Der VfB spielt in 90 Minuten um die ganze Saison – und mehr

Für den VfB Stuttgart geht es am Samstagabend im Finale des DFB-Pokals nicht nur um den Titel an sich, sondern auch um die ganze Saison. Erneute Europa-Reise oder Blamage – beides ist möglich. Auch auf die Zukunftsplanungen hat die Partie im Olympiastadion unmittelbaren Einfluss.
Stuttgart ist nicht immer die Stadt der Träume. In diesen Wochen aber schon. Ein magisches Nächtle ist zum Greifen nahe. Die Euphorie riesig. Der Sommer steht vor der Tür. Fans besingen schon den Pott. Der VfB Stuttgart geht als klarer Favorit in das Pokalfinale und muss im Berliner Olympiastadion gegen einen ambitionierten und euphorisierten Drittligisten bestehen.
Klingt bekannt, das ist auch die Ausgangslage im Jahr 1997 – also beim letzten Pokalgewinn der Stuttgarter. Während es die Elf von Joachim Löw um das magische Dreieck damals mit dem zweikampfstarken Energie Cottbus zu tun bekam, muss Sebastian Hoeneß seine Mannschaft am Samstagabend (20 Uhr) auf Drittliga-Überflieger Arminia Bielefeld einstellen.
Das 97er Finale ist eine Vorlage für den VfB, wie es im besten Fall laufen kann. Gesichert ist dies nicht. Bielefeld hat schon vier Bundesligisten rausgeworfen, im Halbfinale Titelverteidiger Bayer Leverkusen teilweise hergespielt und dann eiskalt ausgeschaltet. Kurzum: Bielefeld ist die Sensation des Pokaljahres. Bielefeld winkt der Coup des Jahrhunderts, der erste Drittligist mit dem goldenen Pott. Gleichzeitig wäre eine Niederlage für den VfB eine große Blamage. Und der Druck ist hoch.
Stadt, Klub und Fans gieren nach dem nächsten Titel, es wäre der vierte im Pokal. Die letzte Meisterschaft liegt nun auch schon wieder fast 20 Jahre zurück. Damals gab es noch nicht mal Smartphones in Deutschland.
Millionenspiel für den VfB Stuttgart
Für den VfB ist das Finale ein echtes Millionenspiel. Dem Klub bietet sich die Möglichkeit, binnen 90 plus X Minuten die gesamte Saison nicht nur zu retten, sondern in eine gute zu verwandeln.
Denn die Schwaben haben eine merkwürdige, bisweilen auch wilde Saison hinter sich. Der Vizemeister der Saison 23/24 startete nach einigen Veränderungen im Kader (Top-Torjäger Serhou Guirassy weg, Kapitän und Abwehrboss Anton weg) etwas holprig in die Saison. Zum Herbst und Winter fing sich das Team aber und stand im Januar 2025 sogar auf einem Champions-League-Rang.
Auch in der Champions League spielte die Mannschaft von Sebastian Hoeneß eine gute Rolle, holte zehn Punkte, scheiterte aber im Gruppen-"Endspiel“" am übermächtigen PSG-Ensemble. Raus mit Applaus.
Eine Konstante blieb: das Auf und Ab. Für den VfB ging es teils rauf und runter wie auf den Fahrtattraktionen am benachbarten Cannstatter Wasen. Vor allem die wackelige Defensive, eigene Fehler und Abschlussschwäche brachten das Team immer wieder in Schwierigkeiten. So oft, dass man die alte Regel bemühen muss: Wenn es immer passiert, ist es kein Pech mehr.
Schlussendlich hat wohl die Dreifachbelastung ihre Wirkung gezeigt. Auch wenn die Talfahrt der Schwaben kurioserweise erst nach dem Aus in der Königsklasse begann. Eine Art Post-Champions-League-Blues.
Fußball-Karma weg?
Im Frühjahr setzte die Formkurve richtig zum Sinkflug an. Gleich sechs Heimniederlagen in Folge hagelte es für den VfB, was für einige Fragezeichen sorgte und einen Negativrekord bescherte. Oft stimmte die Leistung, die Ergebnisse aber zu oft nicht. Stars wie Chris Führich, Jamie Leweling oder Deniz Undav rutschten tief in die Formkrise.
Hoeneß bemühte sich, die Stärken, den Willen seiner Profis zu betonen. Aber es schien fast so, als sei all das Spielglück, das Fußball-Karma aus der Vorsaison, wo nahezu alles gelang (u.a. Punkterekord, Siegrekord) verbraucht.
Gerade rechtzeitig aber hat der VfB zurück in die Spur gefunden. So scheint es. Zum Saisonende feierte das Team drei Siege in Folge (gegen St. Pauli, Augsburg und Leipzig). Besonders wichtig für den VfB: Auch die Stürmer wie Undav oder Ermedin Demirovic haben ihre Ladehemmung abgelegt und wieder getroffen.
