19.05.2014 13:00 Uhr

Kommentar: Ein überdenkenswertes Modell

Relegation sei Dank, der Dino bleibt drin! Der Hamburger SV ist nicht der erste Bundesligist, der nach einer schwachen Saison von dem Duell auf Leben und Tod profitiert. Blickt man auf die Statistik und auf laufende Entwicklungen, muss das Modell Relegation zumindest in Zukunft überdacht werden.

Spannung bis zur letzten Minute. Seit dem Ausgleichstor für Fürth ist den Spielern des Hamburger SV die Verunsicherung deutlich anzumerken. Und die Franken drücken. Einzig Jaroslav Drobny hält die Gäste mit mehreren starken Paraden im Spiel. Nach dreieinhalb Minuten Nachspielzeit pfeift Schiedsrichter Knut Kircher ab. Es ist geschafft! Der Jubelsturm des HSV geht los. Von den Rängen schmettern die Fans: "Sechs Mal Deutscher Meister, drei Mal Pokalsieger, immer erste Liga: HSV!" Was für ein Nervenkitzel! Sind nicht genau das die Spiele, die man als Fußballfan sehen will?

Nun, einerseits ja. Dieser besondere Zauber, der von K.o.-Spielen ausgeht, ist natürlich ein Garant für Emotionen, für fiebernde Fans, für eine gesteigerte Nachfrage an den Ticketshops, für hohe Einschaltquoten. Aus neutraler Sicht macht es mehr Spaß, sich ein Spiel anzuschauen, bei dem es für beide Mannschaften um alles geht und sie das auch auf den Rasen transportieren. Aber ist das alles, was einen Wettbewerb wie die Relegation zwischen dem 16. der Bundesliga und dem Dritten der 2. Bundesliga rechtfertigt?

Alle Fakten sprechen für Fürth

Ein kurzer Blick auf die Fakten: Die SpVgg Greuther Fürth hat eine starke Saison gespielt und ist am Ende mit 60 Punkten im Ziel eingelaufen. Von den letzten 16 Pflichtspielen haben die Franken inklusive der beiden Relegationsduelle nur eines verloren. Eine Serie, von der der HSV nur träumen kann: Die Hanseaten haben die Bundesliga mit 27 Punkten abgeschlossen und damit ihre historisch schlechteste Saison hingelegt. Von den letzten elf Spielen gewann das Team von Mirko Slomka nur eines, zuletzt sogar sieben Mal in Folge nicht. Und doch hält Hamburg am Ende die Klasse – ironischerweise aufgrund der Auswärtstorregel und nicht etwa, weil man einen Sieg einfahren konnte.

Klar wäre es jetzt zu einfach, den Wettbewerb nur aufgrund der diesjährigen Fakten zu verteufeln. Dass der HSV sich mit einer Punktzahl in die Relegation gerettet hat, mit der man normalerweise regelmäßig absteigt, in der Relegation dann zwei Mal nicht gewinnt und doch die Klasse hält, ist freilich ein Einzelfall. Und doch zeigt dieses zugespitzte Szenario das Grundproblem des Wettbewerbs: Ist es denn wünschenswert, dass einem Team, das eine durch und durch schwache Saison gespielt hat, die Möglichkeit gegeben wird, sich in zwei Spielen zu rehabilitieren? Ist es wünschenswert, dass die starke Saison eines Zweitligisten in zwei Spielen zunichte gemacht wird?

Worum genau soll es bei den K.o.-Spielen denn gehen? Wenn alleine die dramatische Zuspitzung und die damit verbundene Möglichkeit, noch einmal ordentlich Geld zu machen, im Mittelpunkt steht, wieso dann nicht auch Playoffs um die Meisterschaft? Bayern schließt die Saison mit 19 Punkten Vorsprung ab, geht dann aber in zwei K.o.-Spiele gegen Vizemeister Dortmund. Einfach weil es spannend ist, wird die vorher gespielte Saison gestrichen und es geht bei Null los. Auch nicht wirklich fair, oder? K.o.-Wettbewerb ist K.o.-Wettbewerb, Ligasystem ist Ligasystem.

Jetzt könnte man argumentieren, dass die beiden Teams ja mit gleichen Vorzeichen starten. Und immerhin hat es Fürth nach einer starken Saison in 180 Minuten nicht geschafft, sich gegen eine völlig verunsicherte Mannschaft durchzusetzen. Ganz so einfach ist es aber nicht, denn die beiden Klubs gehen in der Regel eben nicht mit gleichen Voraussetzungen in die Playoffs.

Unterschiedliche Ausgangspositionen

Der Unterschied des Leistungsniveaus zwischen den ersten beiden Bundesligen ist riesig, was nicht zuletzt durch die immer weiter aufklaffende finanzielle Schere zwischen den beiden Spielklassen begründet ist. Wenn sich ein Klub bereits mehrere Jahre in der Bundesliga halten konnte, ist er vom Etat und der wirtschaftlichen Kraft in einem riesigen Vorteil. Wenngleich die Hamburger Mannschaft vor Verunsicherung kaum geradeaus laufen konnte: Lasogga, Çalhanoğlu und van der Vaart sind unter dem Strich doch andere Kaliber als Azemi, Stieber und Fürstner.

Dass sich diese höhere Qualität meist auch durchsetzt, zeigt die Statistik: In bisher 16 Duellen zwischen Bundesliga und der eingleisigen 2. Liga hat sich elf Mal das Team aus dem Oberhaus durchgesetzt, seit der Wiedereinführung in vier von sechs Fällen. Einzig Hertha (zuvor nur ein Jahr Bundesliga, also kein allzu großer Etat-Vorteil) und Cottbus (drei Jahre Bundesliga) haben in den letzten Jahren als Favorit den Kürzeren gezogen. Und man muss kein Prophet sein, dass sich die Vorteile für die Bundesligisten in naher Zukunft noch weiter vergrößern werden, wenn man nur einmal auf die Etat-Entwicklungen der Ligen schaut. Spätestens in ein paar Jahren ist die Relegation ein mindestens überdenkenswertes Modell.

Ganz ehrlich: Aus der Sicht eines Fußball-Romantikers ist es toll, dass der HSV die Klasse gehalten hat. "Sechs Mal Deutscher Meister, drei Mal Pokalsieger, immer erste Liga" - es ist schön, Klubs in der höchsten Spielklasse zu haben, die so etwas von sich behaupten können. Nach den Leistungen dieser Saison wäre der HSV aber verdientermaßen abgestiegen. Die Art und Weise, wie die Klasse gehalten wurde, hinterlässt zumindest einen faden Beigeschmack...

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Jochen Rabe