Kahn: FC Bayern ist kein "Fußball-Schlaraffenland" mehr

Anfang 2022 wird Oliver Kahn Karl Heinz-Rummenigge als Vorstandchef des FC Bayern München ablösen, bereits jetzt ist der 51-Jährige bestens in die Prozesse an der Säbener Straße eingebunden. In einem Interview äußerte sich der dreimalige Welttorhüter nun zu wichtigen Fragen rund um den deutschen Rekordmeister.
Konfrontiert mit dem möglichen Verkauf einiger Stars des FC Bayern zeigte Kahn sich wenig gesprächsbereit: "Grundsätzlich denken wir nicht darüber nach, Top-Spieler zu verkaufen", betonte der ehemalige Keeper der Münchner im Gespräch mit dem "kicker". Die Kontinuität im Kader sei ein grundlegender Faktor für den Erfolg des FC Bayern, so Kahn weiter. Der designierte starke Mann des Klubs schränkte jedoch ein: "Aber auch wir leben nicht mehr in einem Fußball-Schlaraffenland, wo Milch und Honig unbegrenzt fließen."
Auf die von ihm 2016 prognostizierten Offerten über 150 Millionen Euro oder mehr für Spieler des FC Bayern angesprochen, bewertete Kahn sie Situation neu. "Solche Summen sehe ich in naher Zukunft nicht mehr, sie widersprächen jeglicher wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität."
Besonders schwer dürfte da wiegen, dass mit Javi Martínez, Jérôme Boateng und David Alaba gleich drei Spieler die Bayern nach der Saison ablösefrei verlassen dürfen. "Der von Corona beeinflusste Transfermarkt stellt für alle Klubs eine große Herausforderung dar", erklärte Kahn in diesem Zusammenhang, verwies aber auch darauf, dass er "volles Vertrauen in Hasan Salihamidzic [Sportvorstand des FC Bayern, d.Red.] und sein Team" habe.
Der FC Bayern wird künftig "sehr genau kalkulieren"
Klar sei jedoch, dass man in München "in Zukunft sehr genau kalkulieren" werde, betonte Kahn weiter. "Auch vor Corona war schon abzusehen, dass die ständig steigenden Lizenzspielerkosten bei stagnierenden oder fallenden Einnahmen kaum noch finanzierbar sein werden", die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung beschleunigt. Dass Bayern vorsichtig agiert, dürfte auch den Abgang von Alaba erklären.
Der Österreicher soll angeblich ein enormes Gehaltsupgrade verlangt haben. Diesen Umstand bestätigte Kahn zwar nicht, führte jedoch aus: "Für uns gibt es klare Grenzen, die wir, wie wir gezeigt haben, nicht überschreiten." Auch Alabas Berater Pini Zahavi bleibt von einem kleinen Seitenhieb nicht verschont. Auf eine gewisse Weise hätten ihn die Verhandlungen "desillusioniert, weil ich eine Abkopplung von der Realität feststelle, die atemberaubend ist".
Der Fall Alaba dient jedoch keinesfalls als Schablone für das weitere Vorgehen des FC Bayern. "Warum sollten wir nicht daran denken, mit dem einen oder anderen noch mal zu verlängern, wenn sie so spielen wie zurzeit?", sagte Kahn über die Superstars Manuel Neuer, Thomas Müller und Robert Lewandowski.
Das Trio ist bis 2023 an den FC Bayern gebunden. Neuer wäre dann schon 37 Jahre alt, Lewandowski 35 und Müller knapp 34. Kahn betonte daher, dass eine Ausdehnung eines oder mehrerer Arbeitspapiere den Klub nicht aus der Verantwortung entlasse, "uns darüber Gedanken zu machen, wie es nach diesen Persönlichkeiten weitergehen soll".
Der Zeit nach der von Neuer und Co. geprägten Ära blickt Kahn entspannt entgegen. "Wir wissen, dass sich große Spieler in den nächsten Jahren verabschieden werden. Aber wir wissen auch, und das zeigt die lange Historie des FC Bayern: Es ging immer erfolgreich weiter, und dafür müssen wir Sorge tragen."
FC Bayern wünscht sich "spannenden Wettbewerb"
Weiterhin bezog Kahn zum Vorwurf Stellung, die Bundesliga habe aufgrund der enormen Dominanz des FC Bayern an Attraktivität eingebüßt, vor allem bezüglich der Einnahmen bestehe eine zu große Differenz zwischen den Top-Klubs und den Vereinen aus dem Mittelfeld.
Es sollte im deutschen Fußball-Oberhaus "keine Denkverbote" geben, stellt Kahn heraus. Gedankenspiele wie andere Verteilungsmechanismen oder eine grundsätzliche Änderung des Wettbewerbs dürften nicht von vorneherein als unmöglich verwerfen werden. "Wir vom FC Bayern sind die Letzten, die nicht an einem spannenden Wettbewerb interessiert sind", so Kahn.
Gerüchte um eine mögliche Abwanderung von Erfolgscoach Hansi Flick zum DFB nimmt Kahn derweil äußerst gelassen zur Kenntnis. Er bleibe "entspannt", da Flick in München noch einen Vertrag bis 2023 besitze, hielt Kahn das Thema klein.