21.05.2015 12:00 Uhr

Thalhammer: Via Moskau zur EM

Teamchef Dominik Thalhammer wünscht sich mehr Breite im Frauenfußball (Credit: Daniel Shaked)
Teamchef Dominik Thalhammer wünscht sich mehr Breite im Frauenfußball (Credit: Daniel Shaked)

Dominik Thalhammer arbeitet seit seiner Bestellung als Teamchef des Nationalteams der Frauen an der EM-Teilnahme 2017. Im Interview spricht er über die einheitliche Spielphilosophie im ÖFB, komplizierte Reiseplanungen und eine notwendige Quote in der Jugendarbeit.

"Ich bin direkt vom Match gegen Australien – mein 13. Länderspiel in diesem Jahr – zur U17-Qualifikation gefahren. Im Vorjahr hatte ich rund 120 Lehrgangstage, und wenn kein Lehrgang angesetzt ist, herrscht hier der Tagesbetrieb." Dominik Thalhammer ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben seiner Tätigkeit als Teamchef des A-Teams betreut er auch die U17 und leitet das Nationale Zentrum für Frauenfußball. Für das ballesterer-Interview an seinem Arbeitsplatz im Sankt Pöltener Stadion nimmt sich Thalhammer dennoch lange Zeit. Mitte September startet die EM-Qualifikation, und dieses Mal soll es für das österreichische Nationalteam endlich klappen.

Mit dem A-Team sind Sie seit zehn Spielen ungeschlagen, in der letzten EM- und WM-Qualifikation haben Sie jeweils den zweiten Gruppenplatz erreicht. Werden diese Erfolge gewürdigt?
Dominik Thalhammer: Natürlich fehlen dem Frauenfußball weiterhin teilweise Anerkennung und Respekt. Hier gibt es Aufholbedarf, und da sehe ich nur eine Möglichkeit – noch mehr Erfolge zu haben. Unser großes Ziel ist die EM-Endrunde 2017. Neid auf die Männer gibt es aber nicht. Ich freue mich, dass die Aufbauarbeit der letzten Jahre Früchte trägt.

Das Ziel EM 2017 haben Sie schon bei Ihrem Amtsantritt vor vier Jahren ausgeben. Was muss man tun, um solche hochgesteckten langfristigen Ziele zu erreichen?
Thalhammer: Wir haben in allen Arbeitsbereichen ganz klare Prozessziele gesetzt und uns peu à peu gesteigert. Beim taktischen Verhalten haben wir angefangen, die Raumdeckung zu lernen und vertikale Pässe zu verhindern. Wir haben begonnen, uns Richtung Pressing zu entwickeln, und es dann immer intensiver gespielt – nicht mit 70 Prozent zur Gegnerin zu laufen, sondern im Sprint. Im Spiel gegen den Ball gehören wir mittlerweile zu den Besten. Da geht es nicht so um die individuelle Qualität, sondern um das kollektive Arbeiten als Team.

Auch das Nationalteam der Männer setzt stark auf Pressing. Entwickeln Sie diese Spielphilosophie gemeinsam?
Thalhammer: Am Anfang ist das eher parallel gelaufen, aber mittlerweile wurde von ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner eine übergreifende Spielphilosophie ausgegeben. Dazu gehört das Spiel gegen den Ball. Und das versuchen die ÖFB-Teams umzusetzen. Mit Marcel Koller gibt es in den monatlichen Trainersitzungen einen Austausch.

Ihre EM-Qualifikation beginnt im September in Kasachstan. Eine lange und teure Anreise – welche Unterstützung erhalten Sie da vom Verband?
Thalhammer: Wir haben durch ein geringeres Budget sicher einen gewissen Nachteil gegenüber anderen Ländern. Frankreich ist per Charter nach Kasachstan geflogen, das spielt es bei uns nicht. Wir müssen die schonendste Route wählen, wir werden wahrscheinlich via Moskau 14 Stunden unterwegs sein.

