieg feierte, verschwand von der Fußballlandkarte.

Am Tiefpunkt übernahm Filmproduzent de Laurentiis den neu gegründeten "Klub Napoli Soccer" als Geldgeber und Präsident. In wenigen Jahren führte er Neapel mit kontinuierlicher Arbeit von der Serie C wieder in die Erstklassigkeit. Schon im Mai 2006 konnten die Namensrechte und damit auch die Geschichte des SSC zurückgekauft werden. Es ging steil bergauf.

Personeller Umbruch als Chance

Zuletzt war der Erfolg neben dem des Präsidenten eng mit dem Namen Walter Mazzari verknüpft. In den vergangenen vier Jahren entwickelte dieser als Trainer Neapel zu einer Spitzenmannschaft. In diesem Sommer jedoch nahm Mazzari seinen Hut - ebenso wie Topstürmer Edinson Cavani (78 Tore in den letzten drei Spielzeiten). Der Klub stand am Scheideweg.

De Laurentiis sah den personellen Umbruch gleichwohl nicht als Bremsklotz der Entwicklung an, sondern vielmehr als Chance. So investierte er nach dem Abgang Cavanis in die Breite des Kaders. Mit Gonzalo Higuain, José Callejon und Raúl Albiol wurden gleich drei Champions-League-erfahrene Spieler von Real Madrid nach Neapel gelotst, außerdem wechselte Torhüter Pepe Reina vom FC Liverpool an den Vesuv.

Als wichtigsten Transfer bezeichnet de Laurentiis jedoch Trainer Rafael Benítez: "Mazzari war ein hervorragender Trainer, aber seine Erfahrungen beschränken sich auf Italien. Benítez ist auf internationalem Topniveau", so der Präsident. Es gibt durchaus Fakten, die diesen Eindruck belegen: Der Spanier gewann 2005 mit Liverpool die Champions League, in diesem Frühjahr führte er Chelsea zum Europa-League-Titel. Jetzt soll er mit Neapel den nächsten Schritt gehen und das Team dazu befähigen, dass es nach dem Coppa-Italia-Sieg 2012 nun auch den Scudetto angreifen kann.

Hamšík als neuer Maradona?

In den ersten Wochen seiner Amtszeit hat der Spanier bereits seine kommunikativen Fähigkeiten unter Beweis gestellt. "Er hat ein gutes Verhältnis zu allen Spielern und führt viele Einzelgespräche. Seine Analysen helfen uns enorm weiter", schwärmt José Callejon beim italienischen Fernsehsender "Cuatro" vom guten Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer.

Nicht nur in der Mannschaft herrscht aber gute Stimmung, auch auf den fanatischen Anhang kann sich Benítez verlassen. Die zwei räumlich getrennten Fanblöcke Curva A und Curva B verwandeln das Stadio San Paolo in eines der lautesten in Europa, in Italien ist es als "Hölle des Südens" bekannt. Im Gegensatz zu seiner letzten Station in London spürt Benítez bei den Tifosi der Himmelblauen nun die volle Rückendeckung. Ein Zustand, der ihm die nötige Ruhe zum Arbeiten gibt.

So kann der Spanier sein Konzept durchziehen. Er hat eine klare Vorstellung davon, wie der Fußball seines Teams aussehen soll. Das international eher unkonventionelle 3-4-2-1 von Mazzari ist Geschichte. Benítez setzt stattdessen auf ein modernes 4-2-3-1 mit offensiven Außen, intensivem Gegenpressing und schnellem Passspiel in die Spitze.

Im Gegensatz zu Mazzaris Spielweise mit zwei zentralen offensiven Mittelfeldspielern setzt der Spanier auf Marek Hamšík als alleinigen Zehner. Der Slowake ist als Schlüsselspieler mit allen Freiheiten ausgestattet und zahlt es mit Leistung zurück. In den ersten drei Ligaspielen war er mit vier Treffern maßgeblich daran beteiligt, dass Neapel drei Siege einfahren und die Spitze der Tabelle erobern konnte.

Erwartungshaltung als Gefahr

Hamšík wird zugetraut, aus dem langen Schatten Maradonas zu treten und Neapel zum ersten Scudetto seit 1990 zu führen. Schon dieser gewagte Vergleich mit dem unvergessenen Klub-Heiligen führt aber die immensen Erwartungen in Neapel vor Augen. Dass in dieser Erwartungshaltung besonders in Italien eine große Gefahr liegt, weiß Benítez wie kaum ein zweiter. Erst 2010 ist er bei Inter an eben diesem Übermaß an Hoffnungen gescheitert.

Also ist der Trainer von Beginn an bemüht, die Ansprüche zu dämpfen: "Wir sind zufrieden mit der Tabellenführung, aber wir sind erst am Anfang. Es ist wichtig, dass das Umfeld ruhig bleibt."

Eine ambitionierte Forderung, denn nach dem Traumstart in der Serie A steht nun Champions League an. Und gleich zum Aufgalopp kommt ein richtiger Kracher ins San Paolo: Borussia Dortmund (ab 20:45 Uhr im weltfussball-Liveticker). Dass es in der "Hölle des Südens" ruhig bleibt, wenn mit den Schwarz-Gelben eine andere für ihre Lautstärke bekannte Fangruppe zu Gast ist, gilt als unwahrscheinlich.

 

Jochen Rabe