25.04.2018 18:54 Uhr

Ulreich beim FC Bayern: Ein Segen und ein Problem

Sven Ulreich überzeugt beim FC Bayern München auf ganzer Linie
Sven Ulreich überzeugt beim FC Bayern München auf ganzer Linie

Torhüter Sven Ulreich ist beim FC Bayern München vor dem Hinspiel im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid am Mittwoch (ab 20:45 Uhr im Liveticker) nicht mehr wegzudenken. Seine starken Leistungen sind für den deutschen Fußball-Rekordmeister angesichts der Verletzung von Manuel Neuer ein Segen, sie stellen Trainer Jupp Heynckes aber auch vor ein Problem.

6:2 hatte Bayern München soeben Bayer Leverkusen im eigenen Stadion vom Platz gefegt. Nach der Partie im Halbfinale des DFB-Pokals standen jedoch nicht die Offensiv-Stars der Bayern um den dreifachen Torschützen Thomas Müller im Fokus. Stattdessen machten die meisten Beobachter Torhüter Sven Ulreich als Matchwinner aus.

Der 29-Jährige hatte die Münchner in der ersten Halbzeit gegen die zunächst forsche Werkself mit starken Paraden im Spiel gehalten. Beim Stand von 2:1 verhinderte Ulreich kurz nach Wiederanpfiff mit einer Weltklasse-Parade gegen einen Schuss von Karim Bellarabi den Ausgleich. Im direkten Gegenzug stellte Müller auf 3:1, das Spiel kippte endgültig zugunsten der Gäste.

"Er war fantastisch. Hätten wir das Spiel ausgeglichen, wäre die Partie vielleicht anders verlaufen", schwärmte Leverkusens Offensivspieler Leon Bailey von Ulreich. Als "Mann des Jahres" bezeichnete Müller den Keeper, dieser habe "super gehalten", mache "Dinge, die nicht zum einfachen Torwart-ABC gehören".

Schlechter Einstand für Ulreich im Herbst

Ulreichs Entwicklung in den letzten Monaten beeindruckt - und war so nicht abzusehen. Angesichts der erneuten schweren Fußverletzung von Manuel Neuer mussten die Bayern im Herbst notgedrungen auf ihre Nummer zwei zurückgreifen.

Seit dem Gastspiel auf Schalke (3:0) Mitte September stand der frühere Stuttgarter durchgängig im Tor, abgesehen von zwei Partien Ende des Jahres, die er verletzungsbedingt verpasste.

Als Ulreich beim 2:2 gegen den VfL Wolfsburg einen Freistoß von Maximilian Arnold in Slapstick-Manier passieren ließ, sahen sich die Kritiker bestätigt. "Klarer Torwart-Fehler, ich habe die falsche Entscheidung getroffen", bekannte Ulreich.

Auch bei der anschließenden 0:3-Klatsche in der Champions League gegen Paris Saint-Germain sah der Schlussmann bei zwei Gegentreffern unglücklich aus.

Neuer fehlte den Bayern an allen Ecken und Enden, Ulreich schien mit der Vertretung des vierfachen Welttorhüters heillos überfordert. Der Keeper habe "keine Anerkennung und kein Selbstvertrauen" gehabt, erklärte Heynckes später.

Ulreich verbessert sich in allen Belangen

Doch der Schlussmann arbeitete konsequent an seinen Schwächen. Sein anfangs unsicheres Aufbauspiel verbesserte der ehemalige Junioren-Nationalkeeper deutlich. 77 Prozent seiner Zuspiele bringt er zum Mitspieler, der beste Wert aller Bundesliga-Stammtorhüter.

Zusammen mit seinen ohnehin guten Reflexen ergibt das ein hervorragendes Gesamtpaket. Mit zunehmender Sicherheit kamen immer mehr Ruhe und Ausstrahlung in sein Spiel.

Ulreich habe sein "riesiges Potenzial" ausgeschöpft, sich "durchgeboxt", sagte Heynckes, der längst die Früchte dafür erntet, dass er dem verunsicherten Schlussmann sein Vertrauen schenkte.

Zwölf Zu-Null-Spiele stehen inzwischen in der Statistik Ulreichs, kein Keeper in der höchsten deutschen Spielklasse hat mehr weiße Westen vorzuweisen. Der Bayern-Torwart hält insgesamt 71,1 Prozent der Schüsse auf sein Tor - ein Topwert. Bezogen auf die Verhinderung von Großchancen liegt seine Quote sogar bei überragenden 60 Prozent.

Heynckes steht vor Ulreich-Neuer-Dilemma

Nachdem sich seit der Winterpause wegen seines auslaufenden Vertrags Abwanderungsgerüchte um "Zunullreich", wie die Bayern-Fans Ulreich inzwischen ehrfürchtig nennen, rankten, schob der Klub diesen Mitte Februar mit der Verlängerung bis 2021 einen Riegel vor.

Völlig offen ist allerdings, wie es mit dem derzeit wohl besten Ersatztorwart der Welt nach Neuers Gesundung weitergeht. Der etatmäßige Stammkeeper ist seit vergangener Woche zurück im Mannschaftstraining, soll sein Comeback im Bayern-Tor noch in dieser Spielzeit feiern.

Auf die Frage, wie er mit dem Ulreich-Neuer-Dilemma umgehen will, hält sich Heynckes noch bedeckt. "Die Diskussion kommt viel zu früh", wiegelte der Erfolgscoach ab. "Ich weiß, was ich mache. Ich habe einen Plan."

Überzeugt Ulreich auch gegen Real Madrid?

Bringt Ulreich in der Königsklasse gegen Real auch Cristiano Ronaldo und Co. zur Verzweiflung, würde er es Heynckes noch schwerer machen, ihn in einem möglichen Finale zu übergehen und wieder auf Neuer zu setzen.

Für Ulreich selbst, der inzwischen sogar als Kandidat für den deutschen WM-Kader gilt, sind die Halbfinalkracher jedoch in erster Linie Bonusspiele. Viel mehr als eine Kraftprobe ums Endspiel gegen den Titelverteidiger mit Weltstars wie Ronaldo, Toni Kroos oder Sergio Ramos geht schließlich kaum.

"Wenn mir das einer gesagt hätte als kleiner Junge: Champions-League-Halbfinale gegen Real. Das hätte ich nie gedacht", schwärmte der Schlussmann.

Tobias Knoop