01.12.2023 13:58 Uhr

Götze richtet emotionale Worte an deutsche U17-Helden

Mario Götze stand im März dieses Jahres zum letzten Mal im Aufgebot der A-Nationalmannschaft
Mario Götze stand im März dieses Jahres zum letzten Mal im Aufgebot der A-Nationalmannschaft

Die deutsche U17-Nationalmannschaft greift am Samstag (ab 13:00 Uhr) nach dem Titel bei der Weltmeisterschaft in Indonesien. Die Mannschaft von Bundestrainer Christian Wück trifft im Endspiel im Manahan Stadium in Surakarta auf die Auswahl Frankreichs. Vor dem großen U17-Finale hat sich Nationalspieler und WM-Held Mario Götze in emotionalen Worten an die deutschen Youngster gewandt.

Der Mittelfeldspieler von Bundesligist Eintracht Frankfurt konnte einst selbst als Teenager ein großes Turnier mit der deutschen U17-Auswahl gewinnen, wurde nämlich im Mai 2009 mit dem DFB-Team Europameister. 

An der Seite von späteren Starspielern wie Marc-André ter Stegen oder Shkodran Mustafi gelang Götze damals bei der Heim-EM im Endspiel gegen die Niederlande ein 2:1-Erfolg nach Verlängerung. 

"Damals war ich 17 Jahre alt, ein Dreikäsehoch", erinnerte sich der heute 31-Jährige in einem Brief, den er an die U17-Youngster gerichtet schrieb und von "Sky" veröffentlicht wurde.

Mit emotionalen Worten beschrieb der ehemalige Spieler des BVB und des FC Bayern, worauf es in einem derart bedeutsamen Endspiel wie dem U17-WM-Finale am Samstag ankommen wird.

"Kurz vor dem Finale, möchte ich Euch zurufen: Ich glaube an Euch. Ihr schafft das! Belohnt Euch", so der Mittelfeldmann, der selbst 66 A-Länderspiele zu Buche stehen hat.

"Nutzt jede Euch gegebene Minute. Jeder Moment kann alles verändern. Vor dem Finale 2014 war ich traurig, dass ich nicht zu denjenigen gehörte, denen Jogi Löw von Beginn vertraute. Doch guckt in mein Gesicht, wie ich nach der 113. Minute gestrahlt habe", erinnerte sich Götze an den größten Moment seiner Karriere, seinem goldenen Tor im WM-Endspiel 2014 gegen Argentinien. 

Götze appellierte an den Kampfgeister der Mannschaft von Trainer Christian Wück: "Vertraut einander. Kämpft füreinander. Lauft füreinander. Und helft einander. Macht euer Nebenmann einen Fehler, dann badet ihn aus. Das macht man so, als Team. Und dann wird es klappen."


Der Brief von Mario Götze an die deutsche U17-Nationalmannschaft im Wortlaut (veröffentlicht von "Sky"):

Liebe U17,

ich bin kein guter Geschichtenerzähler. Vor allem, weil ich leider niemand bin, der sich Ereignisse aus der Vergangenheit besonders gut merkt. Das ist einfach keine Kernkompetenz von mir, sodass meine Kinder später einmal wahrscheinlich eher zu Ann-Kathrin gehen werden, wenn sie von früher erzählt bekommen wollen. Die Erinnerungsfestplatte meiner Frau ist im Gegensatz zu meiner prallgefüllt.

Daher muss ich auch zugeben, dass ich leider kein Anekdoten-Feuerwerk zünden kann, wenn es um die Europameisterschaft von 2009 ging. Damals war ich 17 Jahre alt, ein Dreikäsehoch. Unser Trainer hieß Marco Pezzaiuoli. Im Tor stand Marc-André ter Stegen. Reinhold Yabo spielte im defensiven Mittelfeld hinter mir. Und Marvin Plattenhardt und Shkodran Mustafi in der Abwehr.

Wir hatten damals alle verrückte Frisuren. Ich habe mir meine Haare mit Gel ins Gesicht geklatscht, keine Ahnung, warum man das früher so gemacht hat. Wir waren ein verrückter Haufen - und ich weiß, dass damals Freundschaften entstanden sind - bei mir zum Beispiel zu Marc-André - die bis heute halten. Und das hatte nichts mit dem Abschneiden beim Turnier zu tun.