Wo werden die Heimspiele ausgetragen? Das Spiel gegen Frankreich hat ja in Ritzing und nicht in Sankt Pölten stattgefunden.
Thalhammer: Ich weiß nicht, warum das so war. Ritzing hat zwar ein tolles Stadion, liegt aber ungünstig und es sind lediglich 300 Zuschauer gekommen, für die Mädels war das schade. Ich hoffe, dass wir in Zukunft die wichtigen Spiele hier machen können.

Warum wird Österreich 2017 an der EM teilnehmen?
Thalhammer: Wird? Das ist schwierig, aber "könnte". Weil wir sehr lange an unseren Prozessen gearbeitet haben. Weil wir ein sehr junges Team haben, das bereit ist, sich weiterzuentwickeln. Unsere Spielanlage und unsere Spielidee erfordern unglaubliche Fitness, die Spielerinnen investieren die dafür nötige Zeit. Auch die Mentalität hat sich sehr gut entwickelt.

Am 6. Juni beginnt die WM in Kanada. Welche Trends erwarten Sie sich von dem Turnier?
Thalhammer: Ich glaube, es wird noch einmal einen Sprung Richtung Athletik geben. Die Spielerinnen trainieren international vermehrt unter professionellen Bedingungen und werden immer fitter. Auch im technisch-taktischen Bereich werden wir Weiterentwicklungen sehen, wenn auch voraussichtlich noch nicht die klaren Trends der WM der Männer in Brasilien in Hinblick auf Variabilität, Vertikalität und Positionswechsel.

Wie stehen Sie zu der Kritik etlicher Spielerinnen an der Austragung der WM auf Kunstrasen?
Thalhammer: Ich verstehe den Protest. Ich weiß nicht, ob ein Turnier mit den besten Frauenteams der Welt der geeignete Ort ist, um so grundlegende Dinge auszuprobieren. Im Endeffekt wird den Spielerinnen aber nichts anderes übrigbleiben, als sich auf die Situation einzustellen.

Kommen wir zur Liga. Sind Sie mit dem derzeitigen Format der Zehnerliga mit Hin- und Rückspiel zufrieden?
Thalhammer: Aus der Sicht eines Vereinstrainers sind 18 Saisonspiele plus Cup schon sehr wenig. Es stellt sich aber auch die Frage, ob es genügend Teams mit entsprechender Qualität gibt. Für mich geht es weniger um das Ligaformat, sondern darum, dass es in der Breite fehlt. In manchen Jahrgängen haben wir viel zu wenige Spielerinnen für das Nationalteam.

Wo kann man da ansetzen? Bei den Vereinen?
Thalhammer: Natürlich geht es auch um die Vereine und darum, sie bei der Nachwuchsarbeit zu unterstützen. Aber es geht auch um die Landesverbände und deren Ausbildungszentren für Zehn bis 14-Jährige. Wir kämpfen seit Jahren um eine Quote für Mädchen bei der Aufnahme. Die Anzahl der Spielerinnen ist derzeit wieder rückläufig. Es hängt stark davon ab, ob der jeweilige Standortleiter dem Frauenfußball wohlgesonnen ist. Am dringendsten brauchen wir Maßnahmen, die sich an die Breite richten. Denn mit der Akademie und der Professionalisierung der Nationalteams könnten wir noch näher an die europäische Spitze herankommen.

Dominik Thalhammer (45) ist Teamchef des österreichischen Nationalteams der Frauen und Leiter des Nationalen Zentrums für Frauenfußball. Zusätzlich betreut er die U17, die er 2013 als erstes österreichisches Frauenteam zu einer Europameisterschaft führte. Vor seiner Anstellung beim ÖFB war der damals 33-jährige Thalhammer 2004 Trainer bei Admira Wacker, zuvor hatte er die dortige Akademie geleitet.

Mehr dazu:
>> Lösbare Aufgabe in EM-Quali für ÖFB-Frauen
>> ÖFB-Frauen schlagen auch Australien

Dieses Interview erschien in ballesterer-Ausgabe 102. Die Juni-Ausgabe des Fußballmagazins ist seit 21. Mai österreichweit in den Trafiken sowie digital im Austria-Kiosk der APA (kiosk.at/ballesterer) erhältlich.
 

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Foto: Daniel Shaked / Homepage: http://danielshaked.com/