12.07.2019 12:47 Uhr

Urteil: Polizeieinsatz beim Derby rechtswidrig

Urteil im Prozess um den
Urteil im Prozess um den "Rapid-Kessel"

Der "Polizei-Kessel" beim Wiener Derby im Dezember 2018 war laut eines Urteils am Wiener Verwaltungsgericht zum Teil rechtswidrig. Über 1.300 Rapid-Anhänger waren damals auf engem Raum stundenlang angehalten worden.

Der Polizeieinsatz beim Wiener Derby zwischen Austria und Rapid (6:1) im Dezember 2018 ist teilweise rechtswidrig gewesen. Zwar war die Identitätsfeststellung der Teilnehmer des Rapid-Fanzuges korrekt, die Anhaltungen länger als bis 20:30 Uhr sowie die Wegweisungen waren aber nicht gesetzeskonform, urteilte das Wiener Verwaltungsgericht am Freitag.

Die Beschwerde hatten 28 Rapid-Anhänger eingebracht, weil sie am 16. Dezember 2018 mit mehr als 1.300 Gleichgesinnten im Zuge des Fanmarsches vom Reumannplatz über die Laaer-Berg-Straße zur Generali-Arena der Austria stundenlang von der Polizei festgehalten wurden. Verwaltungsrichter Wolfgang Helm hatte grundsätzlich keine Zweifel daran, dass der Einsatz nötig war. Die Rapid-Fans hätten von Anfang an die Polizisten provoziert und auch Schneebälle und pyrotechnische Gegenstände auf sie geworfen.

Die Eskalation beim Polizeieinsatz im Dezember-Derby im Rückblick

Am Reumannplatz hätte sich für Zeugen bereits das Bild geboten, dass die Fans die Überhand gewonnen haben und die Polizei kapituliert hat. Die Rapid-Anhänger haben Helm zufolge auch biologisch ihre Dominanz demonstriert, indem "zirka 50 Personen gegen eine Wand des Amalienbades urinierten". Eskaliert sind die Eskapaden schließlich, als einzelne Personen Schneebälle, Getränkedosen sowie pyrotechnische Gegenstände von der Laaer-Berg-Brücke auf die Fahrbahn der Südosttangente (A23) warfen. Laut Polizei wurde die meistbefahrene Straße Österreichs daraufhin vorübergehend gesperrt.

Die daraufhin durchgeführte Identitätsfeststellung war dem Urteil zufolge grundsätzlich in Ordnung, da diese der geringste Eingriff in die Persönlichkeitsrechte war. Andere Maßnahmen hätten zudem schnell eskalieren können und wären wohl nur unter "massiver Gewaltanwendung" durchzuführen gewesen. Bei der langen Zeitspanne von bis zu sieben Stunden hatte der Richter aber Einwände. Die Teilnehmer wären zwar - wenn auch bei "angenehmeren Bedingungen" - auch im Stadion der Kälte ausgesetzt gewesen, aber nicht bis teilweise 22:00 Uhr. Helm erklärte daher die Anhaltungen, die länger als bis 20:30 Uhr dauerten, für rechtswidrig.

Rechtswidrig waren auch die Wegweisungen, da diese nach dem Ende des Spiels nicht mehr nötig waren. Für den Rechtsanwalt Christian Podoschek, der einen Großteil der Beschwerdeführer vertrat, war mit dem Urteil zumindest klar, dass die Aussage des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), dass die Vorschriften bezüglich solcher Anhaltungen "auf Punkt und Beistrich" eingehalten wurden, nicht stimmte. "Knapp vorbei ist auch daneben", meinte Podoschek. Ob gegen das Urteil noch Beschwerde bei der nächst höheren Instanz eingelegt wird, war noch unklar.

"Rechtshilfe Rapid" zufrieden, aber enttäuscht über "äußerst milde Urteile"

Freitagmittag reagierte die "Rechtshilfe Rapid" auf das Urteil und zeigte sich dabei zwiegespalten. Einerseits freue man sich über den "Erfolg", andererseits verspüre man Enttäuschung wegen der ihrer Ansicht nach "äußerst milden Urteile". Nachfolgend die Aussendung im Wortlaut:

Den 28 Maßnahmenbeschwerden wegen dem Polizeikessel beim Auswärtsderby am 16.12.2018 wurde heute mehrheitlich stattgegeben. Das Verwaltungsgericht Wien bestätigt somit, dass die Polizei unverhältnismäßig gehandelt hat. Obwohl uns dieser Erfolg freut, sind die äußerst milden Urteile dennoch etwas enttäuschend.

Es freut uns, dass nun auch ein Gericht entschieden hat, dass der Polizeikessel unverhältnismäßig war und die Polizei rechtswidrig gehandelt hat. Eine solche Feststellung ist für uns eine Genugtuung, da diese nicht selbstverständlich ist. Insgesamt haben wir in 35 von 47 Beschwerdepunkten gewonnen. Im gegenständlichen Fall wäre alles andere allerdings ein riesiger Justizskandal gewesen. Richter Wolfang Helm gab sich dennoch sichtlich Mühe, ein harmonisches Urteil zu finden, bei dem die Polizei sehr glimpflich davonkommt.

