ManUnited und Ralf Rangnick: Alles nur ein Missverständnis?

Mit der Verpflichtung von Ralf Rangnick als Interimstrainer wollte der chronisch aufgeregte Premier-League-Gigant Manchester United endlich wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen. Bislang ist es dem Deutschen jedoch nicht gelungen, die Red Devils zu stabilisieren. Jüngster Tiefpunkt war das kläglich verlorene Stadtderby, nach dem es Kritik aus allen Richtungen hagelte. Ist die Liaison zwischen dem früheren Schalke-Coach und dem englischen Rekordmeister ein einziges großes Missverständnis?
Ralf Rangnick stand die Ernüchterung ins Gesicht geschrieben. Der Teammanager musste nach einem denkwürdigen Derby-Debakel zugeben, was sich bei Manchester United niemand gerne eingesteht: Die Mannschaft ist meilenweit von der Spitze entfernt.
"Es war ein schwieriges Spiel, das gezeigt hat, wie groß der Abstand zu ihnen gerade ist", gestand Rangnick nach dem bitteren 1:4 (1:2) bei Tabellenführer Manchester City.
Es waren alarmierende Worte, die aufhorchen lassen. Das Minimalziel Champions-League-Qualifikation, das Rangnick in seinen verbleibenden zweieinhalb Monaten als Interimscoach erreichen muss, ist in dieser Form in höchster Gefahr. Daran ließ auch TV-Experte Roy Keane keinen Zweifel.
"United hat aufgegeben, und das ist vor allem in einem Derby, eigentlich aber in jedem Spiel, unverzeihlich", polterte die Klub-Ikone bei "Sky Sports" und nannte den Auftritt einiger Spieler "beschämend". Diese, forderte der Ire, ohne Namen zu nennen, "sollten nicht mehr für United spielen".
Kritiker schießen sich auf Rangnick ein
Wenig überraschend waren die Schlagzeilen am nächsten Morgen verheerend. "Damned United", das verfluchte United, titelte der "Daily Telegraph". Der "Daily Express" sah "Sad United in Stücke gerissen".
Die Ausgangslage für die entscheidenden Wochen ist heikel. United hat als Liga-Fünfter zwar nur einen Zähler Rückstand auf die Königsklasse, aber drei Spiele mehr absolviert als der Vierte FC Arsenal.
In der Champions League haben die Red Devils, die im Achtelfinal-Hinspiel bei Atlético Madrid immerhin ein 1:1 holten, zudem noch eine Titelchance - auch wenn das ein weiter Weg wird. Ansonsten sind Ex-BVB-Star Jadon Sancho und seine Kollegen aus allen Pokalen raus.

Paradox ist, dass sich Rangnicks Bilanz in seinen 14 Ligaspielen (sieben Siege, fünf Remis und zwei Niederlagen) nicht so erschütternd liest, wie es die allgemeine Großwetterlage vermuten lässt.
Unnötige Remis gegen Kellerteams wie Burnley oder Watford riefen jedoch immer wieder Kritiker auf den Plan, weshalb ausgeschlossen sein dürfte, dass der künftig als Berater eingeplante Rangnick das Team über den Sommer hinaus trainieren darf.
Immer wieder Wirbel um Cristiano Ronaldo
Obendrein ist die angeblich schlechte Stimmung innerhalb der Mannschaft häufig großes Medienthema. Der im Sommer zurückgekehrte Cristiano Ronaldo tut sich mit seinen 37 Jahren im laufintensiven Rangnick-System schwer und erzielte unter ihm nur drei Tore.
Gegen City fehlte der Routinier, was durchaus überraschte. Rangnick erklärte es mit einer Verletzung am Hüftbeuger. Keane schenkte diesem Narrativ wenig Glauben.
"Bei Ronaldo scheint mehr dahinterzustecken", mutmaßte der 50-Jährige. Das Gerede über eine angebliche Blessur bei Ronaldo ergebe für ihn "keinen Sinn".
Unter anderem "The Athletic" berichtete, CR7 sei noch vor dem Derby in seine portugiesische Heimat geflogen, was im Team für Verwunderung gesorgt haben soll.
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Die "Sun" bezeichnet den 37-Jährigen deshalb als aktuellen Haupttreiber hinter der schlechten Stimmung bei United. Ronaldo heize die angespannte Atmosphäre sogar weiter an, heißt es.
Problem: Bisher hat Rangnick nicht den richtigen Ansatz gefunden, um den regelmäßig ausscherenden Superstar wieder einzunorden. Auch die ständige Unruhe um Weltmeister Paul Pogba ist geblieben.
Viele Baustellen, kaum Lösungsansätze
Bevor United am Samstagabend den direkten Konkurrenten Tottenham Hotspur im Old Trafford empfängt (ab 18:30 Uhr im LIVE-Ticker), muss sich Rangnick viele kritische Fragen gefallen lassen.
Wo bleibt die fußballerische Entwicklung? Warum sind so viele Spieler aktuell unzufrieden (u. a. Eigengewächs Marcus Rashford)? Und wieso kommen die Quertreiber mit ihrem divenhaften Verhalten immer wieder ungestraft davon?
Viel Zeit, Antworten zu finden, hat Ralf Rangnick nicht mehr. Momentan spricht eine Menge dafür, dass seine kurze Zeit als Trainer von Manchester United als großes Missverständnis enden wird.
Heiko Lütkehus (mit "AFP"-Material)