Kehls erfolgreicher Transfer-Sommer mit einem Makel

BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl hat turbulente Monate hinter sich. Während es zunächst danach aussah, als würde der Ex-Profi im Machtgefüge von Borussia Dortmund nach unten rutschen, scheint er aufgrund der getätigten Sommer-Transfers wieder an Profil dazugewonnen zu haben. Seine Arbeit wird bereits über das Ruhrgebiet hinaus gelobt, einen Makel hat die Transfer-Bilanz aber.
Nach vielen Jahren des steilen Aufstiegs musste Sebastian Kehl im April eine herbe Schlappe wegstecken.
Der einstige Kapitän von Borussia Dortmund und Nachfolger von Klub-Ikone Michael Zorc auf dem Sportdirektorposten wurde nicht wie erwartet zum neuen Geschäftsführer Sport befördert. Den begehrten Job bekam stattdessen Lars Ricken, dem der 44-Jährige seither zuarbeiten muss.
Kehl machte anschließend keinen Hehl daraus, dass er selbst mit einem weiteren Aufstieg beim Bundesliga-Schwergewicht gerechnet hatte. "Im ersten Moment ist man natürlich auch ein Stück weit enttäuscht, ich glaube, das ist menschlich", so eine seiner ersten Reaktionen.

Damit nicht genug: Wenig später setzte ihm die Führungsriege des BVB auch noch Sven Mislantat an die Seite. Zwar wurde der Ex-Scout offiziell als Technischer Direktor eingestellt und auf dem Papier somit in der Hierarchie unter Kehl eingeordnet. Es dauerte aber nicht lange, da eckte das Dortmunder "Diamantenauge" an.
Rund ums BVB-Trainingslager soll es zu ersten Streitereien gekommen sein, da Mislintat seinen Kompetenzbereich überschritt und an Kehl mit möglichen Neuzugängen vorbeiverhandelte. "Gewittriges BVB-Gerangel", titelte etwa die "Sportschau" nach den Eindrücken aus der Schweiz. Die Unruhe dominierte tagelang die Schlagzeilen. Nachdem zunächst von einer Blitz-Entlassung von Mislintat die Rede war, kippte die Stimmung zu Ungunsten von Kehl: "Ein BVB-Boss fliegt noch vorm Winter", orakelte etwa die "Sport Bild" mit Blick auf dessen nur noch bis 2025 gültigen Vertrag.
Neuerlicher Druck beflügelt BVB-Boss Kehl
Erst nach einem Machtwort von Lars Ricken - die internen "Reibereien" sind ausdrücklich erwünscht, personelle Konsequenzen werden nicht gezogen - kehrte etwas Ruhe ein. Und Kehl und Mislintat konzentrierten sich auf ihre Arbeit.
Interessant: Der neue Druck auf dem schwarz-gelben Kessel scheint den Sportdirektor wie erhofft beflügelt zu haben. Ein Beispiel: Bei der Verpflichtung des brasilianischen Außenverteidiger-Talents Yan Couto (Leihe mit Kaufpflicht von ManCity) hat Kehl "gekämpft wie ein Löwe", wollte die "Sport Bild" erfahren haben. Mislintats Impulse hätten ihn dazu angetrieben, sein Standing im Klub zu verbessern.
Ein weiteres Beispiel: Bei den Transfers von Waldemar Anton, Serhou Guirassy (beide VfB Stuttgart) und Pascal Groß (Brighton & Hove Albion) arbeiteten Mislantat und Kehl perfekt zusammen. Der Technische Direktor stellte - nachdem er das Okay erhielt - dank seines engen Drahts zu den beteiligten Beratern für den BVB den Fuß in die Tür, der Sportdirektor schloss eben jene nach erfolgreichen Verhandlungen. Ricken lobte hinterher ausdrücklich, dass Kehl die Deals "sehr gut umgesetzt" hatte: "Es war Teamwork und eine gemeinschaftliche Arbeit."
Kroos und Matthäus schwärmen von BVB-Transfers
Lob erhielten die BVB-Bosse zuletzt auch über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus. Die Transfer-Strategie hat viele Beobachter überzeugt, darunter die Ex-Nationalspieler Toni Kroos und Lothar Matthäus.
"Vor etwa anderthalb Monaten hätte ich noch gesagt, Dortmund wird Fünfter, wenn es gut läuft", erklärte Kroos in seinem Podcast "Einfach mal luppen": "In meinen Augen haben sie in den letzten Transferperioden sehr schlecht transferiert. Aber diesen Sommer haben sie sensationell gearbeitet." Gerade die Transfers von Guirassy, Anton und Groß seien exzellent, zudem sei Yan Couto ein "richtig guter Spieler" und auch Maximilian Beier dürfte beim BVB erfolgreich sein.
Nicht unerheblich ist, dass es der Borussia auf den letzten Metern noch gelang, nicht mehr benötigte Spieler abzugeben. Nach dem cleveren Verkauf von Niclas Füllkrug (für 27 Mio. Euro zu West Ham United) gab man in Youssoufa Moukoko (Leihe zu OGC Nizza samt Kaufoption) und Paris Brunner (vier Mio. Euro zur AS Monaco) zwei unzufriedene Spieler ab, die zudem sportlich keine große Lücke hinterlassen. Selbst die Bankdrücker Salih Özcan (Leihe zum VfL Wolfsburg) und Soumaila Coulibaly (Leihe zu Stade Brest) konnten noch abgegeben werden.
Rekordnationalspieler Lothar Matthäus gab den BVB-Planern somit eine "glatte 1". Mit Borussia Dortmund sei in dieser Saison wieder zu rechnen, gab sich der 63-Jährige überzeugt. Die Mannschaft von Nuri Sahin werde daher auch in den Titelkampf eingreifen, so seine Prognose. Auch die Fans sind überzeugt: In einer sport.de-Umfrage bewerteten 50 Prozent der User die Arbeit des BVB als "gut", ein Viertel sogar als "sehr gut".
"Auf dem Papier dünn": BVB-Einkaufspolitik hat womöglich einen Makel
Einen Makel könnte die Transferpolitik von Kehl letztlich aber dennoch aufweisen, wenn es im Saisonverlauf zu einem Engpass in der Abwehr kommt. Zum einen wird unter vielen BVB-Anhängern der Abgang von Eigengewächs Tom Rothe (fünf Mio. Euro zu Union Berlin) kritisch hinterfragt, sollte der 19-Jährige nach erfolgreicher Leihe bei Aufsteiger Holstein Kiel nun doch auch in Dortmund durchstarten. Zum anderen stehen in Waldemar Anton, Nico Schlotterbeck und Niklas Süle nur noch drei Innenverteidiger im Kader.
Heißt: Wenn Sahin wie gegen Eintracht Frankfurt (2:0) alle drei gleichzeitig einsetzt, sitzt auf der Bank kein Ersatz. Mit Ramy Bensebaini, abgesehen von Allrounder Julian Ryerson, steht zudem nur noch ein gelernter Linksverteidiger im Kader, das von Lars Ricken hochgelobte Eigengewächs Almugera Kabar dürfte eher ein Versprechen für die mittel- bis langfristige Zukunft sein.
"Ich weiß, dass es auf dem Papier auf der Links- oder Innenverteidigerposition dünn aussieht", musste auch der Cheftrainer zuletzt einräumen. "Aber wir haben da viele Varianten, mit denen wir Lösungen finden können", gab er sich mit seinem Spieleraufgebot und den Transfers insgesamt "völlig zufrieden".
Ein Lob, das Sportdirektor Sebastian Kehl womöglich am allermeisten geschmeckt hat.