Matthäus exklusiv: BVB-Star der Spieler der Gruppenphase

Die deutsche EM-Euphorie soll am Samstag mit einem Sieg gegen den Nachbarn aus Dänemark weitergehen. In seiner sport.de-Kolumne zur K.o.-Runde der EURO beleuchtet Rekordnationalspieler Lothar Matthäus die Ausgangslage. Ein Abwehr-Problem sieht Matthäus trotz Tah-Sperre und Rüdiger-Verletzung nicht, im Sturm setzt er auf Kontinuität. Außerdem nennt die Fußball-Legende ihren Top-Spieler des bisherigen Turniers.
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft erwartet im EM-Achtelfinale gegen Dänemark ein ähnliches Spiel wie zuletzt in der Vorrunde gegen die Schweiz. Die Dänen sind eine sehr disziplinierte, organisierte Mannschaft. Wir reden immer über die ganz großen Namen in einem Team. Aber die einzelnen Spieler machen auch bei dieser EM nicht immer den Unterschied. Jede Mannschaft kann bei diesem Turnier jeder Mannschaft wehtun.
Die Dänen sind ein unbequemer Gegner. Von der Papierform würde man sagen: Es ist nicht England, es ist nicht Spanien, nicht Portugal. Dänemark ist wie die Schweiz nicht gespickt mit Superstars wie eben England, Spanien, Portugal oder wie Frankreich und Deutschland.
Aber Dänemark hat gute, international erfahrene Spieler, die alle in Europa bei erstklassigen Vereinen spielen. Man auch gesehen als der FC Bayern in der Champions-League-Gruppenphase gegen den FC Kopenhagen gespielt hat: Das lief nicht im Vorbeigehen, sondern war harte Arbeit. Und genau ein solches Stück harte Arbeit kommt im Achtelfinale auf die DFB-Elf zu.
Dass Jonathan Tah gesperrt und Antonio Rüdiger angeschlagen ist, also die gesamte Innenverteidigung womöglich ausgetauscht werden muss, kann man zu einem Problem machen. Ich sehe es nicht problematisch. In der deutschen Mannschaft ist – wie bei allen großen Fußball-Nationen – eigentlich jeder Spieler ersetzbar.
Rüdiger und Tah haben natürlich eine hervorragende Saison mit ihren Vereinen gespielt, haben viele Titel gewonnen. Bei der EM hatten sie ein paar Wackler. Sie sind ein erfahrenes, eingespieltes Duo, wir haben aber mit Nico Schlotterbeck vom BVB und dem Stuttgarter Waldemar Anton zwei Spieler, die ähnlich robust und ähnlich schnell sind. Von den Voraussetzungen bringen sie auf nationaler wie internationaler Ebene alles mit, um Rüdiger und Tah in nichts nachzustehen.
Matthäus: Hummels würde nicht zu Nagelsmanns Stil passen
Die Nicht-Nominierung von Mats Hummels sollte jetzt kein Thema werden. Er hat natürlich viel Erfahrung. Der Stil, den die deutsche Mannschaft spielt, passt aber nicht unbedingt zu ihm. Ich will Mats nicht zu nahetreten, ich schätze ihn sehr: Aber wenn man hoch spielt, kommt man bei vielen hohen Bällen in Laufduelle, in denen Mats nicht weltklasse ist. Er ist weltklasse, wenn ein Team wie der BVB kompakt in der Defensive und nicht so weit entfernt vom eigenen Tor steht. Nagelsmanns Spielstil ist dagegen sehr offensiv ausgerichtet, mit einem hohen Gegenpressing. Da kommt es in der Verteidigung irgendwann auf Geschwindigkeit an.
Auch im Angriff hängt es von Blöcken, hängt es vom System ab, wer spielen sollte. Wenn man Niclas Füllkrug statt Kai Havertz als Stürmer bringt, braucht man Flanken, braucht also eher David Raum, Chris Führich oder Maximilian Beier auf der linken Seite, von der rechten Seite vielleicht Leroy Sané. Man müsste also an einen kleinen Block denken, den man tauscht. Nur Füllkrug vorne rein, zusammen Jamal Musiala und Florian Wirtz, die zwar auch flanken können, aber mehr durch ihre spielerischen Elemente glänzen –, das reicht nicht.
