25.03.2022 13:19 Uhr

Warum Kai Havertz trotz Top-Form nicht sorgenfrei ist

Kai Havertz ist in Top-Form, steht beim FC Chelsea aber vor einer ungewissen Zukunft
Kai Havertz ist in Top-Form, steht beim FC Chelsea aber vor einer ungewissen Zukunft

Mit reichlich Rückenwind ist Kai Havertz ins Quartier der deutschen Nationalmannschaft gereist. Kein Wunder: Beim FC Chelsea präsentierte sich der Offensiv-Allrounder zuletzt in Top-Form, verdrängte sogar Rekord-Einkauf Romelu Lukaku aus der Startelf. Sorgen bereitet allerdings die komplizierte Situation der Blues, denen im Zuge ihres Verkaufs im Sommer ein Star-Exodus droht. Auch Havertz dürfte sich Gedanken machen.

Als Hansi Flick kürzlich der Stamford Bridge einen Besuch abstattete, um Kai Havertz live in Aktion zu erleben, bewies der Bundestrainer gutes Timing. Beim 2:0-Erfolg des FC Chelsea im Champions-League-Achtelfinale gegen OSC Lille traf der 22-Jährige nicht nur zur frühen Führung, er unterstrich darüber hinaus auch, auf nahezu jeder Position in der Offensive eine Bereicherung sein zu können.

Flicks Anwesenheit hatte Havertz nach eigener Aussage zusätzlich angestachelt. "Man tauscht sich immer aus. Deswegen wussten wir auch Bescheid, dass die Trainer heute im Stadion sind. Natürlich freut man sich dann auch, sich ein bisschen zu beweisen", verriet der frühere Leverkusener, der mit elf Toren in 35 Pflichtspielen für Chelsea schon jetzt häufiger getroffen hat als in der gesamten Vorsaison.

"Man merkt einfach, dass er da ist, wenn es drauf ankommt", schwärmte Flick nach dem Lille-Spiel. Tatsächlich ist der Linksfuß ein Experte für wichtige Treffer: Mitte Februar verwandelte Havertz den entscheidenden Handelfmeter gegen SE Palmeiras zur Klub-Weltmeisterschaft, auch beim Sieg in der Königsklasse gegen Manchester City war er 2021 der Siegtorschütze. Und auch in der Liga macht der DFB-Star immer häufiger den Unterschied.

Die Folge: Von der englischen Boulevardpresse wird Havertz, der den belgischen Top-Stürmer Romelu Lukaku verdrängt hat, mittlerweile als "King Kai" geadelt. Blöd nur, dass man beim FC Chelsea gar nicht weiß, wie lange man mit dem 2020 für 80 Millionen Euro verpflichteten Edeltechniker noch planen kann.

FC Chelsea wegen Roman Abramovich kaltgestellt

Während Havertz bei der Nationalmannschaft weilt, um sich auf die Test-Spiele gegen Israel und die Niederlande vorzubereiten, brennt bei seinem Arbeitgeber der Baum.

Nach dem Rückzug des Oligarchen Roman Abramovich, der im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine massiv in die Kritik geraten ist, steht der FC Chelsea zum Verkauf - und der angepeilte, momentan indes ausgesetzte Eigentümer-Wechsel hat direkte Auswirkungen auf die personelle Planung des Vereins, der seit 19 Jahren finanziell nahezu sorglos lebte.


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Laut dem "kicker" glauben einige Analysten, dass Abramovich gut daran täte, den Klub "für die Hälfte der rund 3,5 Milliarden Euro zu verkaufen, die er eigentlich generieren will". Geld für große Deals sowie teure Spielergehälter werden für den englischen Erstligisten in Zukunft so unweigerlich zum Problem.

Ganz akut bereiten die Sanktionen der britischen Regierung gegen Abramovich bereits Schwierigkeiten: Keine Transfers, kein Ticketverkauf, nicht einmal ein geöffneter Fanshop ist den Londonern noch gestattet. Das Finanzministerium in London bestätigte, dass "auch der Chelsea Football Club Teil des eingefrorenen Vermögens" des Oligarchen ist.

Sogar ein Stopp des Spielbetriebs stand im Raum, diesen verhinderte die Regierung von Boris Johnson jedoch mit einer Sonderlizenz. Dennoch eine vertrackte Situation für den amtierenden Champions-League-Sieger, der unter Abramovich zahlreiche Titel gewonnen hat, darunter fünf seiner sechs englischen Meisterschaften.

Ergreifen Havertz, Tuchel und Co. die Flucht aus London?

Nun steht der FC Chelsea vor einer ungewissen Zukunft - ebenso wie Kai Havertz, dessen Arbeitspapier an der Stamford Bridge noch bis 2025 gültig ist. Unter seinem deutschen Trainer Thomas Tuchel ist der gebürtige Aachener unangefochten, Lust auf einen Absturz ins Mittelmaß (oder tiefer) dürfte Havertz gleichwohl ebenso wenig verspüren wie sein Coach.

Direkte Konkurrenten könnten sich die Krisen-Lage bei den Blues nun zunutze machen. Erste Gerüchte um Interessenten für Spieler und Offizielle kursieren bereits. Als eine der heißesten Aktien gilt dabei Havertz.

Insofern dürfte der Abstecher zum Nationalteam für den Gewinner der Fritz-Walter-Medaille in Gold von 2018 eine willkommene Abwechslung sein. Ob er die Unruhe beim FC Chelsea komplett ausblenden kann, ist unklar, zumindest sportlich scheint Havertz aber den Fokus wahren zu können.

Für den 22-Jährigen steht persönlich schließlich einiges auf dem Spiel: Zu Beginn des WM-Jahres will sich Havertz für einen Stammplatz in der DFB-Auswahl empfehlen. Mangels geeigneter Mittelstürmer stehen seine Chancen nicht schlecht, die Position in vorderster Front auch unter Flick längerfristig zu besetzen.

Bayern-Dauerbrenner und Nationalmannschafts-Kollege Thomas Müller traut Havertz die Rolle des Neuners jedenfalls zu. "Kai hat jetzt bei Chelsea gerade auch in der Spitze sehr gute Spiele gemacht und sich auch in der wirklich körperbetonten Premier League da durchsetzen können", lobte der 32-Jährige: "Kai kannst du vorne fast überall hinstellen und immer die Hoffnung haben, dass er ein super Spiel macht."

Fraglich nur, wie lange der FC Chelsea davon noch profitieren kann.

Heiko Lütkehus