Hauen und Stechen beim BVB

Borussia Dortmund hat sich nach dem enttäuschenden Abschneiden in der zurückliegenden Bundesliga-Saison einer erneuten Frischzellenkur unterzogen. Was ist neu beim BVB? Wie verlief die Vorbereitung? Und welche Baustellen bereiten vor dem Saisonstart noch Sorgen?
sport.de macht den Check und beantwortet vor dem ersten Pflichtspiel der Saison im DFB-Pokal gegen Viertligist 1. FC Phönix Lübeck (Samstag, 18:00 Uhr) die wichtigsten Fragen. Vor allem der Kaderumbau ist beim BVB noch immer ein großes Thema. Und auch in der Führungsebene sind wohl noch nicht alle Probleme der vergangenen Wochen gelöst.
Neue Macht-Hierarchie beim BVB, neue Probleme
Zur neuen Saison hat sich in der Führungsriege von Borussia Dortmund zwar sehr viel verändert, die Fans müssen sich aber keineswegs an neue Gesichter gewöhnen. BVB-Macher Hans-Joachim Watzke hat seinen ersten Schritt in Richtung Rückzug vollzogen und Nachwuchs-Direktor und Klub-Ikone Lars Ricken zum neuen Geschäftsführer Sport ernannt. Dieser steht in der Hierarchie nun über Sportdirektor Sebastian Kehl.
Kehl wiederum wird seit diesem Sommer von Sven Mislintat unterstützt, der als Technischer Direktor zurück an die Strobelallee zog. Der einstige Klopp-Schüler Nuri Sahin beerbte derweil seinen vorherigen Cheftrainer Edin Terzic auf der Trainerbank. Auch im Team des 35-Jährigen befindet sich ein alter Bekannter: Publikumsliebling Lukasz Piszczek assistiert Sahin ebenso wie Joao Tralhao und Ertugrul Arslan, die neu in den Klub kamen.
Statt zu harmonieren, hat das neue Machtgefüge beim BVB im Sommer aber zunächst für reichlich Kompetenzgerangel gesorgt. Im Mittelpunkt stand Sven Mislintat, der seine Befugnisse laut Medienberichten mehrfach überschritten und mit Kehl aneinandergeraten sein soll. Auch Ärger mit Sahin wurde Mislintat zunächst nachgesagt, nachdem er aktiv in einer Trainingseinheit eingegriffen haben soll.
Der neue BVB-Chef Lars Ricken dementierte anschließend die Gerüchte, einen Streit zwischen Mislintat und Sahin habe es nie gegeben. Gleichwohl bestätigte er "Reibereien" in der Führungsriege, wenngleich er diese positiv auszulegen versuchte: "Wir wollten das auch so."
Ganz vom Tisch scheinen die internen Querelen beim BVB indes noch nicht zu sein. "Bild" zufolge ist eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Kehl und Mislintat nur noch schwer vorstellbar, womöglich müsse einer der beiden den Klub im Winter verlassen.
Kader-Umbruch: BVB gibt Millionen aus
Nach Platz fünf in der Bundesliga und dem Pokal-Aus im Achtelfinale will der BVB national zurück in die Riege der Topteams, offen spricht man im Ruhrgebiet von der Sehnsucht nach Titeln. Dazu wurde das Portemonnaie weit geöffnet.
Für Mittelstürmer Serhou Guirassy und Abwehrspieler Waldemar Anton, die beide vom VfB Stuttgart kamen, wurden insgesamt 40,5 Millionen Euro allein an Ablösesummen gezahlt. Beide dürften mit ihren jeweils bis 2028 gültigen Verträgen zu den Topverdienern zählen.
Der 33-jährige Nationalspieler Pascal Groß kam für vergleichsweise wenig Geld von Brighton & Hove Albion, sieben Millionen Euro Ablöse und ein Zweijahresvertrag ergeben für die Borussia kein allzu großes finanzielles Risiko. Bei Rechtsverteidiger Yan Couto handelten Kehl und Co. mit Manchester City eine Leihe mit anschließender Kaufpflicht aus, die Hürden bis zur Ziehung der Klausel dürften nicht allzu hoch sein. 25 Millionen Euro muss der BVB anschließend wohl nach England überweisen.
Den teuersten Neuzugang gab Schwarz-Gelb ganz zum Schluss bekannt: Maximilian Beier wechselt für 28,5 Millionen plus Bonuszahlungen in den Pott - für den 21-Jährigen reinvestierte der Klub somit direkt die Millionen, die man für dessen DFB-Kollegen Niclas Füllkrug (für 27 Mio. zu West Ham United) einspielte. Für Eigengewächs Tom Rothe (Union Berlin) erhielt der BVB immerhin fünf Millionen Euro, zudem wurde eine Rückkaufoption vereinbart.
Füllkrug ist zwar der teuerste Abgang des Sommers, bei Weitem aber nicht der namhafteste: In Marco Reus und Mats Hummels verließen zwei absolute Klub-Ikonen den Klub. Auch Marius Wolf und Mateu Morey ließ man nach Ablauf der Verträge ohne Ablöse ziehen. Der BVB bekommt somit ein komplett neues Gesicht.
