25.06.2024 22:01 Uhr

Gnade der zweiten Chance: Lewys Gurken-Elfer ohne Folgen

Robert Lewandowski benötigte zwei Anläufe für sein Elfmeter-Tor
Robert Lewandowski benötigte zwei Anläufe für sein Elfmeter-Tor

Robert Lewandowski fällt seit Jahren mit einem ganz besonderen Elfmeter-Stil auf. Oft geht sein verzögerndes Gezappel gut, im EM-Spiel gegen Frankreich nicht – jedenfalls einmal nicht. Denn der frühere Bayern-Star bekommt in Dortmund eine zweite Chance.

Robert Lewandowski tat in dieser 77. Minute des EM-Vorrundenspiels zwischen den schon ausgeschiedenen Polen und Topfavorit Frankreich das, was er immer tut, wenn er einen Elfmeter schießt. Er trippelte, er stoppte, trippelte wieder an, stoppte, trippelte, verzögerte – und starrte dabei Frankreichs Torwart Mike Maignan an.

Die Nummer 9 der Polen wirkte wie ein Cowboy, der darauf wartet, dass sein Gegenüber endlich zieht. Lewandowskis Problem: Maignan ließ sich im Oberkörper nicht in die Karten schauen, zuckte nicht, spielte das Spiel des Stürmerstars nicht mit. Und irgendwann musste der ja schießen (VIDEO ÖFFNET SICH OBEN).

Heraus kam ein schwach geschossener Ball ins (vom Schützen aus gesehen) linke Toreck, den Maignan ohne Probleme abwehrte; zum Jubel der zu diesem Zeitpunkt 1:0 führenden Equipe Tricolore, die durch einen souverän und ohne jegliches Gezappel verwandelten Elfmeter von Maskenmann Kylian Mbappé Kurs auf den Gruppensieg genommen hatte.

Lewandowski kann sich bei Maignan bedanken

Ein Fehler war Maignan allerdings unterlaufen. Noch während der Ball Richtung Toraus trudelte, prangerte Lewandowski ein Vergehen des Torstehers an. Die Beine der Nummer 16 (Fabien Barthez lässt grüßen) bewegten sich einen Tick zu früh nach vorne.

Als Lewandowski sein Schüsschen abgab, stand Maignan zu weit vor der Torlinie, verschaffte sich so einen Vorteil, da er den Einschusswinkel für den Schützen verkleinerte.

Schiedsrichter Marco Guida, der Maignan vor dem Elfer an die seit einiger Zeit strenger kontrollierte Fußregel hingewiesen hatte, gab dem Einspruch Lewandowskis umgehend statt. Der Italiener ordnete eine Wiederholung an. Frankreichs Weltmeister-Trainer Didier Deschamps verstand an der Seitenlinie die Welt nicht mehr. Sacrebleu!

Elfmeter Nummer zwei erwies sich als echtes "Replay" – als hätte im Westfalenstadion ein Regisseur mit Fernbedienung zurückgespult, lief Lewandowski erneut in seinem ganz eigenen Stil an. Die polnischen Fans hielten den Atem an, als der einstige Weltfußballer wie gehabt abstoppte, seinen rechten Fuß drehte und den Ball anschob. Der Unterschied: Dieses Mal schoss Lewandowski präziser – viel präziser.

Maignan roch den Braten zwar erneut und tauchte in seine rechte Ecke ab. Der Pole aber hatte dieses Mal so genau gezielt, dass die Kugel für den Milan-Torwart unerreichbar geriet. Vom Innenpfosten sprang sie ins Netz. 1:1. Ein echter Stimmungsdämpfer für die bei dieser EM bisher enttäuschenden Franzosen.

Frankreich würgt sich weiter, Polen beweist Moral

Obschon Les Bleus sich im Vergleich zu den Spielen gegen Österreich und Holland offensiver präsentierten, blieb die Deschamps-Elf auch in Dortmund weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück.

Gewiss, Frankreich ist in der happigen Gruppe D als Zweiter hinter Ralf Rangnicks Sensations-Österreichern weiter. Überzeugt, gar geglänzt hat der Vizeweltmeister nicht. Der Ruf des Topfavoriten, der die Gegner überrennenden Highspeed-Offensivmaschine, hat in der Gruppenphase Kratzer bekommen. Konstant gut spielte in den drei Partien vielleicht nur Torwart Maignan – der in Dortmund um ein Haar zum Retter wurde, hätte er einen Augenblick länger die Füße stillgehalten.

Extrem-Verzögerer Robert Lewandowski ereilte hingegen die Gnade der zweiten Chance. Der 35-Jährige durfte trotz Peinlich-Elfer jubeln. So wie alle Polen an diesem Abend. Während Frankreichs Starensemble nicht geschlagen, aber doch leicht bedröppelt vom Dortmunder Rasen schlurfte. Dompteur Deschamps gab sich trotzig: "Das erste Ziel ist erreicht. Jetzt geht der Wettkampf von vorne los."

Lewandowskis Treffer war nebenbei noch einer für die Geschichtsbücher: Als erst dritter Spieler (nach Luka Modric und Cristiano Ronaldo) traf der Torjäger bei vier EM-Endrunden. Es war die letzte Chance für ein besonderes Tor.

Martin Armbruster, Dortmund