Raus mit Applaus: Der bizarre Abschiedsabend des VfB

Der Underdog VfB Stuttgart will PSG entzaubern und stolpert dabei heftig über seine eigene Nervosität und Fehler. Paris Saint-Germain reißt den deutschen Vizemeister mit einem 4:1 brutal aus seinen Playoff-Träumen in der Champions League. Die Gäste überrumpeln die völlig überforderten Schwaben schon in den ersten Minuten und ziehen dem Stadion so schnell den Stecker. Applaus gibt's am Ende trotzdem reichlich.
Es kommt nicht allzu oft vor, dass Fußballprofis nach einem saftigen 1:4 vor der eigenen Kurve mit Applaus empfangen und gefeiert werden.
So standen die Stuttgarter Stars um Deniz Undav, Maximilian Mittelstädt und Co. nach Abpfiff etwas verdruckst vor der Cannstatter Kurve und holten sich den Abschiedsapplaus ab. Dann huschten sie in die Katakomben.
Dieser Support habe sich "extrem geil" angefühlt, sagte Fabian Bredlow zu sport.de. "Grundsätzlich waren die Fans in allen Spielen jedes Mal on fire und haben immer alles gegeben. Auch heute haben Sie uns unterstützt, als es 0:4 stand.“ Der Ersatzkeeper kam am Mittwochabend unverhofft zu seinem Champions-League-Debüt, weil Stammtorhüter Alexander Nübel mit einer Erkältung ausfiel. Erst am Mittag wurde Bredlow die Entscheidung mitgeteilt.
Um kurz vor 21 Uhr war das Euphorie-Level in Bad Cannstatt noch Richtung Maximum ausgeschlagen. Das Stadion vibrierte. PSG ade? Das war der Plan. Die Anhänger hievten eine gigantische Choreo zum Anpfiff empor, schufen den passenden Rahmen für das Gruppenphasen-Finale.

Und all das Gerede von einem möglichen Ballgeschiebe, Nichtangriffspakt oder gar "Schande von Stuttgart" war schon nach wenigen Minuten beerdigt. Eben hatten sich die Anhänger der Schwaben in der Arena tüchtig warm gegrölt, da mussten die VfB-Verteidiger den Ball schon aus dem Ball fischen. Von wegen 0:0.
Nichtangriffspakt? PSG hatte anderen Pläne
Zwar reichte beiden Teams theoretisch ein Remis zum Weiterkommen, aber vor allem PSG drückte von Beginn an und profitierte von nervösen Stuttgartern. Ein verkorkster Rückpass von Kapitän Atakan Karazor schenkte den Gästen einen Eckball, den dann nach doppeltem Zweikampf-Erfolg Topscorer Bradley Barcola einnickte (6.) Ein Stimmungskiller und Wirkungstreffer.
"Wir sind auf eine Mannschaft getroffen, die zur Weltklasse gehört. Die unfassbare individuelle Qualität hat und heute auch auf den Platz gebracht hat", sagte Nationalspieler Mittelstädt nach der Partie. "Paris hat uns von Anfang an das Leben sehr schwer gemacht. Wir müssen noch eiskalter sein. Die Chance, die wir haben, dann auch nutzen."
Dem VfB war die Nervosität im Showdown deutlich anzumerken, auch Bredlow brachte viele Flanken im Aufbauspiel nicht an, gehörte aber noch zu den besseren Stuttgartern. Vor allem über die Außenbahnen waren die Gastgeber sehr anfällig und leisteten sich viele Fehlpässe und Ungenauigkeiten, die PSG dann bestrafte. Das geht schon schnell in der Liga schief, aber erst recht gegen ein solch abgezocktes Paris Saint-Germain, das an diesem Abend seine Weltklasse doch eindrucksvoll unter Beweis stellte. Wenn sie müssen, können sie plötzlich auch.
Und gerade als zwei Chancen von Chris Führich das Stadion wieder anzündeten, schlug PSG eiskalt zu. Ein Konter von Barcola vollende Ousmane Dembele (17.) in bester Stürmer-Manier. Kurz darauf erhöhte der Ex-Bundesligaspieler verdient auf 3:0 (35.) und versetzte das Stadion damit kurz in Schockstarre, während im PSG-Block Dutzende Anhänger den niedrigen Temperaturen trotzen und oben ohne feierten.
