VfB Stuttgart legt wildes Heim-Comeback hin
Die Königsklasse ist zurück in Cannstatt. Im ersten Heimspiel des VfB Stuttgart in der Champions League seit über 14 Jahren bieten die Fans eine emotionale Kulisse. Der VfB liefert zunächst, rennt beim 1:1 gegen Sparta Prag dann aber immer wieder vergeblich an. Der Vizemeister bleibt eine spektakuläre Wundertüte.
Als der VfB Stuttgart das letzte Mal ein Heimspiel in der Champions League bestritt, war Instagram eben neu in den App Store gekommen, Sebastian Vettel noch titellos und junge Menschen leisteten Grundwehr- oder Zivildienst. Es ist also lange her.
14 Jahre oder 5334 Tage, um genau zu sein. Am 23. Februar 2010 spielte der VfB im Achtelfinale gegen den großen FC Barcelona auf der Baustelle in Bad Cannstatt, weil die neue Arena noch nicht fertig gebaut war.
Damals im Team unter anderem: Jens Lehmann, Serdar Tasci, Sami Khedira und Cacau – dieser erzielte die 1:0-Führung und damit das bisher letzte CL-Tor des VfB in Stuttgart. Das sollte sich an diesem Dienstagabend ändern.
Bei Barcelonas Sextuple-Giganten liefen nicht minder bekannte Stars wie Zlatan Ibrahimovic, Lionel Messi, Xavi, Andrés Iniesta oder Carles Puyol auf, trainiert von Pep Guardiola. Das Spiel endete 1:1, im Rückspiel zerlegte Barca die Schwaben aber mit 4:0 - der VfB und seine Fans verbrachten 14 Jahre der Champions League nur als ferne Beobachter.
All das ist aber Vergangenheit. In der Gegenwart spielen Alexander Nübel statt Lehmann, Jeff Chabot anstelle von Tasci und Deniz Undav statt Caucau. Und die Gegner am Dienstagabend waren nicht Messi und Co, sondern Sparta Prag mit Scorer Veliko Birmancevic und Keeper Peter Vindahl. Nicht ganz so klangvoll, aber eine richtig harte Nuss.
Ab geht die wilde Fahrt
Dass der VfB nun wieder auf dieser Bühne steht – da müssen sich nicht nur viele Fans immer noch ziemlich die Augen reiben. Kapitän Atakan Karazor sprach schon vor der Partie von einem Traum, den er da gerade erlebe. Er wechselte 2019 aus Kiel zum damaligen Zweitligisten VfB Stuttgart. Nun führt er den Klub in der Königsklasse aufs Feld.
Die Vorfreude auf das Spiel war in der Stadt und Region riesig – trotz der etwas ungewohnten Anstoßzeit von 18:45 Uhr. Die Arena mit 60.000 Zuschauern ausverkauft. Karazor führte sein Team zu einer emotionalen Choreografie der Fans auf den Rasen. "Zurück in Europa" stand auf dem riesigen Banner zu weiß-roten Farben und dem Abbild des legendären Jubels von Aleksandr Hleb und Kevin Kuranyi aus dem Jahr 2003, als in jenem Stadion Manchester United von den jungen Wilden überrascht wurde.
Ganz so wild und spektakulär wurde es diesmal nicht und dennoch ist seit anderthalb Jahren eigentlich immer Action geboten, wenn VfB draufsteht.
Etwas überraschend nahmen zunächst aber die Gäste das Spiel an sich und erspielten sich direkt zwei gute Möglichkeiten, während die VfB-Defensive unter Anfangsnervosität ziemlich wackelte.
Millot macht's
Trotzdem gelang dem VfB wie schon gegen den BVB ein furioser Start. Denn mit der ersten gefährlichen Aktion gelang gleich der Führungstreffer. Wieder mal über die linke Seite leitete der formstarke Jamie Leweling auf Maxi Mittelstädt ein. Dessen Flanke verwandelte dann Turbospieler Enzo Millot (7.) per Kopf. Ausgerechnet mit dem Kopf.
Millot mache die "Dinger endlich vorne rein", hatte Deniz Undav vor einer Woche nach der Gala gegen den BVB gesagt. "Er hätte noch ein Kopfballtor machen können, aber das ist nicht seine große Stärke", sagte er damals augenzwinkernd. Nun belehrte der Teamkollege Undav eines Besseren. Da staunte auch der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth in der Mixed Zone. "Das macht er nicht so oft, das ist außergewöhnlich."
Während ein paar Hundert Meter Luftlinie entfernt das Volksfest Cannstatter Wasen feucht-fröhlich tobte, ging eben auch der VfB auf fast schon gewohnt wilde Fahrt. Doch Sparta Prag und die 3.000 mitgereisten und stimmungsvollen Anhänger hielten kräftig dagegen. Gleich zweimal rettete das Aluminium die etwas verdutzen Gastgeber.
