Letzte Chance für Leon Goretzka beim FC Bayern?

Vor wenigen Wochen schien Leon Goretzka beim FC Bayern noch komplett abgeschrieben zu sein, sogar ein Abgang im Winter schien möglich. Das Verletzungspech beim Rekordmeister hat die Aktien des erfahrenen Mittelfeldspielers jedoch überraschend wieder steigen lassen. Erhält er die letzte große Bewährungschance in München?
Bis vor rund einem Jahr waren Länderspielpausen für Leon Goretzka keine Entspannungsphasen. Als Stammspieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft tourte der Profi des FC Bayern durch die Welt, während viele seiner Kollegen an der Säbener Straße trainierten.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Als die DFB-Elf sich auf den Jahresabschluss in der Nations League vorbereitete, besuchte Goretzka ein Konzert des Wiener Rappers RAF Camora.
Eine Rückkehr in das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann ist für den 57-maligen Nationalspieler weit weg - im heißen Herbst des FC Bayern allerdings wird er aber plötzlich wieder gebraucht.
Nach Aleksandar Pavlovic (Schlüsselbeinbruch) muss der Tabellenführer der Bundesliga auch auf dessen Sechser-Ersatz Joao Palhinha verzichten.
Der Portugiese zog sich im Training der portugiesischen Nationalmannschaft einen Muskelbündelriss an den Adduktoren zu, wie eine Untersuchung durch Bayerns medizinische Abteilung ergab, und wird nach Klubangaben "in den kommenden Wochen fehlen".
Damit wird der 51 Millionen Euro teure Neuzugang neben dem Bundesliga-Match am Freitag gegen den FC Augsburg (20:30 Uhr/DAZN) auch die Kracher in der Champions League gegen Paris Saint-Germain, in der Liga bei Borussia Dortmund und im Pokal gegen Bayer Leverkusen verpassen.
Und so dürfte Goretzkas Stunde beim FC Bayern wieder schlagen - die eines Mannes, der in den vergangenen 16 Monaten einen bemerkenswerten Karriereknick erlebt hat.
Absturz nicht nur beim FC Bayern
Beim FC Bayern wurde Goretzka erst vom damaligen Trainer Thomas Tuchel infrage gestellt ("Wir haben keine Holding Six"), dann von Hansi Flick aus der DFB-Elf verbannt.
Dessen Nachfolger Nagelsmann holte ihn zunächst zurück, verzichtet seit dem erfolgreichen Neustart im März aber auf den 29-Jährigen. Und auch in München geriet Goretzka aufs Abstellgleis.
Im Sommer hatte ihn der FC Bayern als einen der Top-Verkaufskandidaten ausgemacht, was dem einstigen Leistungsträger unverblümt mitgeteilt und bestätigt wurde, als er in der ersten Pokalrunde nicht mit nach Ulm reisen durfte.
Angeblich waren sich die Bayern-Bosse mit Galatasaray über ein Leihgeschäft einig, doch Goretzka, dessen Vertrag noch bis 2026 gültig ist, lehnte ab.
Charakter-Lob von den Bayern-Bossen
Als er Mitte September in Kiel dann erneut nicht im Kader stand, erklärte Sportvorstand Max Eberl kühl: "Wir haben fünf Mittelfeldspieler, davon ist Leon einer. Von der Ausgangslage her hat er es am schwersten." Der degradierte Routinier sei "sauer", verriet Eberl.
Doch Goretzka bekämpfte seinen Frust und wurde von Trainer Vincent Kompany wieder ins Aufgebot genommen. Über Kurzeinsätze kam Goretzka zunächst nicht hinaus, bis er vor der Länderspielpause auf St. Pauli endlich mal wieder beginnen durfte und den Job ordentlich erledigte.
Sein Comeback zeige, "dass er ein Kämpfer ist und dass grundsätzlich jeder dranbleiben muss", verdeutlichte Goretzkas langjähriger Weggefährte Thomas Müller. Es sei "schön zu sehen, dass Leon sich den Einsatz verdient hat".
Das bestätigte Sportdirektor Christoph Freund. Nach den Gesprächen im Sommer habe Goretzka "gesagt, er will sich der Konkurrenz stellen". Dass er sich nicht habe hängen lassen und da war, als er gebraucht wurde, "sagt viel aus über einen Menschen, einen Charakter", lobte Freund: "Leon ist ein Spieler des FC Bayern und macht es richtig gut."
Wechsel-Gerüchte um Leon Goretzka bleiben heiß
Nichtsdestotrotz gab es wenig später Meldungen, wonach der FC Bayern Goretzka für einen Wintertransfer bei Manchester United angeboten habe. Auch mit Juventus Turin und sogar Liga-Konkurrent Union Berlin wurde er in Verbindung gebracht.
"Jeder Verein kann sich den sehr gut vorstellen", kommentierte Horst Heldt, Sport-Geschäftsführer der Eisernen, die Gerüchte und ergänzte: "Der kann jedem helfen."
Passend dazu wechselte Goretzka gerade erst die Berater-Agentur, ab sofort arbeitet er mit ROOF zusammen. Bei dem deutschen Unternehmen stehen bereits zahlreiche Stars unter Vertrag, unter anderem Serge Gnabry, Kai Havertz, Virgil van Dijk und Marc-André ter Stegen.
Ob der Berater-Wechsel mit den jüngsten Spekulationen zusammenhängt, ist unklar. Es mehren sich freilich die Experten-Stimmen, die Goretzka zu einem neuen Abenteuer raten.
"Er muss spielen. Wenn Leon keine Einsatzzeiten bekommt oder nur dann, wenn zehn andere verletzt sind, kann das nicht seinen Ansprüchen genügen", betonte Thomas Helmer bei "Sky": "Wenn die Perspektive so aussichtslos bleibt, würde ich ihm auf jeden Fall raten, den Verein zu wechseln."
Mario Basler sieht das ähnlich: "Jetzt kriegt er mal die Chance, sich für andere Vereine zu zeigen und interessant zu machen", erklärte Helmers 1996er Europameister-Kollege in seinem Podcast "Basler ballert".
Von einem möglichen sportlichen Bewerbungsschreiben Goretzkas für eine Zukunft beim FC Bayern gehen die beiden Ex-Profis offenbar nicht mehr aus.
Das Stehaufmännchen des Rekordmeisters will es seinen Kritikern zeigen und seine Chance gegen Augsburg nutzen - es könnte gleichwohl seine letzte in München sein.
mit AFP-Material