Havertz schafft Räume für Musiala und Wirtz
Havertz wird zudem unterschätzt. Er hat noch nicht so geglänzt wie Füllkrug, weil er noch nicht die Tore geschossen hat. Aber er ist ein Kombinationsspieler, der für seine Mitspieler viele Räume freimacht, in die dann ein Musiala hereinstößt. Es gibt also einen Flanken-Block, der auf Füllkrug zugeschnitten ist, der das Spiel viel breiter macht. Und es gibt einen Kombinations-Block mit Havertz und den Youngstern Wirtz und Musiala, der das Spiel schnell macht.
Auch die vermeintliche Stürmer-Debatte ist für mich kein Thema. Füllkrug kann jederzeit als Joker reinkommen. Das hat bisher gut funktioniert. Havertz hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Er ist kein Chancentod, der nicht für die Mannschaft arbeiten würde. Ich sehe keinen Grund, irgendwo etwas zu wechseln. Wenn man schon die Innenverteidigung tauschen muss, wäre es vielleicht ein bisschen viel, auch noch vorne umzustellen. Ich denke, dass Julian Nagelsmann das ähnlich sieht.
Österreich und Sabitzer machen viel Spaß
Die Topfavoriten England und Frankreich haben in der Gruppenphase enttäuscht. Ich gehe davon aus, dass sie sich in der K.o.-Phase deutlich steigern werden. Das ist auch die Mentalität dieser Nationen. Jetzt darf man sich keine Fehler mehr erlauben, muss den einen Schritt mehr machen, der auch mal wehtut.
Bei den Engländern stimmt es allerdings vielleicht auch nicht zwischen Trainer und Mannschaft. Es ist unverständlich, dass sie sich bisher so präsentieren. Sie haben große Namen, aber man hat das Gefühl, sie werden nicht losgelassen. Entweder tritt der Trainer auf die Bremse oder die Spieler – und wenn man bremst, wird es im modernen Fußball, der so schnell ist, schwer.
Mein Spieler des Turniers heißt bisher Marcel Sabitzer. Ich habe ihn beim 3:2 der Österreicher gegen Holland live in Berlin gesehen. Seine Geschwindigkeit, Leichtigkeit, seine Raffinesse, wie er seine Mitspieler einsetzt, wie er nach hinten arbeitet, mit welchem Tempo er nach vorne spielt – so habe ich ihn bei Dortmund kaum gesehen.
Sabitzer sticht aus dieser beeindruckend spielenden österreichischen Mannschaft heraus. Sie stehen vor Frankreich und den Niederlanden und waren auch beim 0:1 gegen die Franzosen nicht die schlechtere Mannschaft. Dieses Team funktioniert und setzt um, was Holländer und Franzosen nicht umsetzen: Geschwindigkeit mit und ohne Ball. Das ist der Stil von Ralf Rangnick. Auffällig: Auch die Spieler aus der österreichischen Liga, die international nicht so erfahren sind, überzeugen. Das macht Spaß.
Auch der 16-jährige Yamal von Spanien ist eine Augenweide, Musiala hatte seine großen Momente, Toni Kroos auf eine andere Art und Weise. Ilkay Gündogan stand vor der EM zur Diskussion, auch bei mir, hat uns aber alle überzeugt. Die Deutschen haben bisher ihre Glanzpunkte gesetzt, ein Manuel Neuer etwa hat seine Kritiker Lügen gestraft, auch wenn er bis dato nicht der Torhüter des Turniers ist. Das ist für mich Gianluigi Donnarumma von Italien. Er hat gegen Spanien und Kroatien zwei Weltklasse-Spiele gemacht und die Azzurri am Leben gehalten.
Lothar Matthäus