10.05.2022 14:28 Uhr

Schalker Fan-Expertin: "Platzsturm gehört irgendwie dazu"

Nach dem Aufstieg kannte die Freude beim FC Schalke 04 keine Grenzen mehr
Nach dem Aufstieg kannte die Freude beim FC Schalke 04 keine Grenzen mehr

Am Samstagabend ist der FC Schalke 04 nach einem 3:2-Erfolg über den FC St. Pauli in die Bundesliga aufgestiegen. Nach dem Abpfiff gab es kein Halten mehr. Eine, die mittendrin war, ist Fan-Kennerin Susanne Hein-Reipen, die die Königsblauen seit 1983 begleitet.

Zwei Tage nach dem Aufstiegsspektakel in der Veltins Arena hat Schalke-Expertin und Fan-Insiderin Susanne Hein-Reipen mit sport.de über die außergewöhnliche Stimmung unter den Anhängern gesprochen, verraten, wie nah das Spiel an einem Abbruch war und welches Souvenir sie mit nach Hause genommen hat.

Frau Hein-Reipen, wie haben Sie den Samstagabend im Stadion erlebt?

Susanne Hein-Reipen: Das war wieder eine typische Schalke-Dramaturgie. Es wäre ja zu schön gewesen, wenn wir einfach mal früh in Führung gegangen wären. Es musste unbedingt ein 0:2-Rückstand sein (lacht). Aber dafür war es dann umso schöner. Nach dem 3:2 und nach dem Abpfiff gab es kein Halten mehr. Da stand die ganze Arena Kopf. Es war einfach nur geil. 

Es wirkte fast so, als wäre der Rückstand gar kein Problem, die Stimmung blieb trotzdem recht entspannt.

Das stimmt. Das lag wohl auch daran, dass Schalke gut gespielt hat, gute Chancen hatte und St. Pauli aus zwei Gelegenheiten zwei Tore gemacht hat. Selbst diejenigen, die sonst eher pessimistisch sind, haben gesagt: Da geht noch was, die Jungs sind heiß. Ob es in der Luft lag oder ob es nur die pure Hoffnung war: Das Gefühl war ganz klar, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war zu diesem Zeitpunkt.

Ist es nicht fast ein bisschen traurig, dass die Schalker Aufstiegsfeier um ein Vielfaches intensiver war als die Meisterfeier der Bayern?

Aus Schalker Sicht finde ich das nicht (lacht). Aufstiegsfeiern von Schalke sind einfach seltener als Bayern-Meisterfeiern. Im Ernst: Es ging am Samstag ab wie selten. Das lag auch daran, dass viele am Anfang der Saison skeptisch waren. Es gab ja nicht wenige, Schalke nach dem Abstieg prophezeit haben, bis in die 3. Liga durchgereicht zu werden. Dazu die Pleite-Sorgen und der komplette Umbruch in sportlicher Hinsicht. Da haben es viele nicht zu hoffen gewagt, dass es so schnell wieder klappt. Zum Vergleich muss man ja nur zum HSV schauen, die es in den letzten Jahren mit den gleichen Ambitionen mehrfach nicht gepackt haben. Daher waren am Samstag einfach alle am Ende nur glückselig.

Und auch die Freude der Mannschaft war schön mit anzusehen. Klar ist der Aufstieg für den Marktwert und das Gehalt der Spieler gut, aber man hatte auch das Gefühl, dass das eine richtige Einheit war. Die Bilder von Simon Terodde, Marius Bülter und allen anderen, die mit den Fans Selfies gemacht und vor Freude geweint haben, das war schon ein tolles Gefühl.

Der Platzsturm war also definitiv unvermeidbar ...

Ja. Es hat mich ein wenig gewundert, dass der Verein darauf nicht so wirklich vorbereitet war. Es gibt in der Arena nun einmal den Graben zwischen Spielfeld und Tribüne, dadurch, dass es die herausfahrbare Rasenwanne gibt. Es war schon komisch, dass keine Stege oder ähnliches bereitstanden. Bei Konzerten oder der Mitgliederversammlung ist das ja auch möglich. Ob man gedacht hat, dass die Leute wegen des Grabens auf den Sturm verzichten? Für mich jedenfalls war damit zu rechnen, dass das passiert. 


Mehr dazu: Platzsturm auf Schalke hätte "in Katastrophe enden können"


Und für mich gehört ein Platzsturm, wenn ein Titel gewonnen oder der Aufstieg gefeiert wird, auch irgendwie dazu. Wenn ich nicht Probleme mit dem Knie gehabt hätte, hätte ich auch versucht, auf den Rasen zu kommen. Es war auch alles total friedlich. Nur der Graben hat es ein wenig gefährlich gemacht. Gut, die Tore sind zerlegt und der Rasen hat ein paar Löcher, aber ansonsten haben sich die Leute einfach nur gefreut.