Das Turnier, eine EM im eigenen Land, war etwas, so viel ist zumindest hängen geblieben, Großartiges. Zum ersten Mal wurde der Fußball richtig laut.

In der A-Jugend-Bundesliga, wenn wir gegen Aachen oder Schalke spielten, waren ein paar Hundert Zuschauer da. Plötzlich waren bei unserem Auftaktspiel in Erfurt gegen die Türkei mehr als fünftausend Fans im Stadion. Es war, als hätte jemand am Fernseher den Lautstärkeregler maximal hochgedreht.

Plötzlich hörte man nicht mehr nur Mama und Papa, Oma und Opa und ein paar andere bekannte Stimmen, sondern eine Masse, die gemeinsam sang und uns anfeuerte.

Erstmals wurden unsere Namen auch überregional erwähnt, Bilder abgedruckt und wir wurden mit mehr als zwei Sätzen beschrieben. Marco Pezzaiuoli beschrieb mich als "Filigrantechniker und als echtes Schlitzohr". Es dauerte nicht lange, dann wurde ich als "Captain Future" bezeichnet.

Damals gab es noch kein Social Media. In der Zeitung zu stehen war das höchste Gut. Und natürlich machte es stolz. Wobei wir zuhause auch intensiv darüber sprachen, dass mit dem öffentlichen Lob auch eine Erwartungshaltung erzeugt wird, eine Fallhöhe, die auch zu anderen Überschriften führen kann.

Wir schlugen damals die Türkei, dann England, Holland und Italien, bis wir die Niederlande erneut im Finale bezwangen.

Wenn man jetzt sieht, was unsere U17 in Indonesien leistet, dann muss ich häufiger an damals zurückdenken und ärgere mich ein bisschen, nicht noch mehr Erinnerungen zu haben. Was ich aber auch noch weiß: der Sieg war gut fürs Selbstvertrauen. Es hat eine Gier ausgelöst, diesen Moment der Freude wieder und wieder spüren zu wollen. Dieser Titel hat Lust auf mehr gemacht.

Ich hoffe, dass unsere Jungs am Samstag ihr Finale gegen Frankreich einfach genießen. Ich wünsche, dass es in ihren Ohren dröhnt, weil so eine ausgelassene und fröhliche Stimmung im Stadion herrscht. Ich hoffe, dass sie mit Freude und Lust kicken. So wie sie es auch in jedem Spiel auf dem Bolzplatz machen würden, weil Fußball, ganz gleich wann und wo, einfach nur herausragend ist.

Es ist der Anfang und ich bin überzeugt, dass viele Jungs aus unserer U17 eine großartige Zukunft vor sich haben. Aber nur, wenn sie begreifen, dass dieses Turnier der Anfang ist. Es ist eine Belohnung für Verzicht und Leidenschaft, für harte Arbeit. Vor allem ist es aber ein Anreiz. Genießt den Moment, macht Euch klar, was nötig ist, um Erfolge zu feiern. Und dann bleibt dran.

Aber jetzt ist auch genug der mahnenden Worte. Jetzt, kurz vor dem Finale, möchte ich Euch zurufen: Ich glaube an Euch. Ihr schafft das! Belohnt Euch.

Und, weil ich da aus Erfahrung spreche: Nutzt jede Euch gegebene Minute. Jeder Moment kann alles verändern. Vor dem Finale 2014 war ich traurig, dass ich nicht zu denjenigen gehörte, denen Jogi Löw von Beginn vertraute. Doch guckt in mein Gesicht, wie ich nach der 113. Minute gestrahlt habe.

Jeder im Team ist wichtig. Jeder leistet seinen Beitrag. Wir waren 2009 ein wahnsinnig gutes Team, immer füreinander da. Und genau so war es 2014, beim ganz großen Titel in Brasilien. Vertraut einander. Kämpft füreinander. Lauft füreinander. Und helft einander. Macht euer Nebenmann einen Fehler, dann badet ihn aus. Das macht man so, als Team. Und dann wird es klappen. Ich werde Euer Spiel verfolgen, wir spielen ja erst Sonntag in Augsburg.

Beste Grüße,

Euer Mario