19.06.2014 20:20 Uhr

Schweizer wollen Geschichte schreiben

Die Schweiz hofft mit Multikulti auf einen historischen Sieg, Frankreich will endlich die "Schande von Knysna" vergessen machen. Der Gewinner steht wahrscheinlich schon im Achtelfinale.

Ottmar Hitzfelds Multikulti-Schweizer plauderten ganz entspannt am Strand mit ihren Fans und posierten für Fotos. Das WM-Team mit dem größten Ausländeranteil, das viertjüngste in Brasilien, geht mit allerbester Laune eine historische Mission an. Sollten Bayern-Star Xherdan Shaqiri und Co. am Freitag gegen Ex-Weltmeister Frankreich gewinnen, wären sie die ersten Schweizer in der WM-Geschichte mit zwei Siegen zum Start.

Hitzfeld hält dieses Novum, das voraussichtlich den vorzeitigen Achtelfinaleinzug bedeuten würde, für möglich. "Es ist ein großes Derby für uns, ein Duell auf Augenhöhe. Wenn wir an unsere Grenzen gehen, haben wir eine Chance", sagte der Schweizer Nationaltrainer vor dem Abschlusstraining am Donnerstag in Salvador da Bahia, warnte aber gleichzeitig: "Die Franzosen sind offensiv sehr flexibel und funktionieren wie eine Maschine."

Multikulti als Schlüssel zum Erfolg

Die "Blauen" zu schlagen, haben die Eidgenossen in Pflichtspielen bislang stets vergeblich versucht. Im fünften Anlauf soll es die "bunte Nati" (Blick) mit 15 Spielern mit ausländischen Wurzeln, die zum Auftakt 2:1 gegen Ecuador gewann, endlich schaffen. Gleich neun Einwanderer oder "Secondos", in der Schweiz geborene Kinder von Immigranten, könnten in der Startelf stehen. "Ohne sie hätten wir Probleme, uns für eine WM zu qualifizieren", sagte Hitzfeld.

Wie die bei WM-Turnieren meist erfolglosen Schweizer wollen auch die Franzosen ihre Vergangenheit besiegen. Vier Jahre nach der "Schande von Knysna", dem Spielerstreik in Südafrika, sollen WM-Erfolge der Equipe Tricolore die Fans versöhnen. Patrice Evra, 2010 einer der Rädelsführer beim Aufstand gegen Trainer Raymond Domenech, will das Thema endlich abhaken.

Evra wieder Wortführer

"2010 habe ich alles gegeben und meine Energie verloren, heute gebe ich alles und erhalte Energie zurück", sagte der Linksverteidiger, mit 33 Jahren der Älteste im jungen französischen Team, "2010 hat mich aufgefressen."

Damals war er neben Bayern-Star Franck Ribéry maßgeblich daran beteiligt, dass die Mannschaft nach dem Rauswurf von Nicolas Anelka auf die Barrikaden ging. Vier Jahre nach dem Vorrunden-Aus der Revoluzzer sieht sich Evra wieder als Wortführer. "Als ich nach meiner Sperre zurückgekommen bin, habe ich mir gesagt: Mach dich ganz klein", berichtete er, "aber das kann ich nicht. Ich bin ein Anführer."

Der Stolz ist zurück

Diesmal will er es vor allem auf dem Feld, nicht wie damals im Mannschaftsbus sein. Dass die alten Kumpel wie Ribéry fehlen, hat er längst überwunden. Inmitten der jungen Raphaël Varane, Paul Pogba oder Antoine Griezmann fühlt sich Evra pudelwohl. "Wir sitzen zusammen beim Frühstück und fragen uns: Warum spielen wir nicht alle zusammen in einem Verein?", berichtete er: "Der Stolz, das Trikot tragen zu dürfen, ist zurück."

Auch wenn der Weltmeister von 1998 erst in letzter Minute in den Play-offs sein WM-Ticket löste und in der FIFA-Weltrangliste als 17. elf Plätze hinter den Schweizern liegt, traut Evra der neuen Generation viel zu: "Ohne respektlos gegenüber den anderen sein zu wollen - aber der Gegner Nummer eins ist Frankreich."

Garant für den Einzug ins Achtelfinale soll Torjäger Karim Benzema sein. Der 26-Jährige vom Champions-League-Sieger Real Madrid, der beim 3:0 gegen Honduras zweimal traf und in seinen letzten sieben Länderspielen acht Tore erzielte, ist vom Chancentod zum Hoffnungsträger geworden. Er soll helfen, eine kuriose WM-Serie fortzusetzen: Seit dem Titelgewinn 1998 schieden Les Bleus abwechselnd in der Vorrunde aus oder erreichten das Finale. Nach der "Schande von Knysna" wäre jetzt wieder das Endspiel dran.

sid

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