Ein paar wenige Verletzte gab es aber.

Richtig. Einige sind recht optimistisch heruntergesprungen und in drei Meter Tiefe auf Beton gelandet. 

Am Ende war der Rasen trotzdem recht schnell mit Zehntausenden gefüllt.

An den Ecken der Nordkurve wurden Tore geöffnet und so sind viele über die Tunnel auf das Feld gekommen. Ich habe auch Bilder gesehen, wie Polizisten den Fans halfen, die an der Brüstung hingen. 

Schalke-Fans tauchten das Stadion in Feuer und Rauch
Schalke-Fans tauchten das Stadion in Feuer und Rauch

Rund um das Spiel gab es einiges an Pyro-Technik zu bestaunen, mit Abbruch wurde gedroht. Wie war das genau?

Die große Pyro-Aktion zu Beginn war ganz sicher mit dem Verein abgesprochen. Das Dach war bis 15 Minuten vor Anpfiff zu, dann wurde es halb geöffnet. Das hat mich schon gewundert, aber dann war klar, warum. Die Ultras haben über den Aufsichtsrat einen relativ guten Draht zum Verein. 

Danach haben beide Lager bei einzelnen Aktionen, zum Beispiel Toren, Bengalos hochgehalten. Daran hat sich auch keiner gestört. Irgendwann kam allerdings die Durchsage, dass der Vierte Offizielle gesagt habe, wenn es nicht langsam zum Ende kommt, würde ein Abbruch drohen. Auf den Tribünen wurde es dann bei den nächsten Fackeln, die trotzdem weiter kamen, etwas unruhiger. 

Asamoahs Wort hat bei Schalke Gewicht

Nach dem 3:2 gab es dann sowohl im Gäste- als auch im Heimblock wieder Bengalos, eine Durchsage folgte und dann ist auch Gerald Asamoah von der Trainerbank zur Nordkurve gelaufen, um mit den Vorsängern zu sprechen. Bis zum Abpfiff gab es dann keine mehr. Asa hat den wirklichen Stopp erreicht, auf ihn wurde gehört.

Erst beider Feier auf dem Rasen folgten wieder welche und ganz am Ende, als der Kehraus war, wurden die letzten Bengalos oben auf der Tribüne abgebrannt.

Haben Sie denn als auf der Tribüne Feiernde ein Souvenir von unten abbekommen?

Ja, es sind Rasenstücke hochgeworfen worden. Ein Stück ist bei mir jetzt gut gewässert im Balkonkasten.

Wie finden Sie, dass einzelne Rasenstücke für viel Geld bei Ebay gelandet sind?

Das finde ich nicht gut. Das sollte eine Herzenssache sein und ist nicht dafür da, um andere Fans abzuzocken. Viele, die nicht dabei sein konnten, müssen nun richtig Geld lassen, um ein Stück zu bekommen. 

Im Verhältnis zu den Fans hat es eine enorme Kehrtwende beim FC Schalke gegeben. Vor einem Jahr gab es Jagdszenen nach dem Abstieg, nun liegt man sich buchstäblich in den Armen ...

Es ist wichtig zu betonen, dass der Vorfall im letzten Jahr auch nicht der Schalker Normalzustand war. Eigentlich hat Schalke selbst bei schlechten Leistungen die volle Unterstützung gehabt, die Menschen sind dem Team hinterhergereist.

Es hat sich aber über langen Zeitraum aufgebaut, mit den Geisterspielen, man musste hilflos beim Abstieg zugucken, wo sich die Mannschaft unterirdisch präsentiert hat. Es soll definitiv keine Entschuldigung für die Vorfälle sein, aber das ist wirklich unglücklich gelaufen. Unmittelbar nach dem Abstieg kam der ganze Frust durch, das würde heute wohl so nicht mehr passieren. 

Jetzt sind wir wieder mehr beim Schalker Normalzustand. Schalke hat treue Fans, die die Mannschaft unterstützen, die auch dankbar sind, wenn man das Gefühl hat, dass die Mannschaft will. Als Beispiel sei das Spiel gegen Bremen (1:4) genannt. Danach wurde das Team auch aufgebaut und gemeinsam nach vorn geschaut.

Zur Person: Susanne Hein-Reipen, geboren 1971, Schalke-Fan seit 1983, berichtet in ihrem Blog, auf ihrer Facebook-Seite "Susanne Blondundblau auf Schalke" sowie für das Portal "100ProzentMeinSchalke" von ihren Erfahrungen als Dauerkarteninhaberin und Vielfahrerin bei den Königsblauen. Sie gilt als intime Kennerin der Schalker Anhängerschaft. Zudem beschäftigt sich Hein-Reipen vereinsübergreifend mit Fußball- und Fankulturthemen.

Das Gespräch führte Chris Rohdenburg