05.07.2024 09:11 Uhr

Der VfB-"Ausverkauf" und die Folgen

Der VfB muss den Abgang einiger Leistungsträger kompensieren
Der VfB muss den Abgang einiger Leistungsträger kompensieren

Der VfB Stuttgart steht nach seiner Märchen-Saison vor einem Umbruch. Eine nicht ungefährliche Situation für die Schwaben, die aber auch Chancen birgt. Eine große Falle gilt es zu vermeiden.

Als Sebastian Hoeneß an diesem Donnerstag die Spieler des VfB Stuttgart zum Trainingsauftakt in Bad Cannstatt begrüßte, fehlten viele bekannte Gesichter. Dafür mussten sich einige andere erst mal vorstellen.

Der VfB Stuttgart steckt trotz – besser gesagt: wegen – seines märchenhaften Erfolges in der Vorsaison in einem größeren Umbruch. Auch von Ausverkauf ist immer wieder die Rede.

Wenn man so will, bekommt der Klub die Folgen seines eigenen Erfolges zu spüren. Die Rekordsaison – Vizemeister, meiste Siege, meiste Punkte, etc. – hat den Fokus auf die Schwaben gelenkt und damit auch auf viele Leistungsträger.

Ito und Anton wechseln zur Konkurrenz

Binnen weniger Tage brach dem VfB zum Beispiel die halbe Verteidigung weg. Den Auftakt machte Hiroki Ito. Der Japaner wechselt per Ausstiegsklausel für 23,5 Millionen Euro zum FC Bayern, der seine schwächelnde Defensive verstärken will.

Eben genannte Ausstiegsoption in den Verträgen ist in Stuttgart ein leidiges Thema. Denn auch der Kapitän geht dank dieser Möglichkeit vorzeitig vom VfB-Boot. Übereinstimmenden Medienberichten verlässt Waldemar Anton den VfB in Richtung Borussia Dortmund. Ein überraschender Wechsel, der die VfB-Fans im Herzen traf. Vor allem, weil Abwehrboss Anton in den vergangenen Wochen noch seine Treue bekundet hatte. Sportlich ist der Verlust der "Wand von Cannstatt" ohnehin schmerzhaft. 

Drohen weitere Abgänge in der Defensive?

Konkretes Interesse ist Stand jetzt nicht hinterlegt, allerdings hat sich Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt mit der deutschen Nationalmannschaft auf großer EM-Bühne weiter ins Rampenlicht gespielt.

Neuer Abwehrboss in Stuttgart

Als Zugang steht bereits Jeff Chabot (1. FC Köln) fest. Der Kölsche "Türsteher" wird wohl mit dem verletzungsanfälligen Dan-Axel Zagadou den Abwerblock im Zentrum bilden. Zudem stehen Hoeneß der junge Anthony Rouault (verzichtet auf Olympia-Teilnahme mit Frankreich) und Ramon Hendriks (kam von Feyenoord Rotterdam) zur Verfügung.

Auch in der Offensive gibt es fast so viele Baustellen wie in der Stadt Stuttgart.

Die bekannteste: Rekordtorjäger Serhou Guirassy zieht es wie Anton ebenfalls ins Ruhrgebiet. Der 28-Tore-Mann steht vor einem Wechsel zum BVB.

Was passiert mit Undav? Kommt Demirovic?

Zusammen mit Deniz Undav bildete er eines der torgefährlichsten Duos in Europa. Im Gegensatz zu Guirassy hat Undav stets seinen Wunsch betont, in Stuttgart bleiben zu wollen. Allerdings war der Nationalspieler nur auf Leihbasis beim VfB. Der Bundesligist liefert sich gerade einen kaum zu durchblickenden Transfer-Hickhack mit Brighton. Es geht um Kauf- und Rückkaufoptionen und wird schnell kafkaesk. Noch ist sein Verbleib offen, am Ende wohl wie so oft im Leben eine Frage des Geldes.

Für Undav müsste der VfB wohl insgesamt fast 60 Millionen (Ablöse, Boni und Gehalt) in die Hand nehmen. Da dürften die ersten VfB-Fans aufschrecken. Denn Erinnerungen an die "Champions-League-Falle" sind noch groß. Als der VfB Ende der 2000er als Top-Team der Liga die Königsklasse erreichte, zersprengte er anschließend das Gehaltsgefüge der Mannschaft komplett, setzte auf falsche Transfers und verpasste dann wieder das internationale Geschäft, saß aber auf hohen Kosten. Die Folgen waren massiv. Aus dem Europapokal ging es steil abwärts – bis in die 2. Bundesliga.

