20.02.2015 08:30 Uhr

Koller: EM im Fernsehen beschissen

Marcel Koller und Österreichs Aushängeschild David Alaba
Marcel Koller und Österreichs Aushängeschild David Alaba

Sein Vertrag läuft bis Ende 2015 mit einer automatischen Verlängerung: Falls sich Tabellenführer Österreich für die EM qualifiziert, dann bleibt Marcel Koller mindestens bis zur Endrunde 2016 in Frankreich. Und dann? Ein Comeback als Vereins-Trainer ist "noch nicht auf die Seite gelegt", meint der Schweizer.

Im zweiten Teil des Interviews mit weltfussball spricht der 54-Jährige auch darüber, wie "beschissen" es ist, wenn man sich eine WM oder EM im Fernsehen anschauen muss.

Der spielende Co-Trainer, wie war dann das Ende Ihrer aktiven Laufbahn Herr Koller?

Marcel Koller: Nach der EM 1996 (Anmerkung: Dort beendete er mit der Partie gegen Schottland seine Karriere im Nationalteam) wollte ich eigentlich ganz aufhören. Ich habe gemerkt, dass es gesundheitlich nicht mehr passt. Aber der Verein hat mich gebeten, dass ich noch eine Saison dranhänge und ich habe dann zunächst weitergemacht - in einer Doppelfunktion als Spieler und Co-Trainer bei den Grasshoppers.

In der Qualifikation zur Champions League ist mir sogar noch ein echtes Supertor gelungen, aber ich habe dann Probleme mit der Achillessehne bekommen und mit Jahresende ging es einfach nicht mehr weiter.

Und dann ihre erste Station als Chefcoach in Wil. Eine prägende Erfahrung durch die damaligen Umstände, weil beim Training am Vormittag nur zwei Profis auf dem Platz standen. Wie haben sie das erlebt?

(lacht) Die Grasshoppers waren damals der professionellste Verein in der Schweiz und dann bin ich zum FC Wil gekommen. Dort musste ich beim Training selbst flanken, damit der Spieler die Bälle auf das Tor schießen konnte. Sonst war ja niemand da. Die Wäsche mussten wir auch selber waschen, damit sie wieder sauber war.

Alle anderen hatten einen "normalen" Job und erschienen dann erst am Abend zum Training. Die waren mit ihren Gedanken zu 80 Prozent noch bei ihrer Arbeit, wenn sie "Hallo" gesagt haben. Beim Aufwärmen ist es besser geworden und wenn wir angefangen haben, dann war auch die Konzentration da. Aber klar, so lernt man, auf Menschen einzugehen.

Eingehen auf Menschen können Sie auch, weil Sie sich später sehr viel mit Psychologie beschäftigt haben. Wie ist es dazu gekommen?

Schon bei der Schweizer Nationalmannschaft gab es einen Ex-Spieler, der als Psychologe tätig war. Ich habe mich später mit viel Literatur zu dem Thema beschäftigt. Eine gewisse innere Ruhe ist gut für mich, das war schnell klar.

Als Vereins-Trainer hat mir ein Psychologe seine Unterstützung angeboten. Ich habe mir damals gedacht, dass ich schon weiß was ich kann und diese Hilfe nicht brauche. Wir haben uns trotzdem getroffen und uns über psychologische Aspekte unterhalten. Als ich dann mit dem FC St. Gallen Meister wurde, hat mir der Psychologe in einem netten Schreiben mitgeteilt, dass er nun verstehe, warum ich seine Hilfe nicht in Anspruch genommen habe.

 

Zu meiner Zeit beim VfL Bochum habe ich den Sportpsychologen Thomas Graw zum Team geholt und sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir haben diese Zusammenarbeit auch jetzt beim ÖFB fortgesetzt. Der Zugang zu den Menschen wird immer wichtiger, auch im Fußball. Diese Unterstützung kann sehr helfen.

Auch oder gerade in Österreich, wo man den Fußballern ja oft eine nicht ganz so konsequente Arbeitsweise vorwirft?

Ich habe keinen Unterschied zwischen Spielern aus der Schweiz, Deutschland, Österreich oder beispielsweise bei Legionären aus Afrika festgestellt. Das ist eine Mentalitätsfrage und nicht auf den Fußball beschränkt.