Dem Finalspiel am Samstag kommt nun eine extreme Bedeutung zu. Denn trotz der drei Siege zum Abschluss hat der VfB die Saison nur auf Rang neun beendet – die Europa-Quali verpasst. Gemessen an den Investitionen, dem Kader und Potential ist das eigentlich zu wenig. Zwar spielte der Klub vor drei Jahren noch in der Relegation, nahm aber im vergangenen Sommer so viel Geld für Zugänge in die Hand wie noch nie. Die Abgänge wie von Guirassy und in der Abwehr konnten nicht kompensiert werden, das ist bis heute spürbar.
Für den Klub ist das Finale also ein Joker, ein letztes Blatt, um nicht nur endlich wieder einen Titel zu feiern, sondern auch um aus dieser bizarren Saison eine gute zu machen.
"Mit einem Sieg ziehst du in die Europa League ein. Über die Liga haben sie es nicht geschafft, weil sie Körner gelassen und auch Fehler gemacht haben durch die Belastung, die für die Spieler neu war", sagte Ex-VfB-Stürmer Fredi Bobic im sport.de-Interview. „Deswegen ist dieses Spiel unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Situation eminent wichtig. Solltest du nicht gewinnen, wird es einen negativen Einfluss auf den Fortlauf haben.“
Denn mit dem Sieg würden die Schwaben automatisch in die Gruppenphase der Europa League springen und wie im Vorjahr europäisch spielen. Das bringt zum einen wichtige Millionen-Mehreinnahmen und ist ein gewichtiges Argument, um Spieler wie Enzo Millot, Leweling oder Angelo Stiller möglichst lange zu halten. Auch um Zugänge an den Neckar zu locken, spielt die Europa League eine wichtige Rolle.
Undav will Wiedergutmachung
DFB-Stürmer Deniz Undav hatte unter der Woche betont, dass man mit einem Sieg "vieles wiedergutmachen" könnte. "Dann hast du trotz vieler negativer Dinge eine gute Saison gespielt, weil du dich wieder für Europa qualifiziert hast. Wenn es nicht klappt, wäre es keine gute Saison. Dann brennt die Stadt."
Auch im Falle eines Sieges muss der VfB wohl Konsequenzen aus der Saison ziehen und den Kader in der Breite verstärken. Den ein oder anderen Routinier verpflichten, der in der Defensive und im zentralen Mittelfeld Druck auf die Stammspieler ausüben kann.
Geht das Finale schief, könnte es im schlimmsten Fall dazu kommen, dass der Klub wieder etwas den Anschluss ans obere Bundesliga-Drittel verliert.
Zwar hatte VfB-Boss Alexander Wehrle im Frühjahr betont, dass der VfB nicht aufs Geld aus europäischen Wettbewerben angewiesen sei. Trotzdem macht es einen gewaltigen Unterschied. "Wenn wir on top Einnahmen aus der Champions League oder Europa League haben sollten, werden wir diese sicherlich wieder in die Mannschaft investieren", führte Wehrle im Februar aus.
Quo Vadis, VfB Stuttgart?
Vor der Saison hatte der Vorstandsvorsitzende die Parole ausgegeben, dass sich Stuttgart als solider Bundesligist etablieren will, der regelmäßig ums internationale Geschäft spielt. Dafür ist der Verein aktuell gut aufgestellt. Die wichtigsten Personalpflöcke sind eingerammt. Sportvorstand Wohlgemuth hat einen Vertrag bis 2027, im Frühling unterschrieben auch Wehrle (2030) und Erfolgstrainer Sebastian Hoeneß (2028) neue Arbeitspapiere. Das sogenannte Weltmarkenbündnis um Porsche und Mercedes gibt dem Klub ein solides finanzielles Fundament.
Hoeneß hatte zuletzt immer wieder betont, wie gerne er international spielen würde. Die Champions-League-Saison hat die Ambitionen weiter angefacht.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es nicht das erste Mal wäre, wenn der VfB nach Erfolgen abrauscht. Auf den Höhenflug der Meisterschaft 2007 folgten erst noch Saisons mit Europapokal, dann aber implodierte der von Champions-League-Millionen aufgeblähte Kader, als der Erfolg ausblieb. Der VfB tappte in die Falle. Anschließend kämpfte der Klub quasi zehn Jahre dauernd gegen den Abstieg, musste zweimal sogar den Gang in die 2. Liga antreten.
Das letzte Mal, als es arg knapp war, übernahm Hoeneß. Aus der Relegation formte er aus dem Abstiegskandidaten eine spielfreudige Offensiv-Ballbesitzmannschaft und machte sie zum Vizemeister.
Das Ziel ist klar umrissen: Die Reise soll in der kommenden Saison europäisch weitergehen. So war es dann auch nach dem Pokalsieg 1997. Der VfB zog im damaligen "Pokal der Pokalsieger" durch Europa, erreichte sogar das Finale, das mit 0:1 gegen Chelsea verloren ging. Dieser Traum platzte damals. Nun blühen neue.