Diese Baustellen erwarten Nuri Sahin beim BVB

Am 13. Juni platzte bei Borussia Dortmund die Bombe: Edin Terzic verkündete seinen Rücktritt vom Trainer-Amt, rund 24 Stunden später wurde Nuri Sahin zum Nachfolger erklärt. "Eine große Ehre", wie der Ex-Spieler der Borussen treffend sagte, mit Sicherheit aber keine leichte Herausforderung. Diese Baustellen erwarten den 35-Jährigen:
BVB-Kader strotzt nur so vor Baustellen
Seit Anfang 2008 gehörten die Klub-Ikonen Mats Hummels und/oder Marco Reus immer zum Kader von Borussia Dortmund. 2024/25 muss der BVB erstmals seit mehr als 16 Jahren komplett ohne die beiden deutschen Superstars auskommen, die ihre Karriere abseits des Ruhrgebiets fortsetzen. Betrachtet man nur die abgelaufene Spielzeit, verlieren die Schwarz-Gelben allein dadurch Akteure, die insgesamt 5213 Pflichtspielminuten (2932 Hummels, 2281 Reus) absolvierten.
Hinzukommen die Rückrunden-Leihgaben Jadon Sancho und Ian Maatsen, deren Verbleib ebenfalls noch weit entfernt scheint und die allein in 2024 auf 3870 Pflichtspielminuten (1593 Sancho, 2277 Maatsen) kommen.
Kurz: Sahin verliert stand jetzt gleich vier Spieler, die die BVB-Saison maßgeblich mitprägten und teils enormen Anteil daran hatten, dass die Borussen überraschend das Finale der Champions League erreichten.
Sahin übernimmt also ein Team, das vor Kader-Baustellen nur so strotzt. Zumal vermeintlich nicht nur die Genannten ersetzt werden müssen, sondern auch neues Personal für das Mittelfeldzentrum und die Abteilung Attacke her soll.
Abgang von Wortführern wirbelt BVB-Hierarchie durcheinander
Apropos Hummels und Reus: Der Abgang der Routiniers wird auch riesige Auswirkungen auf die Hierarchie des Klubs haben. Der langjährige Kapitän Reus legte seine Binde zwar vor der vergangenen Saison ab, auch ohne das begehrte Stückchen Stoff am Arm wird das Wort des zweifachen deutschen Fußballer des Jahres allerdings noch reichlich Gewicht gehabt haben.
Dass Hummels über seine Rolle als Defensiv-Leitwolf hinaus keine Scheu davor hat, wahlweise als Kritiker, Einpeitscher oder auch Prellbock für unangenehme Nachfragen zu dienen, ist ohnehin bekannt.
Klar, Emre Can, der auf Reus als Spielführer folgte, steht noch im Kader und geht auf dem Rasen immer voran. Allein stimmte die Leistung des deutschen EM-Fahrers bei Weitem nicht immer, abseits des Grüns gilt der 30-Jährige zudem nicht unbedingt als Lautsprecher.
Einen Hinweis darauf, in welche Richtung es gehen könnte, gab es immerhin schon Anfang April, als bekannt wurde, dass Niklas Süle, Sebastien Haller und Reus im BVB-Mannschaftsrat durch Nico Schlotterbeck, Marcel Sabitzer und Julian Ryerson ersetzt wurden.
Abgrenzung von Terzic weckt Erwartungen
Unabhängig vom Personal auf dem Rasen dürften die Erwartungen an Sahin enorm sein. Das hängt teilweise mit den Erfolgen von Vorgänger Edin Terzic, aber auch mit dem jüngsten Auftreten von Sahin zusammen.
Zum einen betonte der ehemalige BVB-Kapitän bei seiner Vorstellung vehement, dass er Offensivfußball spielen lassen werde und grenzte sich dadurch sicher nicht ganz zufällig von Terzic ab, dem Hummels in einem medial viel diskutierten Interview mit der "Sport Bild" vorgeworfen hatte, teils mit elf Mann den Sehzehner verbarrikadiert zu haben. Konkret nannte Hummels dabei zwei Partien im Dezember, einem Zeitpunkt, zu dem Sahin noch nicht als Dortmunder Coach aktiv war.
Zum anderen betonte Sahin, dass er und Terzic seitdem er Anfang 2024 von den Klub-Bossen gemeinsam mit Sven Bender an die Seite des 41-Jährigen beordert wurde, "ein Team" gewesen seien und sich "immer abgesprochen" hätten. Für seine eigenen Ideen habe er dennoch "viel Freiraum" bekommen.
Kurz: Von der sportlich teils ernüchternden Hinrunde grenzte sich Sahin ab, die Rückrunde, mit dem Einzug ins CL-Finale geht aber ebenso auf seine wie auf Terzics Kappe. Ein rhetorisches Vorgehen, dass Trainer-Legende Peter Neururer unlängst deutlich anprangerte.
Dennoch lässt sich natürlich nicht von der Hand weisen, dass es Terzic war, der als Hauptverantwortlicher an der Seitenlinie der Dortmunder stand, die Meisterschaft 2023 hauchzart verpasste und 2021 mit dem Pokalsieg den letzten BVB-Titel verantwortete. Dass Sahin dennoch nicht wenig Verbesserungspotenzial sieht, schürt die Hoffnung auf schnelle Titel gewaltig.
Weiter Stallgeruch, statt echter Neuanfang beim BVB
Einen Umstand, der für Sahin zum Problem werden könnte, machte unlängst auch Horst Heldt aus. Der künftige Geschäftsführer Profifußball von Union Berlin verwies auf die ähnliche Situation von Terzic und Sahin.
"Edin Terzic war auch vorher Co-Trainer, Kumpeltyp und sehr eng bei der Mannschaft. Es bleibt also das gleiche, nur die Namen werden ausgetauscht. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber es wirkt erstmal so."
Und weiter: "Wir reden von Veränderungen. Aber wenn Veränderungen dieselben sind, dann sind es keine Veränderungen. Natürlich ist Nuri eine andere Persönlichkeit, aber es ist auch einer aus dem eigenen Stall. Es ist auch einer mit einer BVB-Vergangenheit. Vielleicht wäre ein Neuanfang mit einer Nicht-BVB-Vergangenheit sinnvoller gewesen."
Vor allem, wenn Sahins BVB eher schwerfällig in die neue Spielzeit startet, dürften kritische Stimmen schnell ins Kraut schießen. Nachdem er die Vorstellungen der Mannschaft schon seit sechs Monaten mitverantwortet hat, wird man dem ehemaligen türkischen Nationalspieler kaum noch viel Geduld entgegenbringen.
Marc Affeldt