15.06.2016 19:00 Uhr

Jetzt ist das ÖFB-Superhirn gefordert

Teamchef Marcel Koller muss nun die Richtung vorgeben
Teamchef Marcel Koller muss nun die Richtung vorgeben

Der total verhaute EM-Start des ÖFB-Teams mit der 0:2-Niederlage gegen Ungarn setzt die Nationalmannschaft gehörig unter Zugzwang. Nun muss Marcel Koller seinem Ruf als "Superhirn" gerecht werden. Vor den weiteren Spielen der Gruppe F gegen Portugal und Island steht man als Tabellenletzter mit dem Rücken zur Wand.

Österreichs Teamchef musste nach der Pleite am Dienstag vor 34.424 Zuschauern im Stade de Bordeaux mächtig schlucken. Neben dem Ende der Serie von elf ungeschlagenen Pflichtspielen in Folge hatte Koller auch noch die Verletzung von Zlatko Junuzović und Gelb-Rot mit der Sperre von Abwehrchef Aleksandar Dragović für die Partie gegen die Portugiesen zu verkraften.

Die Gegentore von Ádám Szalai in der 62. Minute und Zoltán Stieber in der 87. Minute ließen die rot-weiß-rote Euphorie im Vorfeld der Europameisterschaft plötzlich ins andere Extrem ausschlagen: Im schlechtesten Fall ist der angestrebte Achtelfinal-Aufstieg für das ÖFB-Team bei der UEFA EURO 2016 bereits am Samstag in Paris außer Reichweite.

Mit der beeindruckenden EM-Qualifikation hatte Österreich eine Erwartungshaltung geweckt, welche die Mannschaft zumindest gegen Ungarn nicht erfüllen konnte.

Für weltfussball gibt es einige Themen bei denen Marcel Koller gefordert ist:

Können Spieler, die nicht über die volle Match-Fitness verfügen, wirklich bei einer EM-Endrunde mit den besten 24 Mannschaften Europas bestehen?

"Alle Spieler sind auf dem Punkt fit und einsatzbereit", hatte der Teamchef vor dem ersten Gruppenspiel gegen Ungarn gemeint. Wirklich? Marc Janko hatte nach dem 10. April und seiner Adduktorenverletzung im Saisonfinish kein einziges Ligaspiel für den FC Basel bestritten. Spätestens jetzt weiß man warum. Schon in den Tests gegen Malta und die Niederlande hatte der Sturmtank nie den Eindruck erweckt, dass er voll sprinten kann. Im Vorfeld der Partie gegen Ungarn musste er sogar ein Einzelprogramm absolvieren. Man wollte ihm die "Erschütterung einer internen Trainingspartie" nicht zumuten. Erschüttert ist nun Österreichs Konzept mit Janko als "Center". Koller tauschte seinen Mittelstürmer nach 65 Minuten bei einem 0:1-Rückstand aus. Kein Zeitpunkt, wo man unter normalen Umständen seinen torgefährlichsten Spieler vom Platz nimmt. Aber es waren keine normalen Umstände.

Ein Bundesliga-Abstieg wirkt mental gewaltig nach. Kann man dies nach dem nächsten Schock-Erlebnis noch aus den Köpfen der betroffenen Spieler bekommen?

Martin Harnik wurde von Marcel Koller nach 77 Minuten ausgetauscht. Für viele Fans und Beobachter war er ein "Total-Ausfall" und schon viel früher reif für eine Erlösung. Auch sein Partner auf der rechten Seite kämpfte mit sich selbst und war auf der Suche nach der eigenen Form. Bei Florian Klein hat der bittere Abstieg mit dem VfB Stuttgart aus der deutschen Bundesliga ebenso seine Spuren hinterlassen. Das ÖFB-Duo wurde mit den anderen Spielern der Schwaben nach dem Fall aus dem Oberhaus beschimpft und als Buhmänner an den Pranger gestellt. Momente, die selbst sehr gut bezahlte Fußball-Profis nicht so leicht verarbeiten oder verdrängen können.

Nach Rückschlägen zeigt sich die wahre Qualität einer Mannschaft und eines Trainers. Wie gehen der Teamchef und seine Schützlinge mit dieser bitteren Pleite um?

"Wir haben eine gute Gruppe, jeder muss den anderen mitreißen und ich werde vorangehen", kündigte Koller unmittelbar nach der Niederlage gegen Ungarn an. "Wir haben nicht ein paar Wochen Zeit, um das zu verkraften. In drei Tagen geht es weiter, da heißt es Kopf hoch, abwischen und Vollgas geben."

Mit einer anderen Mannschaft: Aleksandar Dragović, der sich schon bei der Gelben Karte ungeschickt und alles andere als ein echter Abwehrchef präsentiert hatte, flog mit Gelb-Rot vom Platz. Sein Ausfall durch die Sperre gegen Portugal schmerzt. Mit Zlatko Junuzović droht ein weiterer Schlüsselspieler sogar im gesamten weiteren Turnierverlauf zu fehlen. Jetzt müssen sich andere Spieler beweisen.

Auch der Chefcoach. Seine Umstellung auf Dreierkette in Unterzahl ging gegen Ungarn völlig daneben. Julian Baumgartlinger wurde im Finish in die Viererkette zurückbeordert. Es herrschten auf dem Platz und abseits grobe Abstimmungsprobleme. Gegen Portugal beginnt das ÖFB-Team wieder mit elf Spielern. Da ist eine ganz andere Kompaktheit und Mentalität gefragt. Von allen Beteiligten!

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Christian Tragschitz, weltfussball.at aus Bordeaux

"Ich kann nicht viel damit anfangen, ob wir Favorit oder Außenseiter sind", erklärte der Schweizer am Montagabend in seiner Abschluss-Pressekonferenz am Spielort in Bordeaux.

Das Spiel werde auf dem Platz entschieden, betonte Koller. Sein Team sieht der 55-Jährige sehr gut vorbereitet. "Die Konzentration und die Fokussierung, das hat sich zum Spiel hin alles gesteigert", sagte Koller nach drei Wochen gemeinsamer Vorbereitung vor dem Abschlusstraining. "Wir sind bereit."