28.10.2018 09:27 Uhr

Kehrer bei PSG: Lückenfüller statt Leistungsträger

Thilo Kehrer stand in der Ligue 1 erst drei Mal in der Startelf
Thilo Kehrer stand in der Ligue 1 erst drei Mal in der Startelf

Im Sommer wechselte Thilo Kehrer für stolze 37 Millionen Euro vom Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 zum französischen Meister Paris Saint-Germain. Das S04-Eigengewächs durchlebt seitdem Licht und Schatten.

Sein erster Einsatz im Starensemble von Trainer Thomas Tuchel verläuft Ende August alles andere geplant - obgleich sein Team einen Heimsieg einfährt. Beim 3:1-Erfolg gegen SCO Angers am 3. Spieltag der Ligue 1 verursacht der Verteidiger nach zwanzig Minuten nämlich einen Foulelfmeter.

Von der rechten Seite kommt der Ball flach in den Strafraum. Kehrer fährt das gestreckte Bein aus, trifft damit aber nicht die Kugel, sondern nur den Gegenspieler. Die logische Konsequenz: Strafstoß. Doch es kommt noch bitterer. Nach der ersten Halbzeit ist das Debüt vorzeitig beendet, Tuchel wechselt den gelb-rot-gefährdeten Neuzugang zur Pause aus.

Auch in den folgenden Wochen konnte der 22-Jährige die Erwartungen nicht erfüllen. Kehrer saß vier Spiele in Folge zunächst nur auf der Bank und kam höchstens zu Kurzeinsätzen.

Besser lief es dagegen in der Nationalmannschaft. Anfang September nominierte Bundestrainer Joachim Löw den Youngster für die ersten beiden Länderspiele nach der Weltmeisterschaft. Gegen Frankreich in der Nations League noch Reservist, feierte Kehrer im Freundschaftsspiel gegen Peru sein Debüt im DFB-Dress.

Flexibilität ist die große Stärke von Thilo Kehrer

Für die deutsche Nationalmannschaft agierte der flexible Abwehrspieler hinten rechts. Thomas Tuchel sieht Kehrers Stärken dagegen im Abwehrzentrum. Für PSG spielt der gebürtige Tübinger auf der Innenverteidigerposition. In Schalkes zweiter Mannschaft wurde das Talent oft sogar als Sechser aufgeboten.

"Wir haben sehr früh taktisch alle Positionen verinnerlicht. Ich denke, das ist etwas sehr Gutes. Es ist kein Geheimnis, dass ich mich in der Innenverteidigung sehr wohl fühle, dass ich mich in verschiedenen Systemen wohlfühle. Aber auch als Außenverteidiger geht es gut", erklärte der Ex-Schalker im Interview mit der "Berliner Morgenpost".

Dass PSG von solch flexiblen Spielern profitiert, zeigte die Champions-League-Partie am Mittwoch gegen den SSC Neapel. Mit Kehrers Einwechselung nach der Halbzeit stellte Tuchel das Pariser System von einer Vierer- auf eine Dreierkette um und sorgte damit für mehr Schwung.

Pass- und Zweikampfwerte stimmen - Schwächen in der Luft

Kehrer agierte rechts an der Seite des Brasilianers Marquinhos und lieferte eine insgesamt gute Partie ab. Immer wieder eröffnete der Deutsche mit klugen Pässen Räume im Spielaufbau. Ohnehin glänzt der Verteidiger in dieser Saison mit einer starken Passquote von 92 Prozent.

Auch die Zweikampf-Statistik liest sich durchaus vielversprechend. 62 Prozent der direkten Duelle entscheidet Kehrer für sich. Gerade im Eins-gegen-Eins hat sich der Abwehrspieler in den letzten Jahren enorm verbessert. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren gewann Kehrer bei Schalke gerade einmal die Hälfte seiner Zweikämpfe.

Luft nach oben hat der 1,86 Meter große Defensivallrounder im Kopfballspiel. Der Kicker aus der Knappen-Schmiede gewinnt nur 54 Prozent der Luftzweikämpfe - zu wenig für einen Verteidiger.

Im Pariser Starenselmble, da ist sich Kehrer sicher, kann er sich auf jeden Fall verbessern. "Vom Spielverständnis und von der Klasse her ist das nochmal ein höheres Niveau als bei Schalke und fordert einen sehr starken Lernprozess von mir. Ich merke das jeden Tag im Training und das tut mir sehr gut, denn ich kann mich dadurch unglaublich weiterentwickeln", sagte er im Interview mit "Spox".

Landet Kehrer gegen Marseille in der Startelf von PSG?

Am Sonntagabend hat Paris die Chance, den eigenen Startrekord von zehn Siegen aus den ersten zehn Spielen noch weiter auszubauen. Ab 21:00 Uhr ist der Tabellenführer beim Tabellenvierten Olympique Marseille zu Gast. Durchaus denkbar, dass Kehrer von Beginn an spielt.

Der 22-Jährige könnte dabei von Presnel Kimpembes Rotsperre profitieren. Der französische Weltmeister ist im Normalfall wie Kapitän Thiago Silva und Marquinhos in der Verteidiger-Hierarchie vor dem Deutschen gesetzt. Kehrer kommt meist nur zum Einsatz, wenn einer der Leistungsträger für eine wichtigere Partie, wie etwa in der Königsklasse, geschont wird.

Vereins- und Nationalmannschaftskollege Julian Draxler beschrieb Kehrers Entwicklung derweil ganz treffend: "Thilo wird sicherlich noch seine Zeit brauchen, um sich in unserer Mannschaft hundertprozentig einzufinden, aber er macht es bisher sehr gut. Ich glaube, er ist da auf dem richtigen Weg." Dann wird er nicht mehr Lückenfüller, sondern auch Leistungsträger sein.

Tom Kühner