Dramatische Zahlen: England das langweiligste Team der EM?

Was ist nur los mit den Three Lions? Die Mannschaft, die aus den besten Spielern der Premier League, der Bundesliga und der spanischen LaLiga besteht, spielt bei der EM 2024 einen uninspirierten Fußball ohne Ideen und erkennbares Konzept. England-Coach Gareth Southgate bekommt sein Fett weg, doch auch seine Stars wirken bemerkenswert unbeteiligt.
"England ist nicht nur schlecht, es ist auch langweilig", ätzte die "Daily Mail" nach dem erschreckenden 0:0 gegen Slowenien, in dessen Folge Bierbecher auf Gareth Southgate flogen. Doch ist der langjährige Teammanager der Alleinschuldige?
Der Fußball der Three Lions bei dieser EM-Endrunde bleibt ein großes Rätsel. Die uninspirierten Auftritte sind eigentlich nur damit zu erklären, dass die Star-Kicker müde sind. Von einer langen Saison, der Erwartungshaltung im eigenen Land - und vielleicht auch von der taktischen Ausrichtung Southgates. Und der Trainer selbst? Der schaut zu und scheint keine Lösung für das rätselhafte Treiben auf dem Platz zu haben.
England hat viel Ballbesitz, doch die Bewegung ohne Ball fehlt häufig komplett. So ergeben sich keine Raumgewinne und keine Überraschungseffekte. Das Spiel der Three Lions ist schlichtweg berechenbar.
Englands offensiver Offenbarungseid bei der EM
Insbesondere im Spiel nach vorne bringen die Three Lions mit Top-Spielern wie Jude Bellingham, Bukayo Saka oder Harry Kane erstaunlich wenig zustande. Gegen Slowenien mussten die englischen Anhänger bis zur 30. Minute ausharren, ehe Kane den ersten englischen Abschluss fabrizierte. Laut "Opta" war dies die längste Zeit bei einer EM-Endrunde seit dem Spiel gegen Deutschland bei der EURO 2000 (35. Minute).
Und diese Harmlosigkeit zieht sich durch das gesamte Turnier: 29 Schüsse gaben die Engländer in der Gruppenphase ab - Platz 20 unter den 24 EM-Teilnehmern. Zum Vergleich: Gastgeber Deutschland ist hier mit 57 Abschlüssen führend. Der Expected-Goals-Wert von 2,19 wurde in der Gruppenphase nur von Serbien und Schottland unterboten und zeigt, dass für die Three Lions auch nicht viel mehr drin war.
Bellingham nach gutem Start abgetaucht
Ein Blick auf die Daten der Offensivstars sorgt für weitere Ratlosigkeit. Jude Bellingham legte nach einer herausragenden Saison mit Real Madrid auch einen tollen Turnierstart hin. Gegen Serbien erzielte er das Tor zum 1:0-Sieg.
Seitdem ist er völlig abgetaucht: Gegen Slowenien ging weder ein Schuss, noch eine Torschussvorlage, noch ein erfolgreicher Pass ins Angriffsdrittel in die Statistik ein.
Ähnlich bieder agiert Bayerns 36-Tore-Mann Harry Kane, der im Sechzehner eindeutig zu selten gefunden wird. Nur 23 Mal flankte England aus dem Spiel heraus in die Mitte, Platz 22 im Turnierverlauf.
Allerdings suchen die Teamkollegen ihren Zielspieler auch oft vergeblich, denn nur zehn von 78 Ballkontakten hatte Kane in der gegnerischen Box. Seine acht Torschüsse führten zu einem Treffer gegen Dänemark. Der "Mirror" urteilte, dass Kane gegen Slowenien zeitweise "mehr ein Hindernis als eine Hilfe" darstellte. Eine bedenkliche Aussage.
Southgate: "Sehr zufrieden mit der Leistung"
Zurück zu Southgate, der nach der Nullnummer zum Abschluss der Gruppenphase überraschend mitteilte, dass er "sehr zufrieden mit der Leistung war". Und fast schon beleidigt erklärte: "Ich kenne keine andere Mannschaft, die sich für die nächste Runde qualifiziert hat, aber so viel Kritik bekommt."
Diese Aussage zeigt, dass Southgate das Grundproblem nicht erkannt hat. Mit dem Abschneiden bei großen Turnieren in der Ära des Trainers kann man zufrieden sein, auch wenn der überfällig erscheinende große Titel nicht geholt wurde. Es ist vielmehr die destruktive Spielweise, die den englischen Fan verzweifeln lässt. Dennoch vertraut Southgate auf dieselben Kräfte, die müde über den Platz traben. In der Gruppenphase nahm er insgesamt erst einen Wechsel in der Startelf vor - im dritten Gruppenspiel brachte er Conor Gallagher auf der Doppelsechs für Trent Alexander-Arnold.
Fragwürdig ist zudem die Zusammenstellung auf der linken Problemseite. Kieran Trippier ist als etatmäßiger Rechtsverteidiger eher ein Notnagel und mit Phil Foden spielt vor ihm einer, der eher in die Mitte zieht, anstatt den linken Flügel dauerhaft zu besetzen. Der Coach wird wissen, warum er Jack Grealish zu Hause ließ. Das Experiment mit Alexander-Arnold auf der Doppelsechs, der diese Position seit der WM 2022 bei den Three Lions bekleidet, darf als gescheitert angesehen werden.
So agiert Southgate wie seine Spieler, frei nach dem Motto: "Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss". Reichen könnte es trotz dieser Auftritte auch im Achtelfinale gegen die Slowakei, in das England natürlich als haushoher Favorit geht. Sollte das "langweilige" England am Sonntag in Gelsenkirchen allerdings gegen die Slowaken scheitern, dürften die Tage des Trainers gezählt sein.
Lars Wiedemann