Unheimlich einseitige Beweiswürdigung

Um dies möglich zu machen, brauchte es viel Kreativität. Die Begründungen des Richters mutierten dadurch zu einer Farce. Behauptungen der Polizei werden als Fakten angenommen, obwohl diese, bis auf widersprüchliche Aussagen von Polizisten, keine Beweise liefern konnte. Richter Wolfgang Helm bestätigte damit auch bei seinen Feststellungen am letzten Verhandlungstag, dass er ein polizeifreundlicher Richter ist.

„Vieles blieb im Zuge der Maßnahmenbeschwerde leider im Dunkeln, weil die Polizei darüber schlichtweg nicht reden wollte. Daher wurde der Fokus auf das Verhalten der Fans lange vor der Einkesselung gerichtet, was aber an der Sache vorbei geht“ so Helmut Mitter, Vorstandsmitglied der Rechtshilfe Rapid.

Dabei hat das Verfahren unsere Ansicht zu diesem skandalösen Polizeikessel völlig bestätigt.

Vielmehr ist im Laufe der Verhandlung zu Tage getreten, dass alle wesentlichen Anschuldigungen seitens der Polizei widerlegt werden konnten:

- Es gibt weder eine Videoaufnahme, noch konnte ein Zeuge bestätigen, dass Pyrotechnik oder Getränkedosen auf die Autobahn geworfen wurden. Die Polizei nannte genau das als Grund für den Polizeikessel, konnte diese Vorwürfe aber nie belegen. Aus einem ganz einfachen Grund: So etwas ist nie geschehen.

- Durch etliche Zeugen, darunter sogar einige Polizeibeamte, wurde bestätigt, dass sich die Fans im Kessel weder aggressiv verhalten, noch die Identitätsfeststellungen verweigert hätten. Es wurde von der Polizei auch kein Video diesbezüglich vorgelegt, obwohl der Kessel fast durchgehend gefilmt wurde. Trotzdem hielt die Polizei diese Behauptungen bis zum Schluss aufrecht und stellte der Richter dies schlussendlich als Tatsache fest – mit dem Argument, warum denn Polizisten lügen sollten?

- Die LPD Wien betrieb sowohl während des Kessels als auch danach eine gezielte Desinformationspolitik. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Twitter-Account der LPD Wien. Dieser verbreitete Falschmeldungen, die von den meisten Medien ungeprüft übernommen wurden und die Berichterstattung dominierten. Dabei handelt es sich keineswegs um Zufälle oder Missverständnisse. Das ist eine strategische Medienarbeit, für die es noch dazu keine Rechtsgrundlage gibt.

Ein gutes Beispiel für die absurden Behauptungen ist die vermeintliche Verwendung von „Rauchgranaten“, die als „Kriegswaffe“ qualifiziert seien. Im Zuge der Verhandlung stellte sich eindeutig heraus, dass es sich um einen herkömmlichen Rauchtopf handelte, der in jedem Fußballstadion schon einmal verwendet wurde.

„Mit solchen absurden Behauptungen versucht die Polizei, in der Öffentlichkeit ein völlig falsches Bild von Fußballfans zu zeichnen. Damit muss endlich Schluss sein!“ so Vorstandsmitglied Helmut Mitter von der Rechtshilfe Rapid.

Von der Polizei vernichtetes Beweismaterial

Die Polizei hat Interesse daran, die Zusammenhänge rund um den 16.12.2018 zu vertuschen. Es wurde Beweismaterial zurückgehalten und sogar vernichtet, indem die Funkprotokolle aus fadenscheinigen Gründen gelöscht wurden. Dabei war die Polizei hier belangte Behörde, also Beschuldigter!

„Wie sollen solche Maßnahmenbeschwerden künftig ablaufen, wenn schon vorneweg klar ist, dass die Verfahren mit ungleichen und unlauteren Voraussetzungen starten?“ sieht Mitter auch hier politischen Handlungsbedarf.

Die Frage nach der politischen Verantwortung

Vielmehr schreien einige neu gewonnen Erkenntnisse förmlich nach weiterer juristischer und politischer Aufarbeitung. Das Verfahren am Verwaltungsgericht ist bei weitem nicht die einzige Ebene, auf der dieser Polizeikessel aufgearbeitet werden muss.

Die Geschichten, die der damalige Innenminister Herbert Kickl dem Bundesrat präsentiert und als Beantwortung parlamentarischer Anfragen aufgetischt hat, haben sich in den wesentlichen Punkten als Märchen herausgestellt.

Daher drängen sich auch politisch einige Fragen auf:

Inwiefern war der damalige Polizeiminister in die Entscheidungen eingebunden? Warum halten seine Parteikollegen in der Volksanwaltschaft den Bericht zu diesem Einsatz zurück? Welche Rolle spielten zivile Beamte? Laut Zeugenaussagen eines hochrangigen Polizisten sollen rund um den Kessel elf zivile Beamte des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) im Einsatz gewesen sein. Wo und zu welchem Zweck waren diese im Einsatz?

Zusammenhalt gegen die Willkür der Staatsgewalt

Wir danken den 28 Beschwerdeführenden für den Mut und den Einsatz für die Gerechtigkeit. An dieser Stelle möchten wir aber auch allen anderen der über 1.300 Eingekesselten unseren Respekt aussprechen. Nur durch euer besonnenes und solidarisches Verhalten ist dieser Tag so glimpflich verlaufen. „Mehr Polizei heißt nicht mehr Sicherheit. Es muss auch für die Polizei Grenzen des Anstands und Grenzen des Rechts geben. Dafür wurde heute ein wichtiges Ausrufezeichen gesetzt“ so Helmut Mitter abschließend.

apa, red