This is Sparta
In der 32. Minute knallte Kaan Kairinen einen Freistoß mit dem linken Fuß ins rechte obere Eck. Keeper Nübel war noch mit den Fingerspitzen dran, konnte das Tor aber nicht verhindern. "Eine schwierige Situation für den Torwart“, kommentierte Wohlgemuth die Situation.
VfB-Trainer Hoeneß sollte mit seiner Warnung vor dem "Brett" aus Prag, "das da kommt", recht behalten. Der tschechische Meister setzte mit seinen Kontern schmerzhafte Stiche gegen die löchrige VfB-Abwehr.
Die beste Phase hatten die Schwaben dann direkt nach Wiederanpfiff. Mit Spielrichtung auf die eigene Heimkurve entfachte der VfB mit viel Ballbesitz eine Druckphase. Wirbelwind Millot hatte den zweiten Treffer auf dem Fuß (48.). Sparta-Topscorer Veljko Birmancevic scheiterte kurz darauf freistehend an Nübel.
Weiter ging die wilde Fahrt in Cannstatt. Wilde Maus, Breakdance und Shake unter Flutlicht. Die nächste Runde rückwärts. Auch der wieder nur eingewechselte Chris Führich probierte immer wieder sein Glück. Sein rasanter Zug nach innen endete aber stets relativ erfolglos. Bis zum Sechzehner, bis zum Abschluss agierte die Hoeneß-Elf stark, dann fehlte die Genauigkeit. Auch die letzte offensive Einwechslung von Stürmer El Bilal Toure für Sechser Karazor verpuffte. Das letzte Prosit, es fehlte. Auch der "Hau den Lukas"-Fußball mit 76 Prozent Ballbesitz, 26 zu 14 Torschützen reichten dem VfB nicht.
"Wir hatten in der ersten Halbzeit nicht die Kontrolle, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir spielen eine gute zweite Halbzeit, am Ende fehlt das Tor", sagte Maximilian Mittelstädt in der Mixed Zone. Prag habe sich hinten gut eingeigelt, alles wegverteidigt. "Wir haben uns mehr vorgenommen."
Auf den ersten Blick fühle es sich an, "als ob mehr drin gewesen wäre", sagte auch Wohlgemuth nach der Partie. Deswegen fühle man auch "etwas Enttäuschung". Man könne aber durchaus zufrieden sein, im ersten Heimspiel nach 14 Jahren einen Punkt mitzunehmen, so der Sportvorstand weiter.
VfB findet keine Lücke
"In der zweiten Halbzeit hatten wir extreme Dominanz. Prag hat die Räume eng gemacht. Wir hatten weniger Chancen als sonst zu Hause, beziehungsweise haben wir nicht die finale Lösung gefunden." Trotzdem könne man mit dem Remis "gut leben".
Der VfB zeigte erneut Probleme gegen einen tief stehenden Gegner, der gut verteidigt - wie schon am Wochenende zuvor gegen den VfL Wolfsburg. "Das werden diese Saison oft haben. Wir müssen da lernen, gegen enge Räume, Lösungen zu finden", sagte Wohlgemuth.
Mit dem Prager Präsidium weilte Wohlgemuth vor dem Anpfiff noch auf dem Cannstatter Wasen um die Ecke. "Deswegen haben wir die Fans heute hautnah erlebt, die mit der Choreo auch wieder Außergewöhnliches geleistet haben, uns bis zum Schluss zum Sieg peitschen wollten. Es war ein ganz besonderes Erlebnis."
Diesem Eindruck stimmte Linksverteidiger Mittelstädt zu. "Es war schon etwas Besonderes. Champions League zu Hause, darauf haben wir lange hingearbeitet, die Fans sich darauf gefreut. Es war ein schönes Gefühl für uns, das wir natürlich gerne mit drei Punkten veredelt hätten."
Nach den ersten beiden Spieltagen der neu gestalteten Ligaphase der Champions League wächst der Druck auf die junge VfB-Mannschaft etwas. Nach dem starken, aber punktlosen Spiel bei Real Madrid (1:3) und dem Heim-Remis gegen Sparta steht der VfB mit einem Zähler da. Mindestens acht werden es nach den acht Spielen wohl sein müssen, um die Playoffs zu erreichen.
Immerhin müssen sich die VfB-Anhänger nicht wieder 14 Jahre aufs nächste Spiel in Cannstatt gedulden. Die nächste Heimpartie steigt schon am 6. November gegen Atalanta Bergamo. Dann ist das Volksfest längst vorbei, die wilde Fahrt wird aber wohl weitergehen.