Eines aber habe ich schon versucht: Der Mannschaft noch mehr Konsequenz zu vermitteln. Man sollte nicht brav, lieb und anständig am Ende als Verlierer vom Platz gehen. Es gibt nur alle zwei Jahre eine Qualifikation für eine WM oder EM. Spätestens seit Brasilien sollten alle wissen, wie beschissen es sich anfühlt, wenn man sich so ein Turnier nur im Fernsehen anschauen kann. Man muss sich eben den Arsch aufreißen, wenn man da dabei sein will.

Sie wollen in Frankreich dabei sein. Das merkt man. Und was kommt dann?

Was meinen Sie?

Ihre berufliche Zukunft. Es scheint so, als würden Sie denn Job als Teamchef und die Umstellung nicht mehr täglich auf dem Platz stehen zu müssen, auch genießen. Aber könnte ein Marcel Koller als Vereins-Trainer nicht noch mehr bewegen?

(denkt nach) Ich lebe im Hier und Jetzt und denke noch nicht an das, was nachher eventuell sein wird. Ich kenne inzwischen den Unterschied als Teamchef und als Vereins-Trainer. Ich habe die Arbeit bei einem Klub noch nicht auf die Seite gelegt. Das ist sehr intensiv, wenn man Tag für Tag und Woche für Woche gefordert wird. Aber natürlich auch extrem reizvoll, weil man noch mehr Einfluss nehmen kann.

Großen Einfluss bei der Nationalmannschaft hatte in den letzten Spielen auch das Publikum im randvollen Ernst Happel-Stadion. Man merkt, dass der zwölfte Mann hinter dem Team steht. Wie nehmen Sie diese Begeisterung wahr?

Das ist einfach eine geile Atmosphäre. Fußball in einem ausverkauften Stadion entschädigt für den ganzen Aufwand, der betrieben wird. Nicht nur von der Mannschaft und mir, sondern vom ganzen Umfeld, von allen Leuten, die sie hier im Büro sehen. Ich bin dann kurz vor dem Anpfiff bei der Hymne immer sehr fokussiert, aber die Stimmung ist schon beeindruckend.

Sie haben das Umfeld erwähnt. Im Trainer-Team gab es vor einiger Zeit die Trennung von ihrem Assistenten Fritz Schmid. Die - um es freundlich zu formulieren - nicht ganz reibungslos war. Schmerzt Sie so etwas, auch als Mensch?

Klar. Aber ich bin ein Mensch, der nicht lange zurück, sondern nach vorne schaut. Das bringt doch nichts, wenn ich etwas nachweine. Ich bin dazu da, um die Richtung vorzugeben. Es sollte immer dieselbe Richtung sein, sonst wird es kompliziert. Da kann ich auch nicht jammern, wenn es mal nicht so klappt. Es ist jetzt so. Ich bin da relativ trocken. Der Fußball hat mich gelehrt, dass es immer weitergehen muss. Im Verein ist es da ja noch extremer.

Weitergehen muss es auch mit einem neuen Tormann-Trainer, weil Franz Wohlfahrt nun Austria-Sportdirektor ist. Was ist wichtiger: Ob der neue Mann in Ihr Team passt, oder seine fachliche Qualifikation?

Die Qualität ist natürlich sehr wichtig. Doch menschlich muss es mindestens genauso passen. In dieser Gruppe wäre es sehr schwierig, wenn jemand nicht hineinpassen würde. Jemand, der eine andere Richtung verfolgt als wir, wäre ein Außenseiter.

Herr Koller herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute!

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Hier geht es zum ersten Teil des weltfussball-Interviews mit Marcel Koller:
>> ÖFB-Teamchef sucht nach "Spielverstehern"

Mehr dazu:
>> Spielort Österreich gegen Russland fixiert
>> EM-Qualifikation: Ergebnisse und Tabelle ÖFB-Gruppe
>> Österreich weiter 23. in der Weltrangliste
>> Ansturm auf Liechtenstein gegen Österreich
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>> Capellos Job hängt an EM-Qualifikation

Christian Tragschitz