In diese Falle wollen die VfB-Macher um Wohlgemuth diesmal nicht tappen.

Trotzdem muss der VfB in der Offensive nachlegen, mindestens zwei Spieler zusätzlich verpflichten. Ein heißer Kandidat soll übereinstimmenden Berichten zufolge Augsburgs Ermedin Demirovic sein. Auch hier müssen sich die beiden Schwaben-Klubs erst noch einigen. Noch liegen die beiden Vorstellungen der Ablösesumme weiter auseinander. Der Stürmer will dem Vernehmen nach aber offenbar nach Stuttgart.

Was für einen Transfer spricht: Der FCA muss Transferüberschüsse erzielen. Durch die Verkäufe von Guirassy, Anton, Ito und der Champions-League-Millionen kann der VfB diesmal durchaus potent auf dem Transfermarkt agieren. Allerdings wissen das auch die anderen Teams, was die Lage wieder verkompliziert.

VfB Stuttgart: Viel Arbeit für Wohlgemuth

Ein weiterer Kandidat für die Offensive soll Hertha-Juwel Ibrahim Maza sein. Der talentierte 18-Jährige könnte als Ergänzung neben zum möglichen Duo Undav/Demorvic kommen. Zuletzt war auch Emil Höjlund, Bruder von ManUnited-Profi Rasmus, vom FC Kopenhagen im Gespräch.

Viel zu tun für Fabian Wohlgemuth, der jüngst vom Sportdirektor zum Sportvorstand befördert wurde. Der 45-Jährige hat allerdings schon vor Saisonende einige Transfers eingetütet, den Kader mit Blick auf die kommende Saison verbreitert. Viele davon in der Kategorie: talentierte Ergänzungsspieler, die in Stuttgart den nächsten Schritt machen können. Es ist eine Wette auf eine rasante Entwicklung.

Nick Woltemade (Bremen), Yannik Keitel (Freiburg) und Justin Diehl (Köln) werden vermutlich zunächst nicht in der Startelf von Hoeneß stehen, sollen aber Druck auf etablierte Kräfte machen.

Während der EM machte der Sportvorstand dann die Deals mit Fabian Rieder und Frans Krätzig perfekt. Während Letzterer ebenfalls als extrem talentierter Perspektivspieler wie einst Philipp Lahm von Bayern nach Stuttgart verliehen wird, ist Rieder (kommt wie einst Guirassy von Stade Rennes) als EM-Fahrer der Schweiz schon etwas weiter.

Zudem muss der Kader der neuen Dreifachbelastung Stand halten. Durch die CL-Reform kommen mindestens acht zusätzliche Partien auf den VfB zu. Nur sehr wenige Spieler (Nübel, Rieder) haben Erfahrungen auf diesem Niveau gesammelt. Der Vizemeister wird als Underdog ins Königsklassen-Rennen gehen. Jede Partie ein Bonus-Spiel.

Auch Führich könnte noch wechseln

Unklar ist weiter, wie es mit Leistungsträgern wie Chris Führich oder Angelo Stiller weitergeht. Das Interesse des BVB an Nationalspieler Führich sei zuletzt erkaltet, hieß es. Nun könnten Bayer Leverkusen und RB Leipzig ihre Chance wittern. Bis zum Ende der Euro können interessierte Teams (mal wieder) die Ausstiegsklausel aktivieren.

Mittelfeld-Metronom Angelo Stiller ist beim FC Barcelona im Gespräch, gilt aber eigentlich als unverkäuflich (keine Ausstiegsoption) und soll mit Atakan Karazor weiter das Sechser-Duo bilden. Der flinke Enzo Millot steht bei ausländischen Klubs wohl schon länger auf dem Zettel, kann bei den Olympischen Spielen in seiner Heimat für weitere Furore sorgen.

Es ist viel Bewegung drin im Verein für Bewegungsspiele. In den kommenden Wochen wird es wohl im hohen Tempo weitergehen. Jetzt schon ist klar: Der VfB wird wohl als schwäbische Wundertüte in die ersten Partien (Auftakt am 17. August im Supercup gegen Leverkusen) gehen.

Understatement ist das Motto der Stunde. Wohlgemuth tat vermutlich gut daran, ein sehr defensives Saisonziel auszugeben. Zwischen Platz 9 und 12 wolle der VfB landen, sagte er. Von einer Wiederholung der Vorjahressensation dürften selbst die kühnsten Optimisten nicht träumen. Ein besseres Abschneiden ist trotzdem nicht ausgeschlossen. Im vergangenen Jahr lautete das Ziel: Klassenerhalt.

Emmanuel Schneider