03.11.2014 20:04 Uhr

Russland unter Capello am Scheideweg

Österreichs nächster EM-Qualifikationsgegner Russland steht am Scheideweg. Vor dem Hit im ausverkauften Ernst Happel-Stadion am 15. November (ab 18:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) gerieten Teamchef Fabio Capello und seine Mannschaft ins Kreuzfeuer der Kritik.

Erst ein 4:0-Heimsieg gegen Liechtenstein und dann ein 1:1-Remis in Schweden: Zumindest der Start in die Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 in Frankreich stimmte für den Gruppenfavoriten. Doch dann brachte das enttäuschende 1:1 vor eigenem Publikum gegen Außenseiter Moldau einmal mehr die Probleme im russischen Nationalteam zum Vorschein.

Das schwache Abschneiden bei der WM-Endrunde in Brasilien, wo in der Gruppe H gegen Belgien, Algerien und Südkorea sieglos das frühe Aus kam, ist noch lange nicht vergessen. Die Russen sehen sich als Ausrichter der nächsten Weltmeisterschaft gefordert. Der Gastgeber des FIFA World Cup 2018 will im eigenen Land den Beweis seiner sportlichen Größe abgeben. Zuletzt waren jedoch erhebliche Zweifel an der Wettbewerbsfähigkeit aufgekommen.

Wartet der teuerste Teamchef auf sein Geld?

Star-Trainer Capello dominierte die Schlagzeilen. Mit einem Jahresverdienst von neun Millionen Euro gilt der Italiener als teuerster Teamchef der Welt. Möglich gemacht hat dieses Gehalt der zweitgrößte russische Erdgasproduzent. Selbst Verbandsboss Nikolai Tolstych hatte den Deal mit dem Sponsor im Vorjahr noch als "neuen Partner des russischen Fußballs – dies bietet Möglichkeiten für eine gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit" bejubelt.

Ein Jahr später ist von dieser Euphorie nichts mehr übrig. Im Gegenteil. Vor wenigen Wochen hatten russische Medien sogar über einen Rücktritt von Capello noch vor dem Spiel in Wien spekuliert. Der Hintergrund: Der Teamchef und sein Trainerstab sollen aufgrund des Missmanagements des Verbandes vier Monate lang kein Gehalt erhalten haben.
>> Spekulation um Capello-Rücktritt

Böse Zungen behaupten: Nach der enttäuschenden Weltmeisterschaft soll die Auszahlung gestoppt worden sein. Der ehemalige Coach von Milan, Real, Roma und Juventus war in Brasilien wegen seiner defensiven Spielanlage als Hauptschuldiger des russischen Versagens abgestempelt worden.

War Brasilien nur der Anfang, oder der Anfang vom Ende?

Dabei hatte Capello die WM-Endrunde 2014 noch als Startsignal für die Weltmeisterschaft im eigenen Land bezeichnet. Vom Aufbau einer schlagkräftigen Mannschaft ist man jedoch nach Einschätzung von Fans und Journalisten weit entfernt. Die "Sbornaya" wurde vom Hoffnungsträger zum Hassobjekt.

Zuletzt eröffnete der Teamchef auch noch einen neuen Nebenkriegsschauplatz, als er den politischen Zorn erregte. Der 68-Jährige schlug eine Einladung zu einer Duma-Sitzung in Moskau aus. "Wenn unser Team nicht die erwarteten Leistungen bringt, glaube ich, die Abgeordneten haben das Recht, den Cheftrainer anzuhören. Er sollte erklären, was vor sich geht, aber er ignoriert uns komplett", erregte sich etwa der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei.
>> Capello legt sich mit russischer Duma an

Der Trainer-Legionär aus Italien hat keine Lust auf Unterhaltung, zumal seine Wünsche nach Strukturänderungen im russischen Fußball zuvor unerfüllt blieben. Diese sahen eine Aufstockung der obersten Spielklasse von 16 auf 18 Mannschaften sowie eine weitere Reduzierung der Anzahl der Auslandsprofis (momentan sieben pro Verein, sinkt im kommenden Jahr auf sechs) vor.

Der russische Fußball schmort im eigenen Saft

Der Hauptkritikpunkt von Capello bleibt aber, dass russische Spieler nur selten in den stärksten europäischen Ligen engagiert sind. Aktuell hat er mit Denis Cheryshev von Villarreal nur einen einzigen Legionär zur Verfügung. Aleksandr Kerzhakov wurde in Sevilla ausrangiert und auch die Glanzeit von Ex-Arsenal-Diva Andrey Arshavin (wieder zurück bei Zenit St. Petersburg) ist lange vorbei.

Bei der WM in Brasilien war Russland sogar der einzige Teilnehmer, der nur auf Akteure aus der eigenen Liga vertraute.
>> Datensalat: Ligen und Klubs bei der WM

Anreiz für Wechsel ins Ausland fehlt

Die Nationalspieler werden durch die hohen Gehälter, welche in der russischen Premier Liga von den Spitzenvereinen bezahlt werden, verwöhnt. Ein Wechsel ins Ausland wird so fast nicht mehr erstrebenswert. Als Sturm-Hoffnung Aleksandr Kokorin bei Anzhi Makhachkala um seinen Traumvertrag zittern musste, sprang eben Dinamo Moskva mit einer horrenden Gage ein. Handgeld inklusive.

Auch Alan Dzagoev, bei der EM 2012 gemeinsam mit Stars wie Cristiano Ronaldo, Mario Mandžukić, Mario Gómez, Mario Balotelli sowie Fernando Torres mit je drei Treffern noch Torschützenkönig, blieb in seiner Entwicklung stecken. Bei CSKA hat er finanziell ausgesorgt und lässt sich in Moskau mit allen Annehmlichkeiten des Lebens verwöhnen.

"Wir haben bei der WM in Brasilien gesehen, dass uns gegen die besten Mannschaften der Welt mit enormer Geschwindigkeit, sehr kompakter Abstimmung und der nötigen Aggressivität noch viel fehlt", analysierte der Teamchef. "Unsere Spieler sind alle in der russischen Liga engagiert und sind nicht mit dem Tempo der Topligen vertraut. Das ist unser größes Probem", analysierte Capello.

Erst im Jänner hatte er den neuen Vertrag unterzeichnet, der bis zur Weltmeisterschaft 2018 im eigenen Land gilt. "Verband und Sportministerium vertrauen mir. Deshalb will ich meine Arbeit in Russland fortsetzen", hatte der Italiener dies noch euphorisch kommentiert. Der damalige Zusatz klingt jedoch in der Rückblende wie der Anfang vom Ende: "Ich werde sofort zurücktreten, falls ich auch nur irgendeine Form von Misstrauen verspüre."

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ct