"Brachialer" PSG erteilt VfB eine Lehrstunde
Von dem PSG, das bei der Statistik der vergebenen Großchancen in der Königsklasse an der Spitze steht, war an diesem Abend wenig zu sehen, auch wenn Bredlow eine weitere Dembele-Chance auf der Linie vereitelte. Deniz Undav sollte mit seiner klaren Vorab-Analyse, PSG sei ein "brachialer" Verein mit "brutalen" Spielern sehr recht behalten.
Rien ne va plus zur Halbzeit? Immerhin die Fans machten nochmal ordentlich Druck, der Kessel köchelte wieder los, erzeugte Druck. Das Publikum wollte, die VfB-Profis brachten es schlicht nicht auf den Rasen.
Schnell wurde klar: Dieser Abend sollte nicht magisch werden, sondern einfach kalt und ernüchternd. Spätestens der dritte Treffer von Dembele (54.), der sich relativ unbehindert in den Strafraum kombinieren konnte, besiegelte dann die VfB-Niederlage.
Nach dem 0:4 rückte die Partie in Stuttgart fast schon in den Hintergrund, der Blick ging auf die anderen Plätze in Manchester und Zagreb, die die Tabellenplatzierung beeinflussten. Denn bei Niederlagen oder Unentschieden der beiden Klubs wäre der VfB trotz Niederlage weitergekommen.
Wilde Minuten in Bad Cannstatt
Kurzzeitig rutschte der VfB dank Schützenhilfe sogar wieder über den Strich, nur um dann nach Toren von City und Zagreb wieder schmerzvoll auf Rang 26 abzurutschen. Wilde Minuten in Cannstatt. So brutal kann dieser neuer CL-Modus sein. Auf Durchsagen der Ergebnisse hatte der VfB verzichtet, die Fans waren in diesem Kurzzeit-Drama auf ihre Smartphones angewiesen. Die Hoffnungen auf ein Fußball-Wunder wurden nicht erhöht, herauskam nur ein Ehrentreffer durch Chris Führich (77.), der kurz danach aber als Eigentor von Willian Pacho gewertet wurde.
Dem Motto der Fan-Choreo konnte der Bundesligist diesmal nicht entsprechen. "Eines wird heut' Abend klar - Stuttgart steht als Sieger da", war auf dem Banner zu Beginn der Partie gestanden. Zumindest ergebnistechnisch sollten sie nicht recht behalten.
Stuttgart träumt trotzdem weiter von Europa
Und trotzdem wurde dann nach Abpfiff gefeiert. Die Anhänger stimmen „Stuttgart international“ an und feierten das Team. Dies darf man als Dank für die Saison werten. Eine Geste des Zusammenhalts. Zum Schluss wurde dann noch schnell der DFB-Pokal besungen. Dort steht der VfB im Viertelfinale, ist also noch voll im Rennen um einen Titel.
Schämen muss sich der Klub für seine Saison und das bittere Aus in der Gruppenphase definitiv nicht. Mit zehn Punkten stand der VfB bis zum letzten Spieltag gut da, hatte bis zum letzten Spiel die Möglichkeit auf das Weiterkommen. Mit besseren Resultaten gegen Sparta Prag oder Roter Stern Belgrad wäre der Einzug in die Playoffs gut möglich gewesen.
"Es war trotzdem eine tolle Reise, die wir zusammen durchgemacht haben. Für das erste Champions-League-Jahr haben wir uns gut verkauft“, sagte Mittelstädt. "Es war eine unglaubliche Erfahrung. Wir sind sehr stolz, dass wir sie machen konnten. Klar, ein unschönes Ende. Aber so wie wir ausgeschieden sind, kann man auch mal ausscheiden. Wir sind mit Würde ausgeschieden, auch wenn heute nicht alles geklappt hat."
Neben Klatschen gegen PSG und Belgrad (0:4) spielte der VfB in Madrid bei Real bis zum Schluss munter mit und feierte sogar einen Überraschungs-Auswärtssieg bei Juve. Momente, die bleiben. Nun aber ist die Reise durch Europa vorerst beendet. Der Blick auf die Ligatabelle zeigt: Sie könnte im Sommer schon wieder weitergehen. In welchem Wettbewerb, das ist unklar.
"Die Fans haben Bock, die Reise mit uns weiterzugehen. Dafür müssen wir in der Liga Gas geben, um das wieder erleben zu dürfen", gibt Bredlow die Marschroute vor.
Dann warten womöglich neue Abende, die dann auch wieder magisch und nicht bitter werden sollen.