Darum ist der BVB schon wieder im Krisenmodus

Mit vielversprechenden Transfers und einem neuen Trainerteam wollte Borussia Dortmund seine Probleme im Sommer an der Wurzel packen. Doch vor der WM-Pause ist wieder einmal Ernüchterung eingekehrt. Mit Platz sechs ist der BVB meilenweit von den eigenen Ansprüchen entfernt. Warum?
"Wir starten nicht bei null, wir starten bei Minus", rechnete Edin Terzic der versammelten Presse nach dem 2:4 am 15. Spieltag in Mönchengladbach die Situation der Schwarz-Gelben vor, wenn es im neuen Jahr wieder um Punkte in der Bundesliga geht.
Die Einschätzung des Trainers ist durchaus treffend, denn das Zahlenwerk liest sich so schlecht wie lange nicht. 25 Punkte zu diesem Zeitpunkt sind die schwächste Ausbeute seit fünf Jahren, bereits sechs Niederlagen stehen zu Buche - so oft ging der BVB zuletzt 2014/15, als man zwischenzeitlich in Abstiegsgefahr schwebte, vom Platz (damals sogar neun Pleiten).
Laut Terzic werde es in der WM-Pause eine "harte, ehrliche und direkte" Analyse geben.
Neuer Trainer, neue Spieler - und doch alles beim Alten?
Statt eines Neuanfangs kommen in Dortmund immer wieder die alten Probleme auf den Tisch: Fehlende Konstanz und das leidige Dauerthema Mentalität - oder auch Haltung, wie es Ex-Trainer Marco Rose benannte.
Dabei machte so vieles Hoffnung: Dem "Vollblut-Borussen" Edin Terzic wurde mit Peter Hermann ein äußerst erfahrener Co-Trainer an die Seite gestellt, der unausgewogene Kader mit den Nationalspielern Niklas Süle, Nico Schlotterbeck und Karim Adeyemi sowie dem giftigen Salih Özcan ergänzt. Nicht zu vergessen: Sébastien Haller, dessen Gesundheitsgeschichte bekannt und bitter genug ist.
BVB mit wenig Glanz und viel Ergebnisfußball
Fazit nach 15 Bundesliga-Spielen: Zeitweise schien der Patient Borussia Dortmund auf dem besten Wege zur Genesung und beschränkte sich auf einen effektiven Ergebnisfußball. Dass sich der Defensivverbund verbessert hatte, bewiesen vier 1:0-Siege an den ersten sieben Spieltagen. Die Borussia sammelte ihre Punkte mit Arbeitssiegen und brachte die Spiele auch mal mit "Gewalt" nach Hause, eine neue Qualität.
Ein 19-Jähriger drängte sich dabei weiter besonders in den Fokus: Jude Bellingham.
So jung und schon ein Leader. Der englische Nationalspieler zeigte eine Mentalität und Willensstärke, die so manchem BVB-Spieler zu oft abhanden kommt. Und er tritt offensiv in Erscheinung: Mit neun Pflichtspieltoren, davon vier in der Champions League, ist er der beste BVB-Torjäger. Das Problem: Bellingham ist eine der ganz wenigen Ausnahmen im Kader von Borussia Dortmund.
Der BVB und die konstante Inkonstanz
Wie sehr dem BVB weitere Spieler mit dieser Charakterstärke und Konsequenz auf dem Platz fehlen, zeigt sich in der konstanten Inkonstanz. Gegen Werder Bremen verlor man nach 2:0-Führung noch mit 2:3, in Köln nach 1:0-Führung mit demselben Ergebnis. Zumindest ersteres sollte einem Spitzenteam der Bundesliga nicht passieren.
Ein weiteres Indiz für die fehlende Konstanz ist die Gegentor-Flut in den letzten Wochen. Kassierte man an den ersten sieben Spieltagen nur sieben Treffer, hagelte es in den jüngsten acht Partien deren 14.
Einerseits ließ der BVB zu viele Gegentore nach Standards zu, andererseits wirkte die Mannschaft zuletzt in der Anfangsphase abwesend. In Wolfsburg fiel das erste Gegentor beim 0:2 in Minute sechs, in Mönchengladbach sogar bereits in der 4. Minute.
Die bittere 2:4-Pleite bei den Fohlen ordnete WM-Fahrer Julian Brandt treffend ein: "Mehr einladen als wir heute, kannst du einen Gegner eigentlich nicht." Sportchef Sebastian Kehl wirkte verzweifelt und brachte es ebenfalls auf den Punkt: "Wenn wir so verteidigen, kann man nicht erfolgreich sein." Ein deutlicher Vorwurf, der an die gesamte Mannschaft und nicht nur an die Abwehrkette gerichtet war.
Braucht der BVB Verstärkungen?
Edin Terzic, zu dem Hans-Joachim Watzke "1000-prozentig" steht, muss eine Winterpause im Krisenmodus bewältigen - ohne seine Nationalspieler, die erst eine WM zu spielen haben und dann Urlaub machen werden. Braucht er dafür im Wintertransferfenster gestandene Spieler, die der verunsicherten Mannschaft auf die Beine helfen? Stand jetzt: Jein.
Einerseits ist der Kader so gut bestückt, dass er Bayern-Verfolger Nummer eins sein müsste. Vor allem, wenn Spieler wie Marco Reus, Mahmoud Dahoud, Thomas Meunier oder Jamie Bynoe-Gittens von ihren Verletzungen zurückkehren.
Andererseits funktionieren Neuzugänge wie Karim Adeyemi oder Anthony Modeste noch gar nicht oder stagnieren weiterhin, wie Donyell Malen in seiner zweiten BVB-Saison. Gemeinsam erzielte das Trio gerade einmal zwei Bundesligatore (beide von Modeste). Ein Comeback von Sébastien Haller ist zudem weiterhin nicht in Sicht.
Schwächste Offensivleistung seit 2014/15
So ist neben der zuletzt wackligen Defensive überraschenderweise die Offensive eine Baustelle. Lediglich Yousouffa Moukoko überzeugte mit sechs Pflichtspieltoren vor allem in den vergangenen Wochen.
Gerade einmal 25 Tore stehen auf der Habenseite, die geringste Ausbeute nach 15 Spielen seit 2014/15, als es nur 15 Treffer waren. Die Bayern trafen mit 49 Saisontoren fast doppelt so häufig. Das Problem liegt dabei vielleicht auch in der Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, denn die Borussia hat ligaweit die schwächste Großchancenverwertung (32 Prozent).
In der Vergangenheit machten allzu häufig starke Offensivleistungen die offensichtlichen Probleme in der Rückwärtsbewegung wett. Edin Terzic geht mit einem "schweren Gepäck" - wie es Julian Brandt formulierte - in die WM-Pause, denn momentan stimmt nur wenig in der Mannschaft. Weder hinten noch vorne.
Lars Wiedemann