06.06.2025 19:00 Uhr

Wie Schalke mit Muslic eine Risiko-Kehrtwende vollzieht

Miron Muslic soll den FC Schalke 04 zurück auf Kurs bringen
Miron Muslic soll den FC Schalke 04 zurück auf Kurs bringen

Der FC Schalke 04 hat nach längerer Suche den hierzulande eher unbekannten Miron Muslic als neuen Cheftrainer präsentiert. Mit der Verpflichtung leitet der schwer angeschlagene Revierklub auch eine Kehrtwende ein, unterscheidet sich die taktische Idee des 42-Jährigen doch teils erheblich von dessen Vorgängern. Und sie birgt Risiken, wie auch die Daten zeigen. 

Miron Muslic hatte noch nicht beim FC Schalke 04 unterschrieben, da flatterte Ärger bereits ins Haus. In England, wo der Österreicher bei seinem nunmehr Ex-Klub Plymouth Argyle verbrannte Erde hinterließ. In Gelsenkirchen, weil einige Fans Kritik an der Wahl des neuen Übungsleiters übten.

Der Tenor: Die Schalker Bosse hatten doch eigens ein genaues Stellenprofil erstellt, um einen geeigneten Nachfolger von Kees van Wonderen zu finden. Deutsch sollte der Neue sprechen und die 2. Liga "verstehen", hatte Vorstandschef Matthias Tillmann Ende April im "kicker" betont, als er auf die damaligen Raúl-Gerüchte angesprochen wurde. Muslic, ein darüber hinaus hierzulande völlig Unbekannter, erfülle aber nur erstere Bedingung, so die skeptischen Schalker Anhänger.

Auch Schalke-Ikonen wie Peter Neururer ("Es macht keinen Sinn mehr, über sportliche Dinge bei Schalke 04 zu sprechen") oder Huub Stevens ("Ich war ebenfalls sehr überrascht - damit hatte keiner gerechnet") blieben, von "Sport1" angesprochen, zunächst ratlos zurück. Die neue sportliche Leitung unter Vorstandsmitglied Frank Baumann wird sich aber sicher "etwas dabei gedacht haben", fügte der Schalker Jahrhunderttrainer hoffnungsvoll hinzu.

Und selbst im Aufsichtsrat der Knappen musste Berichten zufolge Überzeugungsarbeit geleistet werden, da die Idee mit Muslic zunächst nicht verfangen wollte. Skepsis, Verwunderung, Kritik: Aufbruchstimmung im eigenen Lager sieht anders aus.

Was sich Baumann gedacht hat

Frank Baumann, der schon weit vor seinem offiziellen Dienstbeginn am 1. Juni am Muslic-Deal werkelte, war sogleich darauf bedacht, schleunigst das Ruder herumzureißen. Er sei "überrascht" gewesen, dass etwa das "Zweitliga-Kriterium so stark bei den Fans und Medien verankert" war, erklärte der Ex-Bremer bei seiner Vorstellung. Stattdessen habe dies nur eine "untergeordnete" Rolle gespielt. 

Baumann stellte klar: "Die Bedingung war vielmehr, dass wir eine Passung zur Schalker Spielidee brauchen. Und das wir jemanden haben wollen, der Spieler entwickelt und besser machen kann." Man habe zunächst intern festgelegt, für welchen Fußball Schalke künftig stehen soll - nämlich mutigen Angriffsfußball. Danach sei man auf die Suche gegangen.

Hier geht Schalke 04 ins Risiko

Mit der Trainerwahl geht der FC Schalke 04 aus gleich mehreren Gründen ins Risiko.

Da wäre zunächst der finanzielle Aspekt: Um den Fußballlehrer aus seinem eigentlich langfristig ausgerichteten Vertrag bis 2028 herauszukaufen, wurden laut Medienberichten nicht weniger als 700.000 Euro Ablöse fällig. Viel Geld für den finanziell angeschlagenen Klub, der in den vergangenen Jahren zahlreiche Trainer verschlissen hat.

Dann reicht ein Blick auf die bisherige Vita des neuen Schalke-Trainers, um die These aufstellen zu können: Ein Klub wie der FC Schalke 04 könnte für Miron Muslic eine Nummer zu groß sein. Weder der SV Ried oder der Floridsdorfer AC aus Österreich, noch Cercle Brügge aus Belgien und erst recht nicht Plymouth Argyle haben die Strahlkraft des stolzen Revierklubs. Sie zählen auch nicht zur Kategorie Haifischbecken. 

Zudem lesen sich einige seiner Stationen auf den ersten Blick wenig erfolgsversprechend. In Ried wurde er in seiner zweiten Amtszeit (Januar bis März 2021) nach nur zehn Spielen (kein Sieg) frühzeitig entlassen. Mit Plymouth, wo er erst im vergangenen Januar anheuerte, konnte er den Abstieg in die dritte Liga nicht verhindern.

