12.09.2017 15:10 Uhr

Bayern-Gegner RSC Anderlecht: Eile mit Weiler

Coach René Weiler (m.) hofft mit Anderlecht auf eine Überraschung
Coach René Weiler (m.) hofft mit Anderlecht auf eine Überraschung

Vor dem Champions-League-Auftakt läuft es beim belgischen Traditionsverein RSC Anderlecht noch nicht rund. Der erste Gegner des FC Bayern am Dienstag stolpert derzeit durch die Liga, vom Hype der vergangenen Rückrunde ist nicht mehr viel zu spüren. Endet der stolze Klub aus dem Vorort Brüssels als Kanonenfutter?

Als Łukasz Teodorczyk nach seinem Lucky Punch gegen Sporting Lokeren Richtung Fankurve rannte und mit voller Wucht gegen eine Werbebande trat, entlud sich der Ärger eines ziemlich verkorksten Saisonstarts in einer einzigen Bewegung. 58 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit spitzelte der zuletzt formschwache Torjäger den Ball zum 3:2 über die Linie.

Der zweite Sieg im sechsten Liga-Match hat Coach René Weiler und seinem Team etwas Luft verschafft - durchatmen können sie freilich nicht. Platz zehn in der Pro League entspricht nicht dem Selbstverständnis des belgischen Rekordmeisters, der erst Mitte Mai den 34. nationalen Titel der Vereinsgeschichte gefeiert hatte.

Lobgesang von "The Special One"

Weiler setzt auf den Faktor Zeit. "Wir sind in einer Findungsphase, aber ich habe keine Zweifel, dass wir uns erneut ganz weit nach vorne arbeiten werden", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" den ehemaligen Trainer des 1. FC Nürnberg, der mit dem Club im Vorjahr den Bundesliga-Aufstieg knapp verpasst hatte.

Wenige Wochen nach dem schmerzhaften Scheitern in der Relegation gegen Eintracht Frankfurt folgte der Schweizer einem Lockruf aus Anderlecht und führte den runderneuerten Kader nicht nur zur Meisterschaft, sondern auch bis ins Viertelfinale der Europa League.

Gegen den späteren Cupsieger Manchester United (1:1/1:2 n.V.) schied der Royal Sporting Club höchst unglücklich aus, konnte sich jedoch mit Lob von höchster Stelle trösten.

"Es war sehr, sehr schwer", bilanzierte "The Special One" José Moutinho nach dem Rückspiel und schwärmte vom Stil der Belgier: "Sie haben uns lange Zeit kontrolliert".

Der Schuh drückt in allen Mannschaftsteilen

Knapp fünf Monate später ist von besagter Spielkontrolle nichts mehr zu sehen. Vor dem Auftritt in der Allianz Arena hakt es beim RSC in allen Mannschaftsteilen. Der Abwehrreihe mangelt es an internationaler Klasse, im Mittelfeld wird der torgefährliche Youri Tielemans (ging für 25 Millionen Euro nach Monaco) schmerzlich vermisst.

Und auch im Angriff drückt der Schuh, seit der im Vorjahr überragende Łukasz Teodorczyk auf Formsuche ist. Ob das Siegtor gegen Lokeren zum Brustlöser taugt, bleibt abzuwarten.

Der Pole, der in München auf seinen Nationalmannschaftskollegen Robert Lewandowski trifft, ist das Zünglein an der Waage in Anderlechts Angriff. Nur Spielmacher Sofiane Hanni, von Weiler zum Kapitän ernannt, genießt einen ähnlich hohen Stellenwert. Erwischt das Duo einen schlechten Tag, wird der Sturm zum lauen Lüftchen.

In den ersten fünf Liga-Partien hatten die Lila-Weißen überhaupt nur dreimal getroffen. Ob's in München besser läuft?

Weiler-Effekt erfordert Geduld

Hoffnung macht den Anhängern der Belgier, dass von René Weiler gecoachte Teams oftmals mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen haben, nach einiger Zeit aber Fahrt aufnehmen - und wie: In der Saison 15/16 ließ der 1. FC Nürnberg einer ordentlichen Hinrunde mit 27 Zählern eine phänomenale Rückserie samt 38 Punkten folgen.

Auch in Anderlecht stotterte der Motor zunächst, als Tabellensechster drohte Weiler im November gar die vorzeitige Entlassung. 13 Spiele ohne Niederlage später grüßte der RSC von der Spitze. So groß die Eile vieler Klubs auch ist, akut erfolgreich zu sein, so sehr lohnt sich auf lange Sicht doch die Zusammenarbeit mit dem akribischen Arbeiter Weiler. Geduld ist allerdings gefragt.

Wie sich die Stimmung im Brüsseler Vorort fortan entwickelt, hängt maßgeblich von der Performance in der Königsklasse ab. In der Gruppe B mit Bayern, Paris Saint-Germain und Celtic ist Anderlecht Außenseiter. Mehr als Platz drei, gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Zwischenrunde der Europa League, ist für den Traditionsverein höchstwahrscheinlich nicht drin.

"Die Chancen sind nicht riesig. Über die Favoritenrolle brauchen wir nicht zu reden", äußerte sich Weiler auf einer Pressekonferenz in München zurückhaltend.

Der Tenor: Bloß nicht als Kanonenfutter enden. Ganz ohne Kampfansage wollte der 43-Jährige das Podium aber doch nicht verlassen: "Ein Lucky Punch ist nicht ausgeschlossen". Lokeren kann ein Lied davon singen.

Heiko Lütkehus