Dortmund in der Vorbereitung: Holpriger Start, gute Generalprobe
Der Champions-League-Finalist von 2023/24 ist holprig in die Vorbereitung gestartet. Ohne zahlreiche Nationalspieler im Kader musste der neue Cheftrainer Nuri Sahin viel improvisieren - zumal Star-Neuzugang Serhou Guirassy noch verletzt ist und noch gar nicht eingreifen konnte.
Nach einem schwachen Auftritt gegen Drittligist Erzgebirge Aue (1:1) ging es zunächst auf die Asienreise, wo der BVB von Lokalklub BG Pathum United mit 0:4 vom Platz gefegt wurde. Einen leichten Aufwärtstrend sah Sahin dann beim Wiedersehen mit Klub-Idol Shinji Kagawa gegen Cerezo Osaka (3:2).
Nach der Rückkehr nach Europa schlug man die Zelte wie gewohnt in Bad Ragaz auf, wo in einem Testspiel über viermal 30 Minuten nach 0:2-Rückstand noch ein 2:2 gegen den spanischen Vertreter FC Villarreal gelang. Positiv aus Sicht der Borussia: Die Generalprobe bei der offiziellen Saisoneröffnung gegen Champions-League-Teilnehmer Aston Villa (2:0) glückte.
Auch Sahin weiß, dass noch viel Arbeit vor ihm liegt. Am Rande seines ersten Auftritts als Chefcoach im Signal-Iduna-Park richtete er sich daher mit dem Stadion-Mikrofon an die BVB-Anhängerschaft: "Ich habe eine Bitte an Euch: Ich möchte Euch um einige Sachen bitten, die es im Fußball eigentlich nicht gibt. Zeit und Geduld, und 'Trust the Process'."
Hauen und Stechen im Mittelfeld und Sturm
Während in der Verteidigung die Neuzugänge Anton und Couto die Abgänge der Stammkräfte Hummels und Maatsen direkt kompensieren sollen, hat der BVB gerade im Mittelfeld für ein Überangebot gesorgt. DFB-Profi Groß dürfte in der Schaltzentrale neben Kapitän Emre Can gesetzt sein, auch Marcel Sabitzers Platz scheint gesichert - zum Leidwesen von Felix Nmecha, Salih Özcan und Kjell Wätjen.
Dem Trio droht vorerst die Bank, gerade Nmecha und Özcan dürften aber höhere Ansprüche haben. Wätjen gilt im Kader ohnehin als Perspektivspieler, der behutsam ans Bundesliga-Niveau herangeführt werden soll.
Auch ein bis zwei Reihen weiter vorne ist der Konkurrenzkampf enorm: Julian Brandt, nun schon seit Jahren einer der konstantesten Offensivspieler beim BVB, ist gesetzt, um die weiteren Plätze kämpfen Jamie Gittens, Karim Adeyemi, Leih-Rückkehrer Gio Reyna, Julien Duranville und Donyell Malen - immerhin bester Bundesliga-Torschütze der Borussia in den vergangenen zwei (!) Saisons.
Ein Überangebot hat Sahin auch in der Sturmzentrale: Neuzugang Guirassy, sofern fit, gilt als gesetzt. Dahinter wird der Rekordzugang des BVB-Sommers Maximilian Beier auf Einsätze pochen, wenngleich der Nationalspieler auch auf die Flügel ausweichen kann.
Für Afrika-Cup-Sieger Sebastien Haller gestaltet sich die Suche nach einem neuen Verein weiter schwierig, er dürfte wohl auch weiterhin zu den Streichkandidaten zählen. Gut möglich aber, dass der 30-Jährige mit Vertrag bis 2026 eine weitere Saison bleibt.
Während Toptalent und U17-Weltmeister Paris Brunner vor einem Abschied steht, sieht es im Fall Youssoufa Moukoko inzwischen nach einer Kehrtwende aus. Nach dem Wirbel um die von seinem Berater geäußerten Vorwürfe gegen die BVB-Entscheider schien alles auf einen Wechsel nach Marseille hinauszulaufen, mittlerweile ist der Deal Berichten zufolge geplatzt. Unter Sahin soll der U21-Nationalspieler trotzdem keine Chance haben, "Bild" verkündete gar, dass Moukoko ein Platz auf der Tribüne drohe. Möglich auch, dass der Stürmer zum "Schnäppchenpreis" gehen darf.
Das Startprogramm von Borussia Dortmund
Nach dem Pokalduell gegen Lübeck greift der BVB im ersten Samstagabendspiel der neuen Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt (18:30 Uhr) ins Geschehen ein. Zwar ist der Tabellensechste der Vorsaison alles andere als Laufkundschaft, die 16 Zähler Vorsprung auf die SGE in 2023/24 sowie eine gute Bilanz von vier Siegen und einem Unentschieden aus den letzten fünf Bundesliga-Partien sprechen neben dem Heimvorteil aber für die Sahin-Truppe.
Anschließend reist Dortmund zu Werder Bremen (31. August, 15:30 Uhr), den 3. Spieltag eröffnet Schwarz-Gelb nach der ersten Länderspielphase nach der Europameisterschaft mit dem Freitagabendspiel gegen den 1. FC Heidenheim (13.09., 20:30 Uhr).