Müllers paradoxe Situation beim FC Bayern

Die Entscheidung von Bundestrainer Joachim Löw, künftig unter anderem auf die Dienste von Thomas Müller freiwillig verzichten zu wollen, hat hohe Wellen geschlagen. Kritische Worte folgten prompt von Seiten des FC Bayern. Doch gerade in der bayrischen Landeshauptstadt scheiden sich in dieser Saison die Geister am Angreifer. Eine paradoxe Situation.
Die Oberen des FC Bayern um Karl-Heinz Rummenigge und Hasan Salihamidzic zeigten sich "irritiert" und "überrascht", als "fragwürdig" wurde die Ausbootung von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng letztlich im offiziellen Statement abgestempelt. Vor allem der Zeitpunkt der Löw-Bekanntgabe stößt in München sauer auf.
Auch Niko Kovac kommentierte das ungewollte Störfeuer, das mitten im neu entfachten Titelrennen um die Meisterschaft die Schlagzeilen dominiert. Er erwarte nun, "dass sie uns allen in den kommenden Wochen eine Trotzreaktion zeigen und beweisen, dass sie immer noch zu den Besten gehören", so der FCB-Trainer im "kicker".
Unterschiedlich fielen indes die Reaktionen der Verstoßenen aus. Während Boateng gar so etwas wie Verständnis entgegenbrachte, musste Müller die Entscheidung erst einmal sacken lassen.
Schließlich entschloss sich der 100-fache Nationalspieler dazu, die "Art und Weise" und "diese suggerierte Endgültigkeit" in einem selbst aufgenommenen Video zu kritisieren. Mit "Wertschätzung" habe das Vorgehen nichts zu tun, so Müller sichtlich enttäuscht. Hummels stieß mit seinem Statement wenig später ins gleiche Horn.
Thomas Müller beim FC Bayern nicht unersetzbar
Trotz der deutlichen Kritik aus München ist es allerdings vor allem Thomas Müller, der sich der Realität nun stellen muss. Immerhin, so wird es auch der Bundestrainer gesehen haben, erlebte dieser in der laufenden Saison viele Höhen und Tiefen. Letztere überwogen oftmals.
Unter Trainer Niko Kovac begann Müller seine Saison mit zwei Toren und zwei Vorlagen in den ersten beiden Spielen noch furios. Dann folgte im Herbst der Einbruch im Verein und im DFB-Dress, ehe die Rückrunde verdeutlichte: Unersetzbar ist der 29-Jährige nicht mehr.
Längst darf der Offensivspieler beim FC Bayern nicht mehr auf seiner Lieblingsposition im Zentrum auflaufen. Hinter der Spitze werden James Rodríguez oder Leon Goretzka klar favorisiert.
Daher muss Müller auf den eher ungeliebten rechten Flügel ausweichen. Außerhalb des Strafraums kann er seine Stärken jedoch nicht immer zur Geltung bringen, oftmals fehlt ihm dort auch die Bindung zum Spiel. Bislang lieferte er fünf Tore und sechs Vorlagen in der Liga - für Müllers Verhältnisse unterdurchschnittliche Werte.
Ungeliebtes Novum für Müller beim FC Bayern
Damit nicht genug: Auch auf den Außenbahnen ist die Konkurrenz in München enorm. Auf lange Sicht sollen Kingsley Coman und Serge Gnabry die Flügelzange bekleiden, das zeigt nicht zuletzt die jüngste Vertragsverlängerung des deutschen Nationalspielers.
So blieb für Thomas Müller in den letzten Wochen oftmals nur die Bank. Gegen Schalke (3:1) musste er 90 Minuten lang zusehen, gegen Augsburg (3:2) und Hertha (1:0) reichte es nur zu Kurzeinsätzen.
Im Pokal gegen die Berliner kam er lediglich in der 120. Minute aufs Feld, um Zeit von der Uhr zu nehmen. Erstmals seit 2009 war Müller in vier aufeinanderfolgenden Pflichtspielen bei seinem FC Bayern nur Reservist.
"Klar, dass er nicht zufrieden ist, wenn er nicht von Anfang an spielt. Aber es gibt immer solche Phasen", so etwa Sportdirektor Salihamidzic über den einst Unumstrittenen.
"Comebacker des Tages": Es kommt wieder auf Müller an
Das Paradoxe: Dennoch ist Müller da, wenn es darauf ankommt. Das bewies nicht zuletzt der deutliche Sieg der Bayern im Topspiel gegen Borussia Mönchengladbach (5:1) am vergangenen Spieltag.
Da mit Kingsley Coman, Franck Ribéry und Arjen Robben gleich drei Flügelstürmer ausfielen, beorderte Kovac den formschwachen Müller wieder in die Startelf.
Der Ur-Bayer zahlte das Vertrauen mit einer insgesamt ansprechenden Leistung zurück, mit seinem ersten Tor seit Ende November vergangenen Jahres brachte er die Münchner außerdem früh auf die Siegerstraße.
Der Angreifer führte die zweitmeisten Zweikämpfe aller Bayern-Spieler und machte obendrein die meisten Sprints. Kovac lobte später die vor allem seine "defensive" Leistung. Sich selbst bezeichnete Müller hinterher zurecht als "Comebacker des Tages".
Im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg will der Weltmeister von 2014 seinen kleinen Trend nun bestätigen, ehe allerdings - wie kann es anders sein - der nächste Dämpfer folgt: Im Achtelfinal-Rückspiel gegen den FC Liverpool muss Müller wegen seiner Rotsperre in der Champions League wieder von außen zuschauen.
Gerrit Kleiböhmer