19.01.2022 07:55 Uhr

Chelsea und Lukaku: Ein millionenschweres Missverständnis?

Chelsea-Coach Thomas Tuchel hat seinen Stürmerstar Romelu Lukaku erneut kritisiert
Chelsea-Coach Thomas Tuchel hat seinen Stürmerstar Romelu Lukaku erneut kritisiert

Der Absturz des FC Chelsea in der Meisterschaft in den vergangenen Wochen scheint eng verbunden mit den Unruhen um Romelu Lukaku. Thomas Tuchel erwartet mehr vom 115-Millionen-Mann, der belgische Torjäger liefert nur in Ansätzen und reagiert eingeschnappt. Doch warum funktioniert der bullige Stürmer bei den Blues noch nicht?

Mit einer Ablöse von 115 Millionen Euro wurde Romelu Lukaku im August 2021 zum Rekordtransfer des FC Chelsea. Der Champions-League-Sieger aus London schien das letzte Puzzleteil in seinem Kader gefunden zu haben. Trainer Thomas Tuchel war glücklich über den Transfer des Wunschspielers, Lukaku äußerte sich überschwänglich: "Ich bin glücklich und gesegnet, wieder zurück bei diesem wundervollen Klub zu sein."

Bereits zwischen 2011 und 2014 stand Lukaku bei den Blues unter Vertrag. "Ich bin hierher gekommen als Kind, das noch viel zu lernen hatte", fügte der Stürmer an: "Nun komme ich mit viel Erfahrung und noch erwachsener zurück." Dies unterstrich der Belgier mit vier Toren in seinen ersten vier Spielen für die Blues. Doch dann verstauchte er sich den Knöchel und der erste Zauber war schnell verflogen.

Statt sportlich nachzulegen, reagierte der mittlerweile 28-jährige Torjäger mit Aussagen, die an seiner versprochenen Reife zweifeln lassen. Ende Dezember sagte Lukaku gegenüber "Sky Sport Italia", dass er nicht glücklich sei mit seiner Situation beim FC Chelsea. Die Taktik von Tuchel (mit Dreierkette und hohen Außenverteidigern) gefalle ihm nicht. Er trage weiterhin Inter in seinem Herzen. 

Logisch, dass Tuchel derartige Aussagen nicht gefielen und er Lukaku zwischenzeitlich sogar aus dem Kader strich. Der Belgier entschuldigte sich zwar öffentlich bei Fans und Trainerteam, allerdings wirkte sein "Sorry" etwas inszeniert. 

Tuchel kritisiert Ballverluste, Lukaku fehlt ein zweiter Stürmer

Mittlerweile hat Chelsea den Anschluss an Manchester City komplett verloren. Nach der kürzlichen 0:1-Niederlage beim Spitzenreiter zählte Tuchel seinen Superstar an: "Er hatte viele Ballverluste und eine Riesenchance. Natürlich wollen wir ihn vor dem Tor bedienen, aber er ist Teil des Teams." Tatsächlich konnte der deutsche Coach nicht zufrieden sein: Lukaku lieferte keine Torschussvorlage für seine Mitspieler, verlor jeden seiner sieben Zweikämpfe und brachte nur 58 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler.  

Dem Belgier fehlte einmal mehr ein zweiter echter Stürmer an seiner Seite, den er bei Inter mit Lautaro Martínez stets hatte. Beide profitierten stark voneinander. Lukaku beendete die vergangene Meistersaison mit 24 Toren und beeindruckenden elf Vorlagen allein in der Liga. Bei den Blues hingegen fabrizierte Lukaku bis dato neben seinen acht Toren wettbewerbsübergreifend nur zwei Assists - beides waren herausgeholte Elfmeter.  

Eine weitere Erklärung ist, dass Lukaku noch nicht optimal ins Spiel eingebunden ist. In der vergangenen Serie-A-Saison hatte er auf 90 Minuten umgerechnet 40 Ballkontakte, bei Chelsea sind es aktuell nur 32. Entsprechend kommt der Belgier seltener zum Abschluss: Nur alle 40 Minuten gibt er einen Schuss ab, das ist nicht mal bei den Blues ein Topwert. Bei Inter benötigte Lukaku im Schnitt nur 30 Minuten pro Abschluss. Nur am Rande bemerkt: Galavorstellungen wie das 4:0 gegen Juventus in der Gruppenphase der Champions League oder das 7:0 gegen Norwich City am neunten Spieltag fanden ohne Stoßstürmer Lukaku statt. 

Chance für Timo Werner beim FC Chelsea?

Es stellt sich die Frage: Ist die Verpflichtung von Lukaku ein millionenschweres Missverständnis? Oder anders gefragt: Hat das funktionierende System, mit dem Thomas Tuchel CL-Sieger wurde, wirklich einen Mittelstürmer wie Lukaku gebraucht? Prinzipiell ja, denn Lukaku besitzt neben seinem Torriecher auch die Fähigkeiten gegnerische Abwehrspieler geschickt aus dem Zentrum zu ziehen, um Platz für nachrückende Offensivspieler zu schaffen. Eigentlich ideal für eine Mannschaft wie den FC Chelsea. 

Ein Faktor, von dem auch Timo Werner profitieren könnte. Doch der deutsche Nationalspieler hatte es schwer in den vergangenen Monaten. Erst setzte ihn eine Zerrung außer Gefecht, dann infizierte er sich Mitte Dezember mit dem Corona-Virus und hatte damit bis zuletzt zu kämpfen.

Nur in zehn Pflichtspielen stand Werner seit der Ankunft Lukakus in der Startelf. Seine Gesamtbilanz (sechs Tore, zwei Assists) liest sich wie schon in der Vorsaison gut, aber nicht gut genug. Das Zusammenspiel mit Lukaku zeigt noch deutlich Luft nach oben, fand aber schlichtweg zu selten statt.

Ex-Trainer Conte: "Chelsea weiß nicht, wie man ihn am besten nutzt"

In nur fünf Partien standen beide länger als eine Halbzeit gemeinsam auf dem Feld. Dass eine Doppelspitze durchaus funktionieren kann, konnte Tuchel beim 3:3 in der Champions League bei Zenit St. Petersburg beobachten. Werner schoss zwei Tore (eines nach Auswechslung von Lukaku) und bereitete einen Treffer des Belgiers vor. 

Tuchel muss sich fragen, wie er seinen 115-Millionen-Mann bestmöglich zur Wirkung bringt. Das kritisierte auch Meistertrainer Antonio Conte, der Lukaku zuletzt bei Inter trainierte, bereits Ende September am Rande der Champions- League-Partie gegen Juventus Turin (0:1): "Wenn man solch einen Mittelstürmer wie ihn hat, muss man das ausnutzen. Und ich denke, Chelsea weiß nicht, wie man ihn am besten nutzt".

Genauso ist es aber auch die Pflicht des wuchtigen Angreifers, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und nicht den "Stinkstiefel" zu geben. Denn das hilft weder ihm noch seinen Mannschaftskollegen.

Lars Wiedemann