Das größte Risikopotenzial birgt aber der taktische Ansatz des Coaches.

Kehrtwende bei S04: Für welchen Fußball Muslic stehen will

Miron Muslic hat nach seiner Ankunft in Gelsenkirchen schnell klargestellt, für welchen Fußball er stehen will. "Begeisternd" und "offensiv" soll die Spielausrichtung bei Königsblau sein, gepaart mit hohem Einsatz und Laufintensität. 

Ein Blick in die Zahlen von COACHINSIDE, der weltweit stärksten Scouting-Datenbank über Profi-Trainer, untermauert diese taktische Vorgabe. Muslic verfolge demnach "eine proaktive und offensive Spielidee", wobei er seine Formation taktisch flexibel an seinen Kader anpasst. Bei seinen bisherigen Stationen ließ er etwa sowohl mit Dreier- als auch Viererabwehrkette agieren, die sehr hoch steht.

"Im eigenen Ballbesitz geht es ihm um Tiefe vor Breite und ein vertikales Offensivspiel. Gegen den Ball lässt er ein intensives Mittelfeldpressing spielen, um den Gegner zu Fehlern zu zwingen", heißt es bei COACHINSIDE. 

Die intensive Pressingvorgabe führt dazu, dass die Muslic-Mannschaften knapp die Hälfte ihrer Tore (48,44 Prozent laut der verfügbaren Daten ab 2021) durch Umschalten nach Balleroberungen erzielen. Nur jeder zehnte Treffer resultiert aus einer eigenen Ballbesitzphase. In Plymouth hatte sein Team im Schnitt gerade einmal 38 Prozent Ballbesitz, was den letzten Platz im Liga-Vergleich bedeutete.

Auf Schalke war man unter Kees van Wonderen hingegen bis zuletzt noch ganz anderen Fußball gewöhnt. Der Niederländer setzte nämlich durchaus auf eigenen Ballbesitz (54 Prozent, Platz 3 in der 2. Bundesliga), rund ein Viertel der Tore fußten darauf.

Klappt das mit Muslic und Schalke 04?

Ob die Mannschaft den von Miron Muslic ausgerufenen und laufintensiven Pressing-Stil kann, ist durchaus fraglich. Der Schalker Kader unterlief in den vergangenen Jahren zahlreichen Veränderungen, verursacht durch ständige Wechsel auf den Führungspositionen.

Womöglich muss die Truppe, die für die schlechteste Platzierung der Vereinsgeschichte verantwortlich war, auf gleich mehreren Positionen umgebaut werden, damit der Spielstil klappt. Ein wichtiges Augenmerk bei der Zusammenstellung muss dabei die Konterabsicherung sein. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Muslic-Teams laut Statistik vier von zehn Gegentoren nach Ballverlusten kassieren.

Auch Baumann weiß: "Es wird etwas dauern, bis der Kader stehen wird. Wir werden sicher nicht mit dem Kader, der beim Trainingsauftakt da ist, in die Saison gehen." Vieles hängt aber zunächst von möglichen Verkäufen ab, wie denen von Taylan Bulut und Moussa Sylla. Geht etwa Schalkes bester Torjäger der Vorsaison, muss zunächst einmal ein Ersatz gefunden werden, der ins taktische Konzept des Trainers passt.

Und wenn der Plan bei Schalke 04 aufgeht ...?

Geht der Schalker Plan mit der taktischen Kehrtwende auf, könnte in der Arena aber tatsächlich künftig der lang ersehnte Offensivfußball dargeboten werden. In Brügge war Muslics Trainer-Stern einst aufgegangen, als er das Team in der Saison 2023/24 ins internationale Geschäft führte. In England belegte er in der "Muslic-Tabelle", die nur die insgesamt 21 Zweitliga-Partien unter seiner Leitung umfasst, den elften Platz.

Muslic bei Plymouth Argyle (Quelle: COACHINSIDE)
Muslic bei Plymouth Argyle (Quelle: COACHINSIDE)

Seine 1,24 Punkte pro Schnitt reichten vor allem deshalb nicht zum Klassenerhalt, weil das Team unter Vorgänger Wayne Rooney überhaupt nicht performte. So gesehen ist auch der Ärger der Plymouth-Bosse verständlich, dass sich der Cheftrainer trotz langfristigen Vertrags nicht zum Klub bekannte und sich stattdessen ins Schalker Rampenlicht durchboxte.

Was auf Schalke zusätzlich für Hoffnung sorgen könnte: In Plymouth lag der von COACHINSIDE ermessene "Expectation Index" - wie gut schneidet das Team in der Tabelle im Vergleich zu den Kaderwerten ab? - bei beachtlichen 8,5 von 10. Muslic schaffte es also in kürzester Zeit, die Stärken der eigenen Spieler herauszukitzeln - etwas, das Kees van Wonderen nicht gelang.

Der kam beim "Expectation Index" in 2024/25 hingegen lediglich auf